Die Zahl machte natürlich stutzig, die SPD-Stadtrat Christopher Zenker da nannte: 500 Erzieherinnen und Erzieher würde Leipzig allein noch bis Jahresende 2017 brauchen. Wo hatte er die Zahl her? Eine Quelle könnte natürlich eine Landtagsanfrage der Linken-Abgeordneten Marion Junge sein, die in aller Lückenhaftigkeit zeigt, wie wenig die verantwortliche Kultusministerin über den tatsächlichen Bedarf an ErzieherInnen in Sachsen weiß.
„Dem Arbeitsmarkt stehen seit 2013 jährlich über 2.000 Erzieherabsolventen zur Verfügung. Der Bedarf an Fachkräften kann somit derzeit gedeckt werden“, hatte Brunhild Kurth jüngst erst behauptet. Und Marion Junge wolle natürlich wissen, ob das mit den tatsächlichen Bedarfen korrespondiert.
Das Problem, das auch die Antwort deutlich macht: Das Kultusministerium hat keine belastbaren Zahlen. Es hat zwar alle Kommunen irgendwie angefragt. Aber wirklich geantwortet haben die wenigsten. Leipzig zum Beispiel, das für 2017 von 494 Vollzeitäquivalenten an EzieherInnen und Leitungspersonal ausgeht, was schon deutlich abweicht vom Dresdener Bedarf, welcher nur 300 meldet. Der Grund dafür steht im Kleingedruckten – Dresden wie auch Chemnitz haben nur den Bedarf in eigener Trägerschaft gemeldet und den bei freien Trägern einfach ignoriert. Ganz ähnliche Bilder findet man auch in den Landkreisen.
Gleich drei Landkreise haben überhaupt nicht reagiert. Was den scheinbaren Bedarf von 1.170 neuen Kita-Beschäftigten natürlich löchrig aussehen lässt wie einen Schweizer Käse. Es ist auch schwer vorstellbar, dass der Landkreis Nordsachsen (wo gleich drei Kommunen nicht gemeldet haben) nur 23 neue Vollzeitkräfte braucht, der Landkreis Leipzig nur 59. Dort haben gleich zehn Kommunen keine Rückmeldung gegeben.
Und es ist eigentlich noch etwas komplizierter. Denn das Kultusministerium rechnet immer nur mit Vollzeitäquivalenten. 21.189 sind das für 2017.
Mal am Leipziger Beispiel durchgerechnet, wo 3.840 Vollzeitäquivalente gemeldet wurden: Das bedeutet aber in der Realität tatsächlich 4.685 Personen als Pädagogisches und Leitungs- und Verwaltungspersonal, von denen die wenigsten (nur ein Fünftel) tatsächlich mehr als 38 Stunden arbeitet. Die Mehrzahl arbeitet in Teilzeit.
Das heißt: Wenn Leipzig 494 Vollzeitäquivalente braucht, sind das in Wirklichkeit 604 Personen, die gebraucht werden. Das Verhältnis ist überall in Sachsen ganz ähnlich. Es wird 22 Prozent mehr Personal gebraucht, als die reinen Vollzeitäquivalente suggerieren.
Wenn das Kultusministerium also für 2018 mit einem zusätzlichen Personalbedarf von 1.702 (pädagogisches und Leitungspersonal) in VZÄ rechnet, sind das allein schon 375 Personen mehr als diese VZÄ, tatsächlich also: 2.077 ausgebildete Erzieherinnen und Erzieher.
2019 genau dasselbe Bild: 1.744 VZÄ hat das Kultusministerium als zusätzlichen Bedarf berechnet – das aber entspricht 2.127 ausgebildeten Erzieherinnen und Erziehern. Das heißt: Wenn Sachsens Bildungseinrichtungen nur 2.000 neue Erzieherinnen und Erzieher pro Jahr ausbilden würden, wäre schon deutlich unter Bedarf ausgebildet.
Wobei der Verdacht immer mehr wächst, dass die Kultusministerin die Altersabgänge in sämtlichen Beschäftigungsbereichen des Freistaats unterschätzt. Denn bei realen 26.000 Beschäftigten in sächsischen Kitas gehen 500 bis 800 jedes Jahr in Rente. Werden diese Abgänge aber durch die Ausbildung überhaupt kompensiert?
Eine gute Frage. Denn tatsächlich werden in Sachsen mehr Erzieherinnen und Erzieher an Fachschulen ausgebildet, als die Ministerin angegeben hatte. Die Ausbildung dauert drei Jahre. Deswegen bedeuten 6.944 Schülerinnen und Schüler an den sächsischen Fachschulen im Jahr 2016/2017 auch eher 2.300 neue Erzieherinnen und Erzieher pro Jahr. Nur bezweifelt auch Brunhild Kurth, dass die alle auch in Sachsen bleiben.
Und es sind – auch auf die Altersabgänge betrachtet – eigentlich zu wenig. Denn zumindest in den nächsten Jahren werden sachsenweit jährlich 2.500 neue Erzieherinnen und Erzieher gebraucht. Das ganze System ist denkbar knapp auf Kante gestrickt und eigentlich sind echte Engpässe bei der Personalsuche nicht nur jetzt schon spürbar, sondern werden wohl für die nächsten Jahre Normalität werden. Und das in einer Zeit, in der Sachsen eigentlich die Betreuungsquote verbessern wollte.
Die Auskunft der Kultusministerin an Marion Junge (Die Linke). Drs. 10237
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