Was war das nun? Eine kalte Dusche? Eine unerwartete รœberraschung? Oder nur ein peinlicher Moment? โ€“ Am Freitag, 28. April, wurden auf EU-Ebene neue Grenzwerte fรผr den SchadstoffausstoรŸ von GroรŸverbrennungsanlagen beschlossen. Genzwerte, die dazu fรผhren kรถnnen, dass etliche Kohlemeiler in Sachsen schon vor dem Jahr 2030 vom Netz gehen mรผssen. Was eigentlich keine รœberraschung ist. Nur fรผr einen Ministerprรคsidenten, der das Thema ignoriert, als kรถnne man mit Weggucken Probleme lรถsen.

Am Freitag, 28. April, wurden im Ergebnis des mehrjรคhrigen โ€œSevilla-Prozessesโ€ auf EU-Ebene neue Grenzwerte fรผr den SchadstoffausstoรŸ von GroรŸverbrennungsanlagen beschlossen. Dies geschah in Konsultation mit den Mitgliedsstaaten auf Basis der besten heute betriebenen Anlagen.

โ€œWรคren stattdessen die besten verfรผgbaren Technologien zum MaรŸstab genommen worden, so wรคre noch wirksamerer Gesundheitsschutz mรถglich geworden. Aber auch die jetzt beschlossenen Grenzwerte bedeuten bereits einen wichtigen Fortschritt gegenรผber dem bisherigen Standโ€, kommentiert der energiepolitische Sprecher der sรคchsischen Grรผnen-Fraktion, Gerd Lippold, die Entscheidung. โ€œDer Beschluss erfolgte allerdings gegen die Stimme der Bundesrepublik Deutschland, die zum Schutz ihrer besonders schmutzigen Braunkohlewirtschaft ihre Zustimmung verweigerte.โ€

Sachsens Ministerprรคsident Stanislaw Tillich sieht nun trotz der deutschen Gegenstimme einen โ€œWortbruchโ€ des Bundes, der fรผr ihn offenbar darin besteht, nicht dennoch den EU-Beschluss fรผr sauberere Luft durch Druck auf andere Mitgliedslรคnder verhindert zu haben.

Und auch am Dienstag, 2. Mai, taten Tillichs Unterstรผtzer in der CDU-Fraktion noch so, als wรคre es unerhรถrt, dass in Brรผssel eine andere Politik gemacht wird als in Dresden. Erst recht eine, die die reformunwillige Regierungspartei daran erinnert, dass der Ausstieg aus der Kohleverbrennung viel frรผher passieren wird, als es die Kohleverfechter immer wieder behaupten. Und statt realistische Ausstiegsszenarien zu erarbeiten und den Strukturwandel zu gestalten, stimmt man wieder das Trauerlied von der โ€œvorfristigen Stilllegung der Kohlekraftwerke in der Lausitzโ€ an.

Durch eine neue EU-Regelung seien viele Arbeitsplรคtze in der Lausitz gefรคhrdet und sie wรผrde den Braunkohleausstieg frรผher bringen, als geplant, heiรŸt es aus der CDU-Fraktion: โ€œEin Ausschuss der EU-Kommission beschloss am vergangenen Freitag niedrigere Grenzwert fรผr Stickoxide. Der kรถnnte die Betreiber der Kohlekraftwerke in der Lausitz zu einer Stilllegung bis 2030 zwingen!โ€

Und der energiepolitische Sprecher der CDU-Fraktion des Sรคchsischen Landtages, Lars Rohwer, lรคsst sich mit den Worten zitieren: โ€žDas Bundesumweltministerium hat selbst in Brรผssel deutlich gemacht, dass die festgesetzten Werte fachlich nicht vertretbar sind โ€“ aber tut nichts gegen diese Entscheidung. Man kann Energiepolitik aber nur erfolgreich betreiben, wenn man die Gesetze der Physik auch beachtet! โ€“ Wir unterstรผtzen den sรคchsischen Ministerprรคsidenten Stanislaw Tillich bei dem Versuch, die Bundesregierung zu einer Korrektur der Brรผsseler Beschlรผsse zu motivieren. Bundesumweltministerin Barbara Hendricks muss endlich aufhรถren, ideologiegetriebene Politik zu machen und auf die Sachebene zurรผckkehren. Sie gefรคhrdet sonst den Industriestandort Deutschland!โ€œ

Die Kritik fรผr seinen wilden Glauben, die Kohlemeiler in der Lausitz wรผrden einfach so auch รผber 2030 hinaus weiter laufen, bekam Ministerprรคsident Stanislaw Tillich gleich mal von Dr. Gerd Lippold.

Den Spott quasi als Dreingabe. Denn in Sachsen stehen ja lauter effiziente Kraftwerke.

โ€œDie Vorwรผrfe des Ministerprรคsidenten verwundern. Ist es nicht die sรคchsische Staatsregierung, die gebetsmรผhlenartig die sรคchsischen Braunkohlenkraftwerke als besonders modern, hoch effizient und besonders sauber preist?โ€, fragt Lippold. โ€œUnd jetzt beschwert sich Ministerprรคsident Tillich, diese Kraftwerke seien von Abschaltung bedroht, weil sie die neuen europรคischen Grenzwerte nicht einhalten kรถnnen? Hat man die ganze Zeit in der sรคchsischen Kohlepolitik mit falschen Karten gespielt? Sind die gepriesenen Saubermรคnner nach objektiven MaรŸstรคben eigentlich doch Dreckschleudern?โ€

Womit er ein Thema berรผhrt, dass die sรคchsische Regierung sowieso komplett ignoriert: Die Todesfรคlle, die durch die Schadstoffe aus den Kohlemeilern verursacht werden.

โ€œEine aktuelle Fachstudie weist nach, dass durch die Einhaltung der neuen Grenzwerte in Europa tausende vorzeitige Todesfรคlle durch Luftschadstoffe, eine immense Zahl von Erkrankungen und Milliardenkosten vermieden werden kรถnnenโ€, stellt Lippold fest. Aber diese Kosten tauchen halt im Gesundheitswesen auf, nicht bei den Kosten der Kraftwerksbetreiber. โ€œTrotzdem fรคllt Ministerprรคsident Tillich angesichts der nun denkbaren Forderungen, in die Ertรผchtigung der sรคchsischen Braunkohlewerke investieren zu mรผssen, nichts weiter ein als Vorwรผrfe an die Bundesregierung, diese neuen Grenzwerte fรผr ganz Europa nicht noch entschlossener boykottiert zu haben. Das ist unglaublich und empรถrend. Wie weit ist das kohlepolitische Koordinatensystem dieser Staatsregierung inzwischen verschoben, wenn sie in Nachrรผstkosten fรผr Kohlekraftwerksbetreiber einen ausreichenden Grund sieht, vielen Millionen Menschen den technisch offenbar lรคngst mรถglichen Gesundheitsschutz zu verweigern?โ€

Ebenfalls verwunderlich findet Lippold die Aussage, es drohe eine Abschaltung der Kohlekraftwerke in der Lausitz bis 2030 und damit sieben Jahre frรผher als bisher geplant.

โ€œEin Plan der CDU/SPD-Koalition, bis zum Jahr 2037 aus der Braunkohle auszusteigen, war bisher nicht bekanntโ€, stellt er ganz verblรผfft fest. โ€œIm Gegenteil: die CDU-Fraktion wollte bisher an der Braunkohle bis Ende des Jahrhunderts festhalten. Die Regierung bis mindestens 2050, auf jeden Fall noch โ€˜Jahrzehnteโ€™. Wir Grรผnen im Landtag hingegen hatten in der parlamentarischen Debatte ein drastisches Schrumpfen der sรคchsischen Braunkohle bis spรคtestens 2030 diskutiert โ€“ und zwar als logische Konsequenz aus dem Klimaschutzplan der schwarz-roten Bundesregierung. โ€“ Ist die รถffentliche Empรถrung des Ministerprรคsidenten nun ein Versuch, die ร–ffentlichkeit auf das Unvermeidliche vorzubereiten, zugleich aber jegliche Verantwortung fรผr bisherige sรคchsische Realitรคtsferne auf eine โ€˜wortbrรผchigeโ€™ Bundesregierung abzuwรคlzen?โ€

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