Wenn in Deutschland Wachstumsprognosen und Arbeitsmarktentwicklungen berechnet werden, dann kommt das in der Regel immer irgendwie hin. Wenn nichts dazwischenkommt. Wirklich kluge Computer, die wirklich in der Lage sind, Entwicklungen hochzurechnen, gibt es noch nicht. Man behilft sich mit Formeln, die sich einigermaßen bewährt haben. Wenn etwa das BIP wächst, wächst irgendwie parallel auch die Beschäftigung. Und das wird wohl 2019 auch in Sachsen so bleiben, vermeldet die sächsische Arbeitsagentur.
Sie kann sich dabei auf die Berechnungen des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) der Bundesagentur für Arbeit berufen. Das steckt regelmäßig die Prognose-Zahlen für die Entwicklung des Brutto-Inlands-Produkts (BIP) in ihr Rechenprogramm, verbindet das mit den Trends der vergangenen Jahre und bekommt dann lauter Zahlen, die bis auf Kreisebene hinunter die wahrscheinliche Entwicklung der Beschäftigtenzahl und der Arbeitslosen irgendwie darstellen.
Und da auch für 2019 wieder ein Wachstum des BIP irgendwo um die 1,6 Prozent erwartet wird (was einige Medien schon wieder zu schlimmsten Befürchtungen animiert), ergibt sich damit aus dem Trend der vergangenen Jahre auch wieder ein Zuwachs an Beschäftigung – deutschlandweit um 1,8 Prozent, in Sachsen nur um 1,6 Prozent. Nur, muss man sagen. Denn der Blick auf Berlin (plus 3 Prozent) zeigt: Das Wirtschaftswachstum passiert in Deutschland schon lange nicht mehr in der Fläche, sondern in den Großstädten.
Das hat Folgen und Konsequenzen.
Aber Sachsens Regierung will sie so richtig nicht wahrhaben.
Und auch die Arbeitsagentur hilft da nicht weiter. Auch sie analysiert die tieferliegenden Ursachen für die Entwicklung nicht.
Sie freut sich nur, dass es erst einmal gute Zeichen für Sachsen 2019 gibt: „Bei einem anhaltenden Wachstum des realen Bruttoinlandsprodukts um 1,7 Prozent wird im Jahr 2019 die Beschäftigung in Sachsen erneut wachsen und die Arbeitslosigkeit weiter abnehmen. So könnten rund 26.000 zusätzliche Jobs entstehen und etwa 8.000 Menschen weniger auf der Suche nach einer neuen Arbeit sein.“
„Die Gründe für die Entwicklung sind die stabile Konjunktur und demografische Effekte. Diese Situation werden wir nutzen, um einerseits in die arbeitsplatznahe Weiterbildung der arbeitslosen und beschäftigten Menschen in Sachsen zu investieren und andererseits für schwer vermittelbare Menschen mehr Teilhabe am Arbeitsmarkt zu ermöglichen“, sagte Reinhilde Willems, Vizechefin und operative Geschäftsführerin der Regionaldirektion Sachsen der Bundesagentur für Arbeit (BA).
Ihren Verweis auf die „demografischen Effekte“ darf man nicht überlesen. Denn die sorgen 1. dafür, dass immer weniger Menschen in den Arbeitsmarkt eintreten, dass also die Suche nach Fachkräften immer schwerer wird, und 2. für das eigentliche Abschmelzen der Arbeitslosigkeit. Denn – darauf weist auch das IAB hin – es ist der SGB-II-Bereich (Hartz IV), wo die Arbeitslosenzahlen besonders stark zurückgehen. Nicht unbedingt, weil die dort Registrierten alle in Arbeit kommen. Gut zwei Drittel verschwinden rein aus Altersgründen aus der Statistik.
Bei einem prognostizierten Wachstum des Bruttoinlandsprodukts von 1,7 Prozent wird die sozialversicherungspflichtige Beschäftigung im Freistaat voraussichtlich um 1,6 Prozent oder 25.900 Beschäftigungsverhältnisse steigen. Damit würden kommendes Jahr in Sachsen durchschnittlich 1,638 Millionen Frauen und Männer einer sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung nachgehen. Mit Betonung auf „sozialversicherungspflichtig“. Rund 400.000 weitere sind in nicht-sv-pflichtigen Arbeitsverhältnissen zu finden. Über 2 Millionen Menschen sind in Sachsen in Arbeit.
Im Jahresdurchschnitt 2019 liege die Arbeitslosigkeit dann voraussichtlich um 6,4 Prozent oder 8.000 Frauen und Männer niedriger als in 2018, so die Landesarbeitsagentur. Damit wären im Jahresdurchschnitt 2019 insgesamt rund 117.800 Frauen und Männer in Sachsen arbeitslos gemeldet.
Auch die einzelnen sächsischen Regionen entwickeln sich im Jahr 2019 positiv. Die kräftigsten Beschäftigungsanstiege soll es in den Arbeitsagenturbezirken Leipzig (plus 2,4 Prozent), Dresden (plus 2,3 Prozent) und Pirna (plus 1,8 Prozent) geben. Die kräftigsten Rückgänge der Arbeitslosigkeit prognostizieren die Forscher für die Agenturbezirke Annaberg-Buchholz (minus 9,5 Prozent), Plauen (minus 8,3 Prozent) und Leipzig (minus 7,9 Prozent).
Auffällig ist im Vergleich aller 156 Arbeitsagenturbezirke, dass die Stadt Leipzig mit dem Beschäftigungsanstieg von 2,4 Prozent auf dem elften Platz bundesweit ist, gefolgt von der Stadt Dresden auf Platz 14. Annaberg-Buchholz hat im Bundesvergleich den zweitkräftigsten Rückgang der Arbeitslosigkeit. Kräftiger geht sie nur in Halberstadt (-9,7 Prozent) zurück. Der Agenturbezirk Plauen befindet sich im bundesweiten Ranking auf Platz elf.
Oder so formuliert: Gerade in den Regionen, wo eher wenige neue Arbeitsplätze entstehen, geht die Arbeitslosigkeit am stärksten zurück. Darüber wundert sich selbst das IAB und weist ausgerechnet Bremen und NRW „Rote Karten“ für unterdurchschnittliche Arbeitsmarktpolitik zu.
Aber es gibt in Deutschland keine Arbeitsmarktpolitik. Es gibt nur Flickschusterei. Man bemerkt zwar immer wieder irgendwie verblüfft, dass die Leute wandern – und zwar dahin, wo die neuen Jobs entstehen – und dass sich dazu ganze strukturschwache Regionen entleeren (was ja bekanntlich auch die politische Stimmung kippen lässt), aber man ist nicht gewillt, daraus irgendwelche Schlüsse zu ziehen.
Das ist im besten Fall Arbeitslosigkeitsverwaltung. Nicht mehr.
„Fachkräftesicherung wird immer wichtiger. Hier sind die Betriebe gefordert, in ihre Mitarbeiter und die Attraktivität ihrer Arbeitsplätze zu investieren“, meint Willems noch. Und liegt völlig daneben. Das ist Placebo-Politik. Auch der Rest, den sie benennt. „Auch die Arbeitsagenturen und gemeinsamen Jobcenter helfen hierbei. So investieren wir mit Qualifizierungen in die berufliche Bildung der arbeitslosen Frauen und Männer. Gemeinsam mit den Betrieben und den Partnern am Markt wollen wir einen Beitrag dazu leisten, künftige und bereits Beschäftigte fit zu machen – für die Anforderungen die der technische Wandel mit sich bringt.“
Man bereitet Menschen auf die „Anforderungen des technischen Wandels“ vor, indem man das Bildungssystem endlich reformiert und die Kinder wirklich bildet. Und damit fit macht für eine Welt, in der sich die Anforderungen permanent verändern. (Wovor haben die Sachsen den sonst so eine panische Angst?)
Und indem man gleichzeitig die funktionierenden Wirtschaftsstrukturen stärkt. Denn wenn die funktionieren, strahlt das ins Land aus, zieht das die benachbarten Regionen mit.
Die oben genannten Zahlen sind übrigens nur Durchschnittswerte. Sachsen kann auch mit einem eher miesen Beschäftigungswachstum von 0,5 Prozent über die Ziellinie gehen, wenn zum Beispiel die Sanktionen von Donald Trump und der Brexit voll durchschlagen. Es könnten aber auch 2,7 Prozent werden wie in NRW. Zum Beispiel weil die Dienstleistungsbranche weiter so wächst wie in den letzten Jahren. Und die wird selbst dann wachsen, wenn der Export eine Krise erlebt.
Und für Leipzig ist die Spanne der Erwartungen noch größer, von 0,8 Prozent Beschäftigungszuwachs bis 3,9 Prozent. Was aber auch in die Hose gehen kann, wenn auf einmal zu viele Wohnungen und Büroflächen fehlen und die Wütenden im Land dann auch noch eine rechtsradikale Partei an die Regierung wählen.
Denn Politik und Wirtschaftsentwicklungen haben eine Menge miteinander zu tun. Auch im negativen Sinn.
Die neue Leipziger Zeitung Nr. 59 ist da: Zwischen Überalterung und verschärftem Polizeigesetz: Der Ostdeutsche, das völlig unbegreifliche Wesen
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