Es ist nicht wirklich erklärbar, warum Dietmar Woidke, der Ministerpräsident von Brandenburg, und Stanislaw Tillich, der damalige Ministerpräsident von Sachsen, mit aller Macht eine Kommission zum Kohleausstieg in der Lausitz verhindert haben. Erklärt haben sie es öffentlich nie. Die Wahlergebnisse hätte so ein Vorstoß nicht berührt. Aber er hätte den Bewohnern der Lausitz ein klares Signal gegeben: Wir nehmen eure Zukunft ernst. Die Kommission gibt es jetzt – mit zweijähriger Verspätung.
Im Bundeswirtschaftsministerium wird eine Kommission eingerichtet, die bis Ende 2018 ein Aktionsprogramm zu den Themen Kohleausstieg und Strukturwandel erarbeiten soll. Dafür gab Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) am Freitag, 16. März, in Berlin den Startschuss.
„Auch wenn die Kommission zu spät kommt und in entscheidenden Fragen nicht wirklich Entscheidungsspielraum besteht – es ist nun doch eine Kohleausstiegskommission. Genau das hatte der ehemalige sächsische Ministerpräsident Stanislaw Tillich (CDU) gemeinsam mit seinem Brandenburger Kollegen Dietmar Woidke im Jahr 2016 zu verhindern versucht“, resümiert Gerd Lippold, energie- und wirtschaftspolitischer Sprecher der Grünen-Fraktion im Sächsischen Landtag, das Versagen von Woidke und Tillich. „Ein Ausstieg aus mindestens der Hälfte der Braunkohleverstromung vor 2030 stand seit 2016 ganz klar und deutlich in den Zahlen des ‚Klimaschutzplan 2050‘ der Bundesregierung. Dennoch durfte er als Begriff aus Sicht der sächsischen Staatsregierung dort keinesfalls erscheinen. Der sächsischen Staatsregierung erschien es vor der herannahenden Bundestagswahl unmöglich, den Menschen in den Revieren reinen Wein einzuschenken. Genützt hat dieses Versteckspiel nichts.“
War es wirklich die herannahende Bundestagswahl? Dann zeigt dieses Versagen, wie sehr sich die Landesregierungen in Brandenburg und Sachsen schon von ihren Wählern entfernt haben. Menschen erwarten von der Politik Lösungsvorschläge, keine Heile-Welt-Inszenierungen. In Watte gepackt wurden die Ostdeutschen 40 Jahre lang. Umso verblüffender ist, dass auch heutige Landesregierungen dasselbe vormundschaftliche Verständnis vom Regieren haben: Alles wird auf Kabinettsebene geklärt, nichts erklärt – und Probleme schweigt man einfach weg, selbst dann, wenn sie zum Himmel stinken.
Vielleicht haben deshalb so viele Sachsen das Gefühl, dass sie es wieder mit einer politischen Elite zu tun haben, mit der man nicht mehr reden kann, die selbst die elementarsten Probleme ignoriert.
„Ich fordere den Ministerpräsidenten Michael Kretschmer (CDU) und seinen Vize, Wirtschaftsminister Martin Dulig (SPD), dazu auf, endlich mit der Arbeit zu beginnen“, formuliert Lippold seinen Frust auf diese alte, unaushaltbare Kabinettspolitik des Wegschweigens: „Ihre Aufmerksamkeit und Ihr Handeln sollte den Interessen hunderttausender Menschen in den Regionen gehören, in denen bisher die Kohle ein Identifikationsthema war. Sorgen Sie dafür, dass Unterstützung von der EU, vom Bund und vom Land dort wirklich ankommt. Sorgen Sie vor allem dafür, dass sie in nachhaltige, zukunftssichernde Projekte und Investitionen fließt. Wird die Förderung hingegen in Sackgassen geleitet, um den Abschied von der Kohle zu verzögern, so ist das Geld am Ende vergeudet – und es fehlen neue Perspektiven.“
Die Staatsregierung müsse die zahlreichen Ideen und Initiativen aus der Zivilgesellschaft aufnehmen, in der seit Jahren vor Ort über eine Zukunft nach der Kohle diskutiert wird.
„Nur so lässt sich Akzeptanz erhalten. Nur so können die Menschen notwendige Veränderungen zur eigenen Angelegenheit machen. Entscheidungen im fernen Berlin oder Dresden über die Köpfe hinweg – das wäre der sicherste Weg, um Tatendrang in Frustration umschlagen zu lassen“, beschreibt Lippold das Problem. „Die Kohleregionen haben nichts davon, wenn sich die Staatsregierung als Lobbyistin der Kohlewirtschaft darum bemüht, tschechischen Oligarchen den Kohleausstieg zu vergolden. Volle Konten in Steuerparadiesen sichern weder die Zukunftsfähigkeit der Regionen noch die Renaturierung nach Ende des Bergbaus.“
Kann es sein, dass Politiker wie Tillich und Woidke in falschen Denkmustern gefangen sind, in denen ihnen die Macht von Konzernen als größer erscheint als die eigene Handlungsfähigkeit? Zumindest sahen all die Nicht-Reaktionen der sächsischen Regierung danach aus. Mit genau dem Ergebnis, das es dann zur Bundestagswahl 2017 gab: Einem regelrechten Misstrauensvotum der Bürger, die sich von so einer Art Wirtschaftspolitik nicht mehr vertreten fühlen.
„Deshalb darf es bei der Arbeit der Kommission nicht vor allem um Stilllegungsprämien für Kohlekraftwerksblöcke nach dem Vorbild der unsinnigen ‚Sicherheitsreserve‘ gehen. Bereits beim Vattenfall-Ausstieg war klar: selbst die modernsten Braunkohlekraftwerke sind unter dem Strich nichts mehr wert. Ebenso wenig wie die genehmigten Kohlereserven. Neue europäische Schadstoffgrenzwerte markieren fast alle Kohlekraftwerke mit einem weiteren Verfallsdatum“, sagt Lippold das, was zum Thema mindestens die Handlungsgrundlage sein müsste. „Jetzt kommt es darauf an, den nach der Wiedervereinigung vielleicht größten Entwicklungsschub für die Lausitz und das mitteldeutsche Revier zu ermöglichen. Heute besteht bundesweit gesellschaftlicher Konsens, die Braunkohleregionen dabei massiv zu unterstützen. Das Zeitfenster für verbindliche Festlegungen ist jedoch schmal. Denn auch viele andere Regionen in der Bundesrepublik kämpfen mit Strukturwandelproblemen. Wirksame Hilfe für die Kohleregionen gelingt nur, wenn völlig klar ist: sie ist untrennbar mit dem raschen, verbindlichen Kohleausstieg als dem besonderen Beitrag der Regionen zur Erreichung nationaler Klimaschutzziele verbunden.“
Denn die Alternative zu einem geplanten und gestalteten Kohleausstieg ist eben nicht das Weiterfeuern bis 2042, sondern ein abruptes und ungeplantes Ende – nämlich dann, wenn die Konzernleitung feststellt, dass kein Plus mehr erwirtschaftet wird.
„Dazu gehört, das Ende der Kohleära verbindlich zu definieren“, sagt Lippold. „Entscheidungsspielraum zum ‚Ob‘ hat die Kommission dabei nicht. Die verbindlichen Klimaschutzziele für das Jahr 2030 und der Pariser Klimaschutzvertrag setzen die unverrückbaren Wegmarkierungen.“
Und selbst wenn diese Klimaschutzziele – wie in der letzten Merkel-Regierung – wieder „verschusselt“ werden, gibt es knallharte Bruchkanten, an denen Kohleverstromung und Kohlebergbau sich nicht mehr rechnen. Darüber entscheiden der Strompreis an den Börsen und die noch absetzbare Strommenge aus den Kraftwerken. Dann entscheidet ein Konzernvorstand, dass Ende Gelände ist. Und die Bewohner der Region stehen dumm da, weil die zuständige Politik so getan hat, als ginge sie das alles nichts an.
In der Lausitz droht Sachsen ein Schaden in Milliarden-Dimension
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