Für FreikäuferDer Kampf um die Sonntagsöffnungen von Geschäften in sächsischen Innenstädten wird seit Jahren mit harten Bandagen geführt. Auch mit ordentlich harten Gerichtsverhandlungen, Klagen, Korrekturen, neuen Argumenten. Die IHK zu Leipzig hat jetzt ein Rechtsgutachten vorgelegt, das die Handlungsmöglichkeiten der Kommunen ausleuchtet. Aber eigentlich geht es um etwas völlig Anderes: Die Folgen einer kompletten Deregulierung an anderer Stelle.
Denn dass städtische Händler unter Umsatzrückgängen leiden, hat ja nicht mit der Unattraktivität der Innenstädte zu tun, in Leipzig schon gar nicht. Im Gegenteil: Gegenüber den Einkaufs-Centern auf der betonierten Wiese hat gerade Leipzigs Innenstadt kräftig Marktanteile zurückgeholt. Was auch mit den deutlich besseren ÖPNV-Anbindungen zu tun hat. Mit der S-Bahn kann man direkt bis unter den Markt fahren. Welche andere Stadt kann das bieten?
Und wenn Leipzigs Stadtrat die vier möglichen verkaufsoffenen Sonntage fürs nächste Jahr beschließt, dann wird immer zuallererst an die City gedacht, auch wenn man die Sonntagsöffnungen möglichst in Zeiten mit besonderen Festen und Adventen legt.
Aber der Auslegungsrahmen ist eng.
An nur vier Sonntagen im Jahr haben Städte und Gemeinden in Sachsen die Möglichkeit, den Bürgern ein besonderes Einkaufserlebnis zu bieten. Unter der Maßgabe eines besonderen Anlasses ist eine Ladenöffnung an Sonntagen von 12 Uhr bis 18 Uhr gestattet. An den notwendigen Anlass stellen die Gerichte jedoch immer höhere Anforderungen. So wurde in der jüngsten Vergangenheit immer weniger Gebrauch von dieser Möglichkeit gemacht. Drohende oder ergangene gerichtliche Entscheidungen sind der Grund hierfür.
„Diese Situation ist im höchsten Maße unbefriedigend. Gemeinden und Händler brauchen zukünftig wieder mehr Planungs- und Rechtssicherheit“, findet Dr. Thomas Hofmann, Hauptgeschäftsführer der Industrie- und Handelskammer (IHK) zu Leipzig.
Das Gutachten zum rechtlichen Rahmen
Unter anderem im Auftrag der Landesarbeitsgemeinschaft der Sächsischen Industrie- und Handelskammern sowie weiterer Industrie- und Handelskammern hat sich nunmehr Professor Dr. Johannes Dietlein von der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf mit dem Thema befasst. In seinem Gutachten kommt der Experte für Öffentliches Recht und Verwaltungslehre zu dem Ergebnis, dass nicht allein ein besonderer Anlass eine zwingende Voraussetzung für eine Ladenöffnung an Sonn- und Feiertagen ist. Vielmehr können weitere Gemeinwohlbelange Berücksichtigung finden. Die gesetzgeberischen Gestaltungsmöglichkeiten werden mit der derzeitigen engen Regulierung somit keineswegs ausgeschöpft. Wie auch in anderen Wirtschaftszweigen, beispielsweise der Gastronomie, Läden in Bahnhöfen oder auch Tankstellen, bestehen durchaus ausnahmsweise Möglichkeiten vom Grundsatz der sonntäglichen Arbeitsruhe abzurücken.
Aber auch bei der aktuellen Regelung bestehen für Städte und Gemeinden nach Auffassung des Staatsrechtslehrers Möglichkeiten einer rechtssicheren Verordnung. So kann beispielsweise das Ziel der Stärkung der Innenstädte und des dortigen Einzelhandels als legitimer Gemeinwohlgrund für eine sonntägliche Ladenöffnung angesehen werden.
Das tatsächliche Problem
Tatsächlich aber leiden die Ladeninhaber darunter, dass auch im Handel inzwischen völlig unterschiedliche Rechte und Freiheiten gelten. Dafür hat die Laissez-faire-Politik der Bundesregierung gegenüber Online-Händlern wie Amazon gesorgt. Das Bestellen von lauter tollen Produkten ist am heimischen Bildschirm ja bequem. Nur halt nicht umweltfreundlich, auch wenn dieses Thema von den Online-Händlern nicht benannt wird.
Und so boomt an Sonntagen besonders der Online-Handel. Diese Umsätze fehlen den stationären Händlern und führen neben anderen Faktoren zum einen zum Veröden der Innenstädte und zum anderen zum Verlust von Arbeitsplätzen im Einzelhandel, stellt die IHK fest.
Diese Entwicklung ist nach Einschätzung der IHK umso besorgniserregender, als eine Untersuchung der BITKOM 2014 zu den Trends im Online-Handel gerade die Loslösung des Online-Handels von den Ladenschlusszeiten als eines der zentralen Argumente für den rasanten Anstieg der dortigen Umsatzentwicklung ausmacht. Laut der im Gutachten zitierten Studie kaufen die deutschen Online-Shopper am liebsten sonntags. Bequemlichkeit trifft auf Bequemlichkeit. Aber der reale Handel, der sich auch aus Arbeitsschutzgründen an Regeln und Auflagen halten muss, kann sich gegen den massiven Ausbau der Online-Verkäufe (und der entsprechend riesigen Lieferflotten) kaum wehren. Nur die großen Einzelhandelsketten nutzen ihre finanzielle Stärke, um jetzt eigene Online-Bestellsysteme und entsprechende Lieferketten aufzubauen. Was dazu führt, dass die Deutschen immer bequemer werden, sich fast alles liefern lassen und die fast immer motorisierten Verkehre auf den Straßen vermehren. Eigentlich ein Unding: Die Umweltbilanz dieses Systems ist verheerend. Selbst dann, wenn die Kunden die Produkte zuerst im Laden besichtigen, dann aber im Internet nach dem billigsten Angebot suchen. Womit dann auch noch Lohndumping und Arbeitsplatzverluste befeuert werden.
Ein Thema, über das die regulierende Politik noch gar nicht nachgedacht hat.
„Es geht nicht darum, den Sonntagsschutz in Frage zu stellen“, erklärt Dr. Thomas Hofmann. „Dieses Gutachten soll unter anderem die Landesregierung und die Abgeordneten des Landtages unterstützen, das Sächsische Ladenöffnungsgesetz den Realitäten der heutigen Zeit anzupassen. Davon profitieren nicht nur der Handel und die Innenstädte, sondern auch die Bürger.“
Wobei die Sonntagsöffnung eben nur ein winziges Detail ist in einer gewaltigen Veränderung, die riesige Konzerne wie Amazon ausgelöst und beschleunigt haben. Was ihnen ab einer bestimmten Größe auch eine Marktmacht gibt, die mit „marktbeherrschend“ wohl eher untertrieben beschrieben ist. Nächster Effekt ist natürlich der Verlust von Vielfalt im Angebot. Und nicht zu vergessen das, was viele Verlage längst als traurige Realität kennengelernt haben: Sie werden dadurch, dass ein einziger Gigant den Markt beherrscht, erpressbar. Der Gigant diktiert die Margen. Wer sich den erpresserischen Bedingungen nicht fügt, kommt im Sortiment nicht mehr vor.
Und das geht weit über den Sonntag hinaus. Das verändert den Alltag. Eigentlich ist das schon längst ein Fall fürs Kartellamt.
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“Diese Situation ist im höchsten Maße unbefriedigend. Gemeinden und Händler brauchen zukünftig wieder mehr Planungs- und Rechtssicherheit“, findet Dr. Thomas Hofmann, Hauptgeschäftsführer der Industrie- und Handelskammer (IHK)”
Das von der L-IZ unkommentiert stehen zu lassen erweckt den Eindruck, daß es inhaltliche Übereinstimmung gibt. Was verwundert. Denn ist diese Einschätzung in die Kategorie “Fake” einzuordnen.
Eine Klage muß begründet werden. Diese geschieht in aller Regel unter Bezugnahme auf das Gesetz und unter Zuhilfenahme der verschiedenen Auslegungsregeln. Wobei der Wille des Gesetzgebers, zu finden in den veröffentlichten Begründungen zum Gesetz, maßgebend ist.
Wenn ein Gericht einer Klage rechtsmittelfest statt gibt, dann ist Rechtssicherheit und damit Planungssicherheit in höchstem Maße hergestellt.
Wird gleichwohl das Gegenteil behauptet, wie es die IHK tut, bestehen an der Ernsthaftigkeit der IHK begründete Zweifel.
Jetzt kann es natürlich sein, daß das Ergebnis den Händlern (dort allerdings vermutlich nur einem Teil nicht) und der IHK nicht gefällt. Diese Kategorie ist aber nicht justiziabel.
“Vielmehr können weitere Gemeinwohlbelange Berücksichtigung finden.” Leider werden diese weiteren “Gemeinwohl”belange nicht aufgeführt. Die Vermutung, daß es diese in Wahrheit nicht gibt, wird durch nachfolgende Satz genährt:
” Wie auch in anderen Wirtschaftszweigen, beispielsweise der Gastronomie, Läden in Bahnhöfen oder auch Tankstellen, bestehen durchaus ausnahmsweise Möglichkeiten vom Grundsatz der sonntäglichen Arbeitsruhe abzurücken.”
Dieser angeführte (kein Schreibfehler, sondern absichtlich im Singular) Wirtschafts”zweig” beschreibt nur die Versorgungsmöglichkeit während einer Reise. Und letztlich nur den Handel beschreibt. Zu einem und, dem gesetzlichen Leitbild entsprechend, bestimmt Anlaß – der Reise.
Daß verschiedene Landesgesetzgeber, so auch der sächsische, dieses Leitbild bis zur Unkenntlichkeit verzerrt haben, gibt Anlaß, am Landesgesetzgeber, nicht am (Bundes-) Gesetz zu zweifeln.
Dieses Leitbild haben das Bundesverfassungsgericht 2009 und 2014 das Bundesverwaltungsgericht zuletzt nachdrücklich bekräftigt – gegen den jeweiligen Landesgesetzgeber.
Bei der IHK dürften genug Juristen sitzen.
Doch wahrscheinlich ist das auch gerade der Grund, mit falschen Argumenten Meinung zu machen.
So zu tun, als ob der Sonntagshandel die Händler, schon gar nicht die kleinen, irgendwie retten würde, (wenn es überhaupt nötig wäre, was zu bezweifeln ist), ist schlicht falsch. Weshalb es auch unredlich ist, mit diesem falschen Argument zu arbeiten.
Genau so wenig, wie die Innenstädte wegen des Online-Sonntagshandels veröden würden. Für das Gegenteil einer verödeten Innenstadt wird nun gerade Leipzig angeführt.
Aus den wirklich verödeten Innenstädten, wieviel zum Beispiel Borna, fährt dann die ebenfalls angeführte S-Bahn geradewegs unter den Leipziger Markt. Man könnte also genau so gut fordern, am Sonntag den S-Bahn-Betrieb einzustellen.
Das hat mit Onlinehandel rein gar nichts zu tun.
Und ob es ökologischer ist, wenn die Güter zum Händler und von dort vom Kunden mitgenommen werden, der dafür extra hinfährt oder gleich zum Kunden transportiert werden, dürfte auch fraglich sein.
Doch selbst wenn es so wäre, ist eine Abwägung grundgesetzlich geschützter Güter mit anderen (vermeintliche Innenstadtverödung angeblich wegen (!) des Online-Sonntagshandels, ökologische Aspekte), nicht grundgesetzlich geschützten Interessen erforderlich. “Nebelkerzen” und “Blendgranaten” helfen da nicht, sondern schaden. Der Diskussionskultur nämlich. Und der Demokratie.