Der Unmut in Sachsen, der sich im September so deutlich auch im Bundestagswahlergebnis niederschlug, hat auch damit zu tun, dass Sachsen wie kaum ein anderes Bundesland über Jahre zum Experimentierfeld für prekäre Arbeitsverhältnisse wurde. Sogar Wirtschaftsminister priesen den Freistaat als Niedriglohnland an. Und es ist keine Überraschung, dass die Sachsen ihre Arbeitswelt auch heute noch negativer bewerten als der Bundesdurchschnitt.

Der Frage ging der DGB-Index „Gute Arbeit“ nach. Um sie speziell für Sachsen zu beantworten, wurden im Jahr 2016 erstmalig 1.200 Beschäftigte in Sachsen befragt. So sind auch Vergleiche mit den Werten für Deutschland insgesamt möglich. Und diesmal ist der Wirtschaftsminister tatsächlich interessiert daran, die Sache besser zu machen.

„Wenn wir mehr ‚Gute Arbeit‘ für Sachsen wollen, dann kommt es zuallererst auf die Einschätzung der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer an. Die Befragung für Sachsen im Rahmen des DGB-Index ist ein folgerichtiger Schritt“, erklärte Wirtschafts- und Arbeitsminister Martin Dulig (SPD) am Freitag, 22. Dezember.

Der DGB-Index „Gute Arbeit“ ist eine repräsentative Befragung von Beschäftigten aller Branchen, die der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) einmal im Jahr durchführt. Von Januar bis Mai 2016 wurden anhand eines Fragebogens mündliche Befragungen durchgeführt. Für Auswertungen in Sachsen liegen von 1.020 Beschäftigten verwertbare Befragungsergebnisse vor. Diese stehen stellvertretend für die Grundgesamtheit der Arbeitnehmer und Beamten am Arbeitsort Sachsen, ohne Freiberufler und Selbstständige.

Wichtigstes Ergebnis:

Die allgemeine Arbeitsqualität wird durch die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in Sachsen deutlich kritischer bewertet als in Deutschland insgesamt und auch in Ostdeutschland: 26 Prozent der sächsischen Beschäftigten bewerten ihre Arbeitsqualität als „schlecht“ (gegenüber Deutschland: 21 Prozent und Ostdeutschland: 24 Prozent).

Gründe dafür sind vor allem die „Arbeitszeitlage“ – also Abend-, Nacht- und Wochenendarbeit – und hohe „körperliche Anforderungen“. Besonders schwer wiegt der hohe Anteil an Schichtarbeit: 35 Prozent gaben an, regelmäßig oder gelegentlich in Schichten zu arbeiten (Deutschland: 17 Prozent, Ostdeutschland: 22 Prozent). Die Qualität der Arbeit wird grundsätzlich positiver beschrieben, je qualifizierter die Tätigkeit ist.

Oft genug haben die befragten Sachsen aber gar keine Wahl. Viele Unternehmen haben sich ja gerade deshalb in Sachsen angesiedelt, weil sie hier auch solche ganz besonderen Rahmenbedingungen für exzentrische Arbeitszeiten und knappste Entlohnung vorfanden. Und eine Landschaft, in der Gewerkschaften seit Jahren marginalisiert sind.

„Die kritische Einschätzung der Beschäftigten in Sachsen zu ihren Arbeitsbedingungen muss ernst genommen werden“, erklärt der sächsische DGB-Vorsitzende Markus Schlimbach. „Insbesondere wenn es um die Weiterbildung- und Entwicklungsmöglichkeiten, die Einflussmöglichkeiten im Betrieb sowie die Führungskultur in Unternehmen geht, zeigt sich eine deutliche Differenz zum bundesdeutschen Durchschnitt. Aber auch die Einkommen und die betrieblichen Sozialleistungen werden in Sachsen kritischer beurteilt. In den Unternehmen brauchen wir mehr Respekt und Wertschätzung im Umgang mit den Beschäftigten. Wer heute Fachkräfte halten und entwickeln will, muss die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in Sachsen besser behandeln. Sachsens Betriebe haben noch Luft nach oben bei der Arbeitsqualität und der Zufriedenheit der Mitarbeiter.“

Denn der Wind hat sich längst gedreht: Heute herrscht in vielen Branchen schon ein Fachkräftemangel, ohne dass sich die betroffenen Unternehmen bemüßigt fühlen, die Arbeitsbedingungen zu verbessern. Lieber fährt man das Personal weiter auf Verschleiß und wirtschaftet, als gäbe es da draußen noch immer unendlich lange Schlangen von Bewerberinnen und Bewerbern, die jede Zumutung auf sich nehmen.

Heftigste Folge für die Betroffenen: Sie leiden stärker als Erwerbstätige in anderen Bundesländern an körperlichen und psychischen Verschleißerscheinungen.

Wenn du alt bist, bist du ein Wrack

Die Einschätzung der eigenen Arbeitsfähigkeit bis zum regulären Rentenalter liegt bei den sächsischen Beschäftigten in etwa auf dem ostdeutschen Level (43 Prozent), aber deutlich unter dem Bundesdurchschnitt (51 Prozent). Die Qualität der Arbeitsbedingungen übt darauf einen starken Einfluss aus, stellt den auch das SMWA fest.

Etliche Befunde zum gesundheitlichen Zustand der Befragten sind alarmierend.

Die Beschäftigten in Sachsen, die Schichtarbeit und/oder körperlich schwere Arbeit leisten, werden nach eigener Einschätzung ihre derzeitigen Tätigkeit mehrheitlich (72 Prozent) nicht bis zum regulären Renteneintritt ausüben können.

„Die Ergebnisse des DGB-Index zeigen, dass ‚Gute Arbeit‘ in Sachsen leider noch keine Normalität ist“, sagt Staatsminister Martin Dulig. „Deshalb ist es richtig, dass wir uns für Gute Arbeit einsetzen, etwa mit einem Förderbonus bei der Investitionsförderung als Anreiz für Tariflöhne.“

Kritische Einschätzung bei Auswirkungen der Digitalisierung auf die Arbeitswelt

Digitalisierung ist bereits ein fester Bestandteil des Arbeitsalltags. Im Freistaat arbeiten 56 Prozent der Beschäftigten „in hohem bzw. sehr hohem Maß“ mit digitalen Mitteln. Nur ein kleiner Anteil der Befragten (18 Prozent) gab an, „gar nicht“ mit digitalen Mitteln zu arbeiten. Es geht also längst nicht mehr darum, dass Digitalisierung in der Wirtschaft endlich Fuß fasst.

Aber die Beschäftigten werden oft genug nur als reines Anhängsel der Technologie betrachtet – augenscheinlich jederzeit ersetzbar, so dass sich manches Unternehmen gar nicht die Mühe gibt, die Beschäftigten souverän zu machen im Umgang mit der IT.

Und so fühlen sich viele Befragte den neuen Technologien ausgeliefert. 72 Prozent der sächsischen Beschäftigten sehen für sich nur geringe Möglichkeiten, auf die Art und Weise des Einsatzes der digitalen Technik Einfluss zu nehmen.

Ein Ohnmachtsgefühl, das nicht unbedingt davon erzählt, dass die beschäftigenden Unternehmen ihre Angestellten wirklich ernst nehmen oder gar Wert darauf legen, sie zu Gestaltern ihrer eigenen Arbeit zu machen. Noch immer herrscht ein Geist vor, der Fachpersonal für austauschbar und unpersönlich hält und nicht als gut ausgebildete Ressource betrachtet.

Natürlich werden mit der Digitalisierung auch Chancen verbunden, z. B. für die bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Aber so betrachten augenscheinlich viele Unternehmen die Sache nicht. Sie sehen eher die Gelegenheit, ihr Personal noch stärker auf Leistung zu trimmen. Die IT wird zum Arbeits-Beschleuniger, nicht zum Arbeits-Entlaster.

Eine Mehrheit der Beschäftigten in Sachsen gibt also an, eine steigende Arbeitsmenge bewältigen zu müssen (58 Prozent).

Ein Thema, bei dem sich selbst der Minister fragt, warum die sächsischen Unternehmen das wertvolle Personal derart auf Verschleiß fahren. Denken die nicht an Morgen?

„Menschen müssen zur Ruhe kommen können – auch, um ihre Leistungsfähigkeit zu erhalten“, stellt Martin Dulig dazu fest. „Dazu gehören geregelte Arbeitszeiten und ein Arbeitspensum, das zu bewältigen ist, ohne die eigene Gesundheit zu gefährden. Die Digitalisierung braucht Regeln, damit die Technik zuallererst dem Menschen dient und nicht der Mensch der Technik.“

Noch aber scheint es in Sachen genau andersherum zu sein. Der Schalter ist noch längst nicht umgelegt. Und die Folgen werden vor allem all jene Branchen zu spüren bekommen, die das Personal noch immer so behandeln, als müsste es dankbar sein, überhaupt unter miesen Verhältnissen, hohem Druck und extremem Zeitmangel arbeiten zu dürfen. Diesen Branchen werden schlicht die Bewerber ausgehen.

Fast so etwas wie eine Geburtstagsausgabe – Die neue LZ Nr. 50 ist da

Über das Trotzdem-Zeitungmachen, alte Sachsen-Seligkeit, die Bedeutung des Kuschelns und die Träume der Leipziger

So können Sie die Berichterstattung der Leipziger Zeitung unterstützen:

Ralf Julke über einen freien Förderbetrag senden.
oder

Keine Kommentare bisher

Schreiben Sie einen Kommentar