Sachsen hat ein Problem. Ein gewaltiges. Das bekommt jetzt auch so langsam Leipzig zu spüren. Denn ein Land, in dem so geballt rechtsextreme Ressentiments toben, ist für Unternehmen kein bevorzugtes Pflaster. Wirtschaftsminister Martin Dulig (SPD) hat schon gewarnt, dass die gehäuften Nachrichten über Rechtsextremismus in Sachsen auch wirtschaftliche Folgen haben werden. Leipzigs Freibeuter bringen es am 19. September mit einer Kleinen Anfrage in den Stadtrat.
„Eine Agentur hat sich als Dienstleister aus der Kampagne für die Invest Region Leipzig GmbH zurückgezogen. Sie begründet das damit, dass der Standort Sachsen trotz anhaltender rassistischer Auseinandersetzungen sowie ausbleibender geeigneter politischer Maßnahmen stark positiv emotionalisiert werden solle“, schreibt die Freibeuter-Fraktion in ihrer Anfrage. Und formuliert dann ihre Fragen, die durchaus auch den Wirtschaftsstandort Leipzig betreffen.
„Wie viele Firmen haben sich schon vorher aus politischen und/oder gesellschaftlichen Gründen aus Projekten der Stadt Leipzig zurückgezogen?
Welchen Umgang pflegt man mit derlei Sorgen? Welche Maßnahmen werden ergriffen?
Welcher Schaden lässt sich für den Wirtschaftsstandort Leipzig in Bezug auf solche Problematiken beziffern bzw. beschreiben?“
Der Ökonom Marcel Fratzscher hat das Problem in seiner Kolumne in der „Zeit“ etwas ausführlicher behandelt. Denn in der gewöhnlichen Flachland-Ökonomie kommen die handelnden Akteure der Wirtschaft nie vor. Gerade Leipzig hat in den letzten Jahren stark davon profitiert, dass die Stadt auch bei Investoren und Unternehmensgründern als weltoffen und lebenswert galt.
Doch was passiert, wenn Geschäftsführer und Inhaber zunehmend das Gefühl haben, dass in Sachsen insgesamt mit einer zunehmend menschenfeindlichen Stimmung zu rechnen ist? Dass man auch gut ausgebildete Arbeitskräfte nicht binden kann, weil auch die lieber weltoffene und nicht menschenfeindliche Regionen bevorzugen?
Marcel Fratzscher: „Die Ausschreitungen in Chemnitz sind ein schlechtes Omen für Sachsens Zukunft. Die Unfähigkeit oder der Unwille von Polizei und Politik, den rechtsradikalen Kräften Einhalt zu gebieten und für Sicherheit zu sorgen, sind nicht nur ein politisches Armutszeugnis. Sie haben auch das Zeug, die soziale und wirtschaftliche Polarisierung in Deutschland voranzutreiben und viele Regionen Ostdeutschlands langfristig weiter abzuhängen.
Es kann ein erheblicher wirtschaftlicher Schaden entstehen – auch wenn sich dieser noch nicht seriös beziffern lässt. Die Politik, allen voran in Sachsen, muss sich endlich unmissverständlich zu Offenheit und Toleranz bekennen, ansonsten droht ein unwiderruflicher wirtschaftlicher Abstieg und eine weitere Marginalisierung.“
Es steht bei ihm zwischen den Zeilen: Es geht nicht nur um Sachsen. Es sind ja auch nicht nur sächsische Politiker aus dem ultrakonservativen Spektrum, die Migration ausgerechnet zur „Mutter aller Probleme“ erklären.
Es verblüfft schon, dass ausgerechnet der Bayer Horst Seehofer so eine Formel wählt. Spricht der nicht mehr mit den Unternehmern in seinem Land? Kriegt der nicht mit, dass auch Bayern ein Fachkräfteproblem bekommt und dass der internationale Wettbewerb um kluge Köpfe längst entbrannt ist? Oder wird das alles noch mit Ostdeutschen aufgefüllt, die in Chemnitz und anderswo panisch die Koffer packen?
Eigentlich ist es auch schon wissenschaftlich erwiesen, wie eine Region eigentlich wirtschaftlich ins Rocken kommt. Nicht durch die süßen Sprüche aus einer Staatskanzlei, sondern durch das weltoffene und kreative Klima im Land.
Da kriegt man schon so ein zitroniges Gefühl im Mund, wenn man an Sachsen denkt. Sachsen? Weltoffen und kreativ?
Marcel Fratzscher: „Der US-Ökonom Richard Florida zeigte bereits vor fast 20 Jahren, dass drei Ts – Technologie, Talente und Toleranz – entscheidend für Erfolg und Zusammenhalt und letztlich für den Wohlstand einer Gesellschaft sind. Nur wenn es einer Region gelingt, innovative Unternehmen genauso wie junge und motivierte Menschen anzuziehen und gleichzeitig durch Offenheit und Toleranz die Potenziale dieser Menschen und Unternehmen zu heben, kann diese langfristig wirtschaftlich und sozial erfolgreich sein.“
Diese Chance scheint die regierende CDU nicht wirklich ergreifen und begreifen zu wollen. Was man nicht nur am Herumgeeiere zum Rechtsextremismus merkt, sondern auch in der Bildungs- und Hochschulpolitik. Als wolle man das alles nicht. Lieber Zaun drumrum und dann rummuddeln wie vor dem Mauerfall. Schön unter sich hinterm Knallerbsenstrauch.
Dabei hat Sachsen „mit Dresden und Leipzig zwei dynamische Zentren, die sich gut entwickelt haben“, schreibt Fratzscher. „Aber deren Zukunft ist stark gefährdet. Vielen Regionen Ostdeutschlands fehlen mittelständische, innovative Unternehmen, die jungen Menschen eine Perspektive bieten. Junge Talente wählen ihren Lebensmittelpunkt aber nicht nur nach den beruflichen Perspektiven, sondern auch nach dem sozialen Umfeld.
Ausschreitungen wie in Chemnitz, Pegida-Demonstrationen in Leipzig oder Konflikte anderswo stoßen nicht nur Ausländerinnen und Ausländer ab. Das viel größere Problem ist, dass die Mehrheit der Deutschen nicht dort leben will, wo Intoleranz und Diskriminierung herrschen.“
Man merkt schon, wie der schlechte Ruf wirkt: Selbst Fratzscher kriegt nicht mit, dass es in Leipzig eben KEINE PEGIDA-Demonstrationen gibt.
Aber genau so funktioniert das, wenn sich ein „Vorzeige“-Bundesland systematisch seinen Ruf versaut. Nur: Es wird heftige und schlimme Folgen haben, wenn dieser Ruf gänzlich ruiniert ist.
Und gerade Sachsen wird kluge und kreative Zuwanderung brauchen, wenn es wirtschaftlich wenigstens in der zweiten Liga noch mithalten will. Da hilft das ganze Genöle gegen Ausländer und „Zugewanderte“ nicht die Bohne. Im Gegenteil: Es hält sogar ausgebuffte Investoren davon ab, ihr Geld in Sachsen zu investieren. Sie gehen lieber nach Schwaben und Berlin. In deutsche Regionen, wo man noch nicht das dumme Gefühl hat, hinter der nächsten Ecke mit irgendwelchen völkischen Sprüchen dumm angemacht zu werden.
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