Fรผr FreikรคuferMan wรผnscht sich ja einen Ministerprรคsidenten, der wenigstens eine Ahnung hat von dem, was er sagt und schreibt. Der sich auch Sorgen um die Gesundheit seiner Sachsen macht und nicht alles nachplappert, was ihm die Bosse groรŸer Energieunternehmen ins Ohr flรผstern. Aber so einen Ministerprรคsidenten haben die Sachsen nicht. Was Stanislaw Tillich mit seinem Lobbybrief fรผr die Kohlewirtschaft leider bewiesen hat.

In dem Brief appellierte der sรคchsische Ministerprรคsident im Namen der Braunkohlelรคnder an die Bundesregierung, die Einfรผhrung neuer Schadstoffgrenzwerte fรผr Kohlekraftwerke zu blockieren. Aber Stanislaw Tillichs Aussagen hinsichtlich der neuen, ab dem Jahr 2021 einzuhaltenden EU-Grenzwerte fรผr Emissionen aus groรŸen Verbrennungsanlagen, zu denen auch die sรคchsischen Braunkohlekraftwerke gehรถren, halten nach Meinung der sรคchsischen Grรผnen keiner Prรผfung stand.

Tillich hatte behauptet: โ€žBei den Quecksilberwerten sagen unisono alle Beteiligten, (โ€ฆ) dass es dafรผr keine technische Lรถsung auch in absehbarer Zeit fรผr diese so verschรคrften Grenzwerte gibt.โ€œ

Aber diese Behauptung รผbersteht keinen Faktencheck, stellt Dr. Gerd Lippold, energiepolitischer Sprecher der Grรผnen-Fraktion im Sรคchsischen Landtag, fest.

Woher bezieht Tillich seine Argumente?

โ€žDer Ministerprรคsident bezieht sich offenbar auf ein โ€šunabhรคngigesโ€˜ Gutachten, das die Berliner Kanzlei Freshfields Bruckhaus Deringer im Auftrag des Deutschen Braunkohle-Industrievereins DEBRIV erstellt hat. Dieses DEBRIV-Gutachten zieht seine Aussagen zu Grenzwerten aus Stellungnahmen von Prof. Kather (TU Hamburg-Harburg) fรผr den VGB PowerTech e.V., einen Zusammenschluss von Kraftwerksbetreibern. Doch selbst dieses Auftragsgutachten der Kraftwerksbetreiber ist nicht geeignet, die konkrete Aussage von Ministerprรคsident Tillich zu untermauernโ€œ, geht Lippold auf die Quellenlage ein.

Denn wenn ein Politiker wie Tillich behauptet, โ€žsagen unisono alle Beteiligtenโ€œ, dann muss es dafรผr immer auch eine Quelle geben, auf die sich โ€žunisonoโ€œ alle beziehen, die mit harten Bandagen gegen strengere Umweltauflagen kรคmpfen.

Ist der neue EU-Grenzwert wirklich zu streng?

โ€žDie kritisierte EU-Richtlinie beschreibt den aktuellen Stand der Technik. Sie benennt dazu die Bandbreite der Emissionen des schadstoffรคrmsten Drittels der bereits in Betrieb befindlichen, modernen Kohlekraftwerke. Sinn dieser Vorgehensweise ist, Fortschritte beim Stand der Technik auch in Verbesserungen beim Schutz der Bevรถlkerung vor besonders gesundheitsschรคdlichen Luftschadstoffen zu รผbertragen โ€“ in einem transparenten Verfahren und mit groรŸzรผgigen รœbergangsfristen. Die untere Grenze der beschriebenen Bandbreite steht dann jeweils fรผr die saubersten Anlagen ihrer Art, die obere Grenze soll im weiteren Prozess den Richtwert fรผr die neu angepassten, nationalen Emissionsgrenzwerte bildenโ€œ, erlรคutert Lippold.

Die EU diskutiert noch gar nicht รผber den strengstmรถglichen Wert, sondern um den leichter erreichbaren oberen.

โ€žDie so beschriebene Bandbreite betrรคgt etwa fรผr das hochgefรคhrliche Nervengift Quecksilber < 1โ€ฆ7 ยตg/Nm3 (Mikrogramm je Normkubikmeter) aus Abgasmessungen an bereits in Betrieb befindlichen, groรŸen Braunkohlekraftwerkenโ€œ, stellt Lippold fest.

Wie aber kommt das DERIV-Gutachten zu einer anderen Aussage? โ€“ โ€žDas DEBRIV-Gutachten bemรคngelt Fehler bei der Umrechnung von amerikanischen in europรคische BezugsgrรถรŸen und bei der Auswahl der erfassten Anlagen. Es stellt deshalb die Datengrundlage fรผr untere Grenze von <1 ยตg/Nm3 infrage. Diese untere Grenze ist aber gar nicht relevant fรผr die spรคtere nationale Grenzwertsetzung im weiteren Prozess, sondern die sehr viel hรถhere obere Grenze von 7 ยตg/Nm3โ€œ, sagt Lippold. โ€žMein Eindruck ist, dass der Ministerprรคsident hier die interne Sprachregelung der Braunkohleindustrie รผbernommen hat, mit der sie ihre Strategie klarmacht: der aktuelle Prozess zur Anpassung der Luftschadstoffgrenzwerte an den Stand der Technik soll grundsรคtzlich angegriffen werden, indem er als fehlerhaft dargestellt wird.โ€œ

Die 7 ยตg/Nm3 sind also bei den bestehenden Anlagen in der Regel mit einer Aufrรผstung der Filter leicht zu erreichen. Aber auch das kostet Geld, welches das auf Rendite getrimmte Unternehmen wie die LEAG nicht unbedingt ausgeben mรถchte.

โ€žEs mag fรผr die Geschรคftsfรผhrung der LEAG nicht angenehm sein, dem tschechischen Eigentรผmer die Nachricht รผberbringen zu mรผssen, dass man sich hier โ€“ wie auch bei der Entschlossenheit zum nationalen Klimaschutz โ€“ mรถglicherweise verspekuliert hat. Man mag sogar verstehen, dass die Braunkohlenunternehmen so gut wie mรถglich ihre eigenen, wirtschaftlichen Interessen vertreten โ€“ und sei es auf dem Weg der Klageโ€œ, benennt Lippold seine Vermutungen, woher Stanislaw Tillich seine Argumente fรผr den Brandbrief bezogen haben mag. โ€žWenn sich jedoch ein sรคchsischer Ministerprรคsident โ€“ noch dazu in รถffentlicher Spiegelfechterei โ€“ in vรถllig unkritischer Weise zum Sprachrohr dieser Interessen macht, so ist das skandalรถs. Denn das Ziel dieses europรคischen Prozesses ist, Leben und Gesundheit von Millionen Menschen zu schรผtzen, indem dafรผr das technische und wirtschaftlich lรคngst Mรถgliche auch getan wird. Auch fรผr vier Millionen Menschen in Sachsen, denen die sรคchsische Staatsregierung per Amtseid zur Abwehr von Schaden verpflichtet ist.โ€œ

Sind die EU-Grenzwerte utopisch?

โ€žDas Gutachten zielt deshalb auch gar nicht auf eine Korrektur der berechneten Grenzwerte, sondern sieht in der behaupteten Unsicherheit der Datenlage einen juristischen Hebel, um den aktuellen europรคischen Prozess zur Reduzierung von Schadstoffgrenzwerten grundsรคtzlich anzugreifen. Indem sich der Ministerprรคsident nun offensichtlich mit seinen Aussagen auf Unsicherheiten um die Untergrenze der Emissionsbandbreite bezieht, macht er sich zum Sprachrohr einer Scheindebatteโ€œ, findet Lippold.

Der von der EU angestrebte Grenzwert ist dabei sogar nicht einmal ambitioniert.

โ€žBereits nach heute gรผltigen Vorgaben aus der Industrie-Emissionsrichtlinie dรผrfen die Braunkohlekraftwerke ab 2019 einen Jahresmittelwert von 10 ยตg/Nm3 nicht mehr รผberschreiten. Der sรคchsische Braunkohlenkraftwerksbetreiber LEAG hat bislang zugesichert, Grenzwerte einhalten zu kรถnnen. Wer aber sicher davon ausgeht, 10 ยตg/Nm3 im Jahresdurchschnitt trotz stรคndig, zum Teil stark schwankender Emissionen zu schaffen, fรผr den dรผrfen auch 7 ยตg/Nm3 nicht jenseits der technischen Machbarkeit liegen. Von einer grundsรคtzlichen Nichterreichbarkeit der Vorgaben, von denen Ministerprรคsident Tillich spricht, kann also keine Rede seinโ€œ, stellt der Abgeordnete fest, der dabei auch den Blick รผber den GroรŸen Teich nicht scheut.

โ€žIn den USA mรผssen รผbrigens alle Braunkohlekraftwerke seit 2015 einen bereits 2012 festgelegten, im DEBRIV-Gutachten sogar explizit genannten Grenzwertbereich von 5-5,6 ยตg/Nm3 einhalten. Sie mรผssen also bereits seit 2015 deutlich sauberer sein, als es kรผnftig in Europa mit 7 ยตg/Nm3 zu fordern wรคre. Vom sรคchsischen Ministerprรคsidenten wird das jedoch heute fรผr unmรถglich erklรคrt. In den USA war es mรถglich. Dort lieรŸen sich die schรคrferen Grenzwerte mit der Nachrรผstung von etwa einem Drittel der Kraftwerke mit existierender Technik erreichen.โ€œ

Die gesundheitlichen Folgen des Quecksilber-AusstoรŸes

Der Grund der entschlossenen Anstrengungen zur Minderung von Quecksilberemissionen in den USA war damals der mit รผberwรคltigender Datenbasis erbrachte Nachweis, dass Hirnentwicklung und spรคtere Intelligenz von Fรถten, Sรคuglingen und Kleinkindern ganz unmittelbar von der Quecksilberkonzentration im Blut beeintrรคchtigt werden. Die Politik hatte keine Alternative, als bei der Kohleverstromung als der Hauptquelle des Luftschadstoffs Quecksilber zu handeln.

โ€žWarum Kohleprotagonisten in Europa der Meinung sind, dass Kleinkinder hier mehr Quecksilber vertragen kรถnnen, ist schleierhaftโ€œ, meint Lippold.

Die โ€“ in den USA offenbar erfolgreichen โ€“ technischen Nachrรผstungen erfolgen mit je nach Anwendungsfall verschiedenen, seit Jahren beschriebenen Verfahren und Anlagen der bedeutenden Kraftwerksausrรผster. Diese Unternehmen, die in Europa praktisch sรคmtliche Kohlekraftwerke gebaut bzw. ausgerรผstet haben, sind im Industrieverband EPPSA organisiert. Dieser Verband hat bereits 2015 in einem Bericht zur Reduzierung der Quecksilberemissionen explizit beschrieben, welche technischen Lรถsungen fรผr Quecksilber-Rรผckhalteeffizienzen von รผber 95 % zur Verfรผgung stehen. Damit wรคren sogar noch weitergehende Absenkungen der Quecksilberemissionen machbar, als in der Stand-der-Technik-Bandbreite der EU beschrieben, die der Ministerprรคsident jetzt angreift.

โ€žDas DEBRIV-Gutachten liefert fรผr das Nervengift Quecksilber in eigener Nachrechnung statt der Emissionsbandbreite von <1-7 ยตg/Nm3 eine Bandbreite von 5-9 ยตg/Nm3. Auch diese liegt somit noch immer vollstรคndig unterhalb der bislang ab 2019 geltenden 10 ยตg/Nm3-Grenzeโ€œ, stellt Lippold fest. โ€žDie Industrie geht also selbst davon aus, Quecksilberemissionen noch weiter reduzieren zu kรถnnen und zu mรผssen.โ€œ

Was aber Tillich und die Konzernspitzen der Kohlewirtschaft wollen, ist aus seiner Sicht eindeutig: โ€žEs geht nicht um andere, doch immerhin niedrigere Grenzwerte. Es geht darum, den Prozess zur Umsetzung machbarer Verbesserungen fรผr den Gesundheitsschutz von Millionen Menschen in Europa so lange wie mรถglich zu blockieren und durch langwierige juristische Geplรคnkel hinauszuzรถgern. Dafรผr kann es nur einen Grund geben โ€“ Verbesserungen kosten Geld.โ€œ

Noch grรถรŸere Quecksilberprobleme als die Kraftwerke in der Lausitz hat รผbrigens โ€“ aufgrund der verfeuerten Kohlequalitรคt โ€“ das Kraftwerk Lippendorf im Leipziger Sรผdraum. Hier sorgen die Kraftwerksaschen aktuell fรผr heftige Diskussionen.

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Es gibt 4 Kommentare

Keine Sorge Harald, der โ€œKommentarโ€ ist ein Zitat und die Frage reine Neugier. Denn wer mit dem Leben und der Gesundheit von Menschen spielt, scheint selbst ja nicht betroffen zu sein und war es wahrscheinlich auch nie. Sonst wรผrde er aufgrund seiner eigenen Erfahrungen ja nicht so handeln wie er es nun mal tut. Oder etwa doch?^^

Die Stadtwerke Leipzig versorgen einen erheblichen Anteil Leipziger Haushalte mit Fernwรคrme. Diese wird ausschlieรŸlich aus Lippendorf bezogen.
Sind die Stadtwerke Leipzig somit mitverantwortlich fรผr eine Infantilisierung der Bevรถlkerung?

@Sabine Eikert:
Ein sehr treffender Kommentar, hoffentlich kommt der Herr Tillich auf die Idee, dagegen vorzugehen. Auf die dann folgend Argumentation wรคre ich sehr gespannt!

โ€œDer Grund der entschlossenen Anstrengungen zur Minderung von Quecksilberemissionen in den USA war damals der mit รผberwรคltigender Datenbasis erbrachte Nachweis, dass Hirnentwicklung und spรคtere Intelligenz von Fรถten, Sรคuglingen und Kleinkindern ganz unmittelbar von der Quecksilberkonzentration im Blut beeintrรคchtigt werdenโ€
Wo genau ist Tillich eigentlich aufgewachsen?^^

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