Auch die Sächsische Arbeitsagentur hat sich zum Frauentag gemeldet. Und dass auch die Arbeitsagentur in ihrer Blase schwebt und die Welt durch eine Filterbrille anschaut, machte Klaus-Peter Hansen, Vorsitzender der Geschäftsführung der Regionaldirektion Sachsen der Bundesagentur für Arbeit, deutlich, als er flapsig sagte: „Ein Grund für die hohe Beschäftigungsquote im Vergleich zum bundesweiten Durchschnitt liegt vor allem an der traditionell hohen Erwerbsneigung der Frauen in Sachsen.“
Als hätten die Sächsinnen so eine vererbte Neigung, unbedingt auf Arbeit gehen zu müssen. Als hielten sie es zu Hause nicht aus. Ein völlig schiefes Bild, das sich die sächsische Wirklichkeit schönmalt. Und falsch interpretiert.
Die Grundinformationen zur Arbeitstätigkeit der Frauen in Sachsen
Vergangenes Jahr haben in Sachsen 1,20 Millionen Frauen im arbeitsfähigen Alter gelebt, wovon 777.000 sozialversicherungspflichtig gearbeitet haben. Damit lag die Beschäftigungsquote der Frauen vergangenes Jahr bei 64,6 Prozent. Im Vergleich aller 16 Bundesländer lagen die Sächsinnen damit auf dem ersten Platz. Die Frauen in Thüringen und Brandenburg belegen den zweiten und dritten Platz.
Das erste Stutzen der Arbeitsagentur
Auffällig ist jedoch auch, dass fast die Hälfte der in Sachsen beschäftigten Frauen in Teilzeit arbeiten, das mittlere Einkommen der vollzeitbeschäftigten Frauen geringer ist als das der Männer und mehr als jede dritte Frau eine Führungsposition ausübt.
Augenscheinlich alles handfeste Gründe gegen eine angeborene „Erwerbsneigung“.
„In Sachsen liegt die Beschäftigungsquote der Frauen mit über 64 Prozent bundesweit am höchsten. Erfreulich ist für mich jedoch weniger der seit über zehn Jahren anhaltende positive Trend. Vielmehr freue ich mich, dass die Beschäftigungsquote der Frauen mittlerweile über der der Männer liegt und damit die Arbeitslosigkeit der Frauen geringer ist. Etwas Sorge bereitet mir neben dieser guten Entwicklung, dass der Beschäftigungsanstieg überwiegend auf das Konto der Teilzeitbeschäftigung geht und Frauen für gleiche oder bessere Arbeit häufig geringere Verdienste haben, als Männer. Hier würde es helfen, wenn Unternehmer attraktive Arbeitsbedingungen anbieten. Mit angemessenen Löhnen, Weiterbildungsangeboten, flexiblen Arbeitszeitangeboten – auch mit dem Übergang in Vollzeit lassen sich die weiblichen Fachkräfte im Betrieb halten und auch neue gewinnen“, sagte Klaus-Peter Hansen.
Hohe Beschäftigungsquote, aber was ist wirklich der Grund dafür?
Im Jahr 2018 waren rund 777.000 Frauen aus Sachsen sozialversicherungspflichtig beschäftigt – in Sachsen oder einem anderen Bundesland. Bezogen auf alle 1,203 Millionen Frauen in Sachsen, die im erwerbsfähigen Alter waren, lag die Beschäftigungsquote damit bei 64,6 Prozent.
Im Vergleich zum Jahr 2017 ist die Beschäftigungsquote um 1,2 Prozentpunkte gestiegen und im Vergleich zu 2008 um über 13,2 Prozentpunkte. Zurückzuführen ist dieser Anstieg auf die positive Arbeitsmarktentwicklung in Sachsen. Die Unternehmen aus den Bereichen Industrie und Handel, Dienstleistungen und aus dem traditionellen Handwerk haben viele freie Stellen gemeldet und diese auch mit Frauen besetzt. Grundlage dafür waren die gute konjunkturelle Situation, die stabile Binnennachfrage sowie demografische und gesellschaftliche Veränderungen (zum Beispiel: Alterung der Bevölkerung, Ausbau Kinderbetreuung), die letztendlich die Jobchancen für sächsische Frauen verbessert haben.
Im Vergleich aller Bundesländer liegt Sachsen mit der Frauen-Beschäftigungsquote von 64,6 Prozent weiter auf Platz eins. Gefolgt von Thüringen (62,9 Prozent), Brandenburg (62,4 Prozent), Sachsen-Anhalt (61,7 Prozent), Mecklenburg-Vorpommern (61,7 Prozent) und Bayern als erstes westdeutsches Bundesland (59,4 Prozent).
Die geringsten Beschäftigungsquoten von Frauen gab es in Bremen (50,4 Prozent), Nordrhein-Westfalen (52,21 Prozent) und dem Saarland (52,3 Prozent). Im bundesweiten Durchschnitt liegt die Beschäftigungsquote der Frauen bei 56,5 Prozent.
Erstaunlich geringe Quoten in der Großstadt
Auch in den sächsischen Landkreisen und Städten lagen vergangenes Jahr die Beschäftigungsquoten der Frauen über dem bundesweiten Durchschnitt. Die höchsten Beschäftigungsquoten gibt es in der Sächsischen Schweiz-Osterzgebirge (68,4 Prozent), im Landkreis Leipzig (66,6 Prozent), in Nordsachsen (66,3 Prozent) und in Mittelsachsen (66,2 Prozent).
Die geringsten Beschäftigungsquoten sind in der Stadt Leipzig (60,0 Prozent), im Landkreis Görlitz (61,4 Prozent) und der Kreisfreien Stadt Chemnitz (62,4 Prozent) zu verzeichnen. Die teilweise deutlichen Unterschiede innerhalb Sachsen sind auf die verschiedenen Wirtschaftsstrukturen und Pendlerverflechtungen zurückzuführen, meint die Arbeitsagentur. So arbeiten beispielsweise viele Frauen, die in der Sächsischen Schweiz leben, in der Stadt Dresden. Eine höhere Beschäftigungsquote bedeutet nicht, dass in ländlichen Regionen mehr Arbeitsplätze zur Verfügung stehen.
Das Teilzeit-Problem
Vergangenes Jahr haben in Sachsen insgesamt 781.500 Frauen gearbeitet. Von ihnen waren 49 Prozent in Teilzeit beschäftigt (Teilzeitanteil der Männer: 12,6 Prozent). Im Vergleich zum Jahr 2017 waren das 11.900 mehr. Zurückzuführen ist die hohe Teilzeitquote auf die immer flexibler werdenden Beschäftigungsformen. Zudem arbeiten Frauen öfters in Dienstleistungsberufen, in denen häufiger Teilzeit gearbeitet wird, als beispielsweise in Industrieunternehmen. Am Arbeitsmarkt existieren für alle Frauen und Männer neben der dominierenden Vollzeittätigkeit zahlreiche Arbeitszeitmodelle, die eine Beschäftigung in Teilzeit ermöglichen. Vom klassischen Halbtagsjob bis hin zu Menschen, die „voll-zeitnah“ (zum Beispiel 32 Stunden an vier Tagen die Woche arbeiten).
„Es gibt auch in Sachsen einen ganz klaren Trend zur Teilzeitarbeit. Das ist per se nicht schlecht – wenn sie aktiv eingefordert wird. Denn bei einer guten Arbeitsmarktsituation nimmt die freiwillige Teilzeitbeschäftigung zu, weil sich die Menschen mit dem Blick auf Vereinbarkeit von Familie und Beruf die Teilzeitarbeit leisten können und wollen. Kritisch ist die Teilzeitarbeit nur, wenn sie erzwungen ist und die Menschen mehr arbeiten wollen. Wir wissen: etwa jeder Neunte will in seinem Job mehr arbeiten“, sagt Hansen.
Das mittlere Einkommen der Frauen ist 46 Euro geringer als das der Männer
Neben den 382.600 teilzeitbeschäftigten Frauen, waren vergangenes Jahr in Sachsen weitere 399.000 in Vollzeit beschäftigt. Im Vergleich zum Jahr 2017 waren das rund 1.600 weniger. Damit liegt der Vollzeitanteil an der Beschäftigung von Frauen in Sachsen bei 51 Prozent. Von diesen Vollzeitbeschäftigten liegt das mittlere Einkommen bei 2.447 Euro und damit um 46 Euro unter dem Medianlohn der in Sachsen vollzeitbeschäftigten Männer. Zehn Jahre zuvor lag das mittlere Einkommen der Frauen noch bei 1.729 Euro im Monat (Medianlohn Männer: 1.931 Euro). Nur in Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen-Anhalt liegt das mittlere Einkommen der Frauen über dem der Männer. Die kräftigsten Lohnunterschiede gibt es in den Ländern Baden-Württemberg, Bremen und Hamburg.
Nur jede dritte Frau in Sachsen arbeitet in einer Führungsposition
In Sachsen haben vergangenes Jahr 54.700 Frauen und Männer Führungspositionen ausgeübt. Davon waren insgesamt 19.600 weiblich. Damit lag im Jahr 2018 der Frauenanteil in Führungspositionen bei 35,9 Prozent. Im bundesweiten Vergleich war der Frauenanteil in Führungspositionen nur in Mecklenburg-Vorpommern (39,0 Prozent), Sachsen-Anhalt (37,3 Prozent) und Brandenburg (36,4 Prozent) höher. Den geringsten Frauenanteil in Führungspositionen gab es in Bayern, Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg.
In Sachsen sind im Gesundheits- und Sozialwesen (62,3 Prozent), im sonstigen Dienstleistungsbereich (60,2), im Bereich Erziehung und Unterricht (56,9 Prozent) und in der öffentlichen Verwaltung (56,9) am häufigsten Frauen als Führungskräfte zu finden.
„Auf der einen Seite unterliegt die Gesellschaft und Arbeitswelt einem ständigen Wandel. Auf der anderen gibt es immer noch die traditionellen Rollenmuster. Angefangen bei der Berufswahl bis hin zur Entscheidung, wer ein Unternehmen oder ein Team führt. Für mehr Gleichberechtigung zwischen Frauen und Männern würde es helfen, wenn Beschäftigte mehr nach der Qualifikation, ihren Kompetenzen und Fähigkeiten ausgewählt und bezahlt werden – unabhängig vom Geschlecht. Viele Frauen haben Profil, wollen sich behaupten und sind dafür bestens qualifiziert. Deshalb gibt es in allen Arbeitsagenturen und Jobcentern speziell ausgebildete Beraterinnen für das Thema Chancengleichheit am Arbeitsmarkt. Diese Beauftragten beraten Frauen bei der Jobsuche, helfen Müttern beim Wiedereinstieg in den Beruf und unterstützen Unternehmen, um individuelle Wege der Beschäftigung von Frauen zu schaffen“, so Hansen.
Das durchwachsene Fazit
Teilzeit bedeutet nicht: „Arbeiten nur am Vormittag“. Unter Teilzeitbeschäftigung werden alle sozialversicherungspflichtigen Arbeitsverhältnisse aufgeführt, die weniger als Vollzeit entsprechen. Dabei zählt die übliche betriebliche Wochenarbeitszeit. Bereits eine Verkürzung von einer Stunde lässt diese Arbeitsverhältnisse in der Statistik als Teilzeit zählen. Dazu kommt: Frauen arbeiten nach wie vor eher in Gesundheits-, sozialen, Dienstleistungs- und Büroberufen, die stärker von Teilzeit geprägt sind als Handwerks- oder Produktionsberufe. Teilt die Arbeitsagentur mit.
Aber „stärker von Teilzeit geprägt“ sind diese Berufe ja nicht einfach so, sondern weil hier traditionell mehr Frauen arbeiten, die nach wie vor das Thema „Vereinbarkeit von Beruf und Familie“ als Erste zu bewältigen haben. Oder mal so formuliert: Würden nicht wenigstens diese Branchen einen Teil Arbeitsplätze anbieten, die mit Familie kompatibel sind, würden sie auch keine Frauen als Arbeitskräfte bekommen. Ein Großteil der gesellschaftlichen Fürsorge würde einfach nicht mehr funktionieren.
Die Kehrseite: Auch bei den Löhnen hat man sich angepasst. Die Frauen verdienen hier deutlich weniger Geld.
Aber: Warum arbeiten sie dann? Und in Sachsen so besonders viele Frauen?
Das ist der Teil, den die Arbeitsagentur in ihrer Meldung ausgespart hat. Denn hinter der „Erwerbsneigung“ steckt tatsächlich der Druck, ein zweites Erwerbseinkommen verdienen zu müssen, um sich in Sachsen einen Familienhaushalt leisten zu können. Denn das, was als so winziger Einkommensabstand zu den Männern erscheint (46 Euro), resultiert aus dem im Bundesvergleich deutlich niedrigeren Einkommen der Männer. Das Allein-Verdiener-Modell ist in sächsischen Normalbeschäftigungen einfach nicht umsetzbar.
Das Positive (Frauen können eine selbstständige Berufskarriere machen) verbindet sich mit dem Negativen (Normaleinkommen reichen nicht, um eine Familie zu finanzieren).
Was eben leider keine familiengerechte Arbeitswelt ergibt. Eher das Gegenteil, denn wenn Frauen dann wirklich einmal Aufstiegschancen nutzen möchten wie die Männer, sehen sie sich oft genug gezwungen, genauso zu arbeiten wie die Männer – was im Grunde das Ende jeder Familienplanung bedeutet. Einige schaffen es dann wirklich in Führungspositionen, haben dafür aber einen hohen persönlichen Preis gezahlt.
Was in den Statistiken der Arbeitsagentur natürlich nicht vorkommt. Wie denn auch. Sie wurde von Männern erfunden, um sich ihre patriarchalische Arbeitswelt schönzurechnen.
Folge neoliberaler Politik: Sachsen hat den größten Gender Pay Gap im Osten
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