Eigentlich kann man es nicht mehr hören, auch wenn man versteht, dass sich die Ministerpräsidenten in Sachsen, Sachsen-Anhalt und Brandenburg sorgen um Arbeitsplätze in der Braunkohle und einen neuen Strukturbruch. Am Dienstag, 20. November, warnte erst wieder der MP von Sachsen-Anhalt, Reiner Haseloff, via MDR vor einem „Desaster“. Oder der MDR warnte, weil das wieder so eine schöne Alarmmeldung ist – kurz bevor die Kohle(ausstiegs)kommission ihren Bericht vorlegt.
Darin solle es um Strukturveränderungen gehen, betonte Haseloff, nicht um den Kohleausstieg. Dass der käme, wüssten doch nun alle.
Es ist das alte Klippklapp. Denn beides gehört zwingend zueinander. Wenn man weiß, wann die Kohleverstromung endgültig auslaufen soll, weiß man, welche Handlungszeiträume man noch hat. Wenn man schneller handeln kann, kann man den Horizont verkürzen.
Aber trotzdem erzählen die drei Ministerpräsidenten immer wieder dieselbe Leier. Und fordern Geld vom Bund. Einige Milliarden Euro. Nur: Wofür, wenn keiner sich auch nur mit der Frage beschäftigt hat, welche Strukturen bis wann entstehen sollen? Das hielt gerade Sachsen in der ganzen Debatte seit Jahren nicht für nötig.
Dabei hat sich der Bund längst viel intensiver mit der Frage beschäftigt, was da in den Kohlerevieren eigentlich passieren kann.
Eine am Dienstag, 20. November, veröffentlichte Untersuchung im Auftrag des Bundeswirtschaftsministeriums zeigt nun, dass die verstärkte Nutzung Erneuerbarer Energien einen wichtigen Beitrag zum erfolgreichen Strukturwandel in deutschen Braunkohlerevieren leisten kann.
Das wusste man zwar schon vorher. Aber bekanntlich bremst ja das Land Sachsen genau bei dem Thema.
Dabei können die deutschen Kohlereviere gerade mit diesem Thema auch zukünftig als wichtige Player in der Energiewirtschaft in Deutschland mitspielen. Eine gezielte Transformation hin zu Energiewenderegionen könnte maßgeblich neue Perspektiven für Beschäftigung und Wertschöpfung im Rheinischen, Mitteldeutschen, Lausitzer und Helmstedter Revier schaffen.
Kohlekraftwerke durch Solar-Windstrom-Großkraftwerke ersetzen
Die Experten mehrerer Forschungs- und Beratungsinstitute empfehlen in der Studie, die Potenziale Erneuerbarer Energien in den Tagebauregionen stärker zu nutzen. Besondere Chancen bietet der verstärkte Ausbau von Solar- und Windstrom im Verbund. Diese Anlagen könnten schrittweise in den Regionen aufgebaut werden und freiwerdende Netzkapazität ersetzen, während die Kohleverstromung heruntergefahren wird. Weiterhin empfiehlt das Gutachten, Anlagen für die sogenannte Power-to-X-Technologie, also das Umwandeln von Strom etwa in Gas oder Wärme, gezielt in den Tagebauregionen anzusiedeln.
„Solche Anlagen werden im zukünftigen Energiesystem eine wichtige Rolle zur Speicherung oder anderweitigen Nutzung von temporären Stromüberschüssen aus Wind oder Photovoltaik spielen“, sagt Martina Richwien vom Beratungsinstitut IFOK, das die Erarbeitung der Studie geleitet hat.
Die Potenziale der Reviere für den Strukturwandel in den Blick nehmen
„In der Debatte um den Strukturwandel werden die Potenziale der Energiewende bisher noch zu wenig gesehen“, findet Bernd Hirschl vom Institut für ökologische Wirtschaftsforschung (IÖW), das in der Studie berechnet hat, in welchem Umfang Arbeitsplätze und Wertschöpfung in den Bereichen Wind- und Solarenergie neu entstehen können. „Die vorhandenen Infrastrukturen und Kompetenzen bieten sich an, die Reviere zu Energiewende-Modellregionen zu entwickeln – entsprechend ihrer jeweiligen Voraussetzungen. Wenn die Akteure vor Ort dafür zusammen mit den betroffenen Bundesländern und dem Bund an einem Strang ziehen, können nennenswerte Wertschöpfung und Beschäftigung entstehen.“
Gemeinsam vor Ort tätig werden
„Die Erschließung der Potenziale kann nur in den Regionen und gemeinsam mit den regionalen Akteuren erfolgen, die mit den Veränderungen vor Ort leben und arbeiten“, betont Martina Richwien. „So muss beispielsweise die Frage nach der Verfügbarkeit geeigneter Flächen im Dialog vor Ort beantwortet werden. Hier wird es wichtig sein, weitere Vorstellungen der Flächennutzung einzubeziehen und mögliche Unterstützer zu finden, um die insbesondere in der Lausitz erheblichen Beschäftigungspotenziale auch nutzen zu können.“
Die Experten weisen darauf hin, dass für ein Gelingen der Reviertransformation spezifische Maßnahmen erforderlich sind, bei denen die verschiedenen Ebenen zusammenarbeiten müssen. Etwa seien Sonderausschreibungen erforderlich, um die Anlagen gezielt in die Regionen zu bekommen. Damit die Reviere ökonomisch davon profitieren, sind darüber hinaus nennenswerte Beteiligungen von Kommunen, Unternehmen und Bürgern vor Ort erforderlich.
Fallstudie Lausitz: mehrere tausend Arbeitsplätze möglich
In dem Gutachten wurde für das Lausitzer Revier das regionalökonomische Potenzial einer Transformation zur Energiewenderegion abgeschätzt. Bei einem ambitionierten Ausbau von Windenergie und Photovoltaik können beispielsweise allein in diesem Bereich rund eintausend Vollzeit-Arbeitsplätze entstehen. Darin sind noch keine Effekte aus der Anlagenproduktion enthalten, in der heute bereits mehr als eintausend Menschen beschäftigt sind. Aus weiteren Bereichen der Strom-, Wärme- und Verkehrswende können darüber hinaus zahlreiche zusätzliche Arbeitsplätze entstehen – von Biogas über Solarthermie bis Power-to-Gas und in Bereichen wie ÖPNV, Car-Sharing, E-Mobilität oder autonomes Fahren.
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