Mit dem Fachkräftemonitor hat sich die IHK zu Leipzig ein Instrument besorgt, mit dem man so einiges über die Zukunft erfahren kann. Und hätten wir ein lebendiges und flexibles Bildungssystem, dann könnte man auch noch gegensteuern. Dann würde man einfach zum Kultusminister gehen und den Bedarf anmelden: Wir brauchen 750 Ingenieure mehr, 2.000 Wirtschafts- und Gesellschaftswissenschaftler. Gerade in der Führungsetage droht ein Loch.
Natürlich hat die IHK zu Leipzig auch die Möglichkeiten, den Fachkräftebedarf für ganz Sachsen auszurechnen. Da prognostiziert der IHK-Fachkräftemonitor einen Engpass von 91.000 qualifizierten Arbeitskräften in Sachsen für das Jahr 2023.
Unter www.fachkraeftemonitor-sachsen.de sind aktualisierte Daten zur Fachkräftesituation im Freistaat Sachsen und in der Wirtschaftsregion Leipzig ab sofort frei zugänglich abrufbar. Der IHK-Fachkräftemonitor (ein Projekt der Industrie- und Handelskammer (IHK) zu Leipzig, entwickelt und umgesetzt vom Wirtschaftsforschungsinstitut WifOR aus Darmstadt) betrachtet sowohl die Angebots- als auch die Nachfrageseite des Arbeitsmarktes. Er bietet somit die Möglichkeit, Fachkräfteengpässe und -überschüsse für Sachsen und die Region Leipzig wahlweise nach Wirtschaftszweigen und Berufsgruppen bis zu sechs Jahre im Voraus auszuweisen.
Regional völlig verschiedene Probleme
Das Verändern der Auswahlparameter lohnt sich, denn da wird sichtbar, dass die Fachkräfteprobleme regional ganz unterschiedlich auftreten. Leipzig könnte – auf den ersten Blick – noch relativ glimpflich davonkommen, wenn der Bevölkerungszuwachs so weitergeht. Dann fehlen 2023 nur rund 3.000 Fachkräfte. Und zwar am wenigsten bei den diversen Fachberufen, sondern in den Verantwortungspositionen.
Und das in einer Stadt, in der jede Menge Führungskräfte und Gesellschaftswissenschaftler ausgebildet werden.
Auf ganz Sachsen betrachtet wird das Thema noch verschärft:
Mit weit über 20.000 fehlenden beruflich qualifizierten Fachkräften im Jahr 2023 werden Tätigkeiten der Unternehmensführung und -organisation die am stärksten vom rückläufigen Fachkräfteangebot betroffenen Berufe sein, stellt die IHK fest. Wirtschafts- und Geisteswissenschaftler gehören mit in diese Kategorie. Sie besetzen ganz traditionell wesentliche Managementposten.
Außer in Sachsen. Hier wandern sie ab – übrigens genauso wie Ingenieure und Lehrer.
Als riesiger Bumerang kommt jetzt die sächsische Spar- und Niedriglohnpolitik zurück und zeigt, wie dumm und fatal die langjährige sächsische Wirtschaftspolitik tatsächlich war. Statt das Land tatsächlich als hochkarätiges „Land der Ingenieure“ zu etablieren, hat man es als Billigstandort vermarktet und der Entwicklung prekärer Beschäftigung Vorschub geleistet. Das hatte zwar im ersten Schritt die Entstehung vieler billiger Arbeitsplätze zum Gefolge.
Aber das hat nicht nur die unteren Erwerbseinkommen gedrückt, sondern auch die Bezahlung in vielen Leitungsfunktionen.
Dazu kam der Einstellungsstopp im Staatsdienst. Beides hat dazu geführt, dass die Abwanderung hochqualifizierter junger Leute auch dann noch anhielt, als Sachsen selbst längst einen wachsenden Bedarf an Hochqualifizierten hatte.
Der Braindrain geht weiter
Das hat sich nicht geändert. Der Braindrain geht weiter. Und gerade auf der Managementebene werden die Probleme akut.
Selbst in Wirtschaftszweigen, die gegenwärtig noch ausreichend qualifiziertes Personal finden, dürfte sich die Situation innerhalb der kommenden Jahre ändern, stellt die IHK für den gesamten Freistaat fest. So wird beispielsweise das Fachkräfteangebot im Einzelhandel bis in sechs Jahren um knapp 10 Prozent abnehmen und sich der heute noch vorhandene Überschuss in einen Engpass wandeln. Auch andere Branchen sind von der Entwicklung empfindlich berührt: So dürften im Maschinenbau im Jahr 2023 allein fast 2.900 beruflich Qualifizierte mit technischer Ausrichtung fehlen. In der Metallindustrie wächst der Engpass über Fachkräfte aller Qualifikationen bis zum selben Jahr um über 300 Prozent – von gegenwärtig ca. 640 auf dann ca. 2.700 fehlende Fachkräfte.
Verdoppeln werde sich außerdem der Mangel an akademischen Fachkräften im Bereich der Information und Kommunikation. Hier werden zum Ende des Prognosezeitraums etwas mehr als 1.100 Fachkräfte mit entsprechendem Universitäts- bzw. Fachhochschulabschluss fehlen.
Und dazu kommt das ursächsische Problem: Der halbierte Nachwuchs. Die ganzen Arbeitskräfte fehlen ja, weil seit 20 Jahren nicht genug Kinder geboren werden.
„Für unsere heimische Wirtschaft sind die entsprechenden Fachkräfte essentiell. Denn ohne gut ausgebildetes und motiviertes Personal vergeben wir viele Wachstumschancen”, kommentiert das Kristian Kirpal, Präsident der IHK zu Leipzig. „Deshalb stellen wir mit dem IHK-Fachkräftemonitor ein wertvolles Instrument bereit, das Unternehmen bei ihren mittel- und längerfristigen Personal- und Ausbildungsplanungen unterstützt. Der Online-Monitor liefert zentrale Informationen für alle Akteure auf dem Arbeitsmarkt. So zeigt er auch Jugendlichen bei der Berufswahl Chancen auf und dient der Politik bei der Gestaltung von Rahmenbedingungen.“
Ausbildung in Betrieben ging deutlich zurück
Ein Aufruf, der sich auch auf aktuelle Zahlen der Arbeitsagentur stützt. In Sachsen ist der Anteil der Auszubildenden an den sozialversicherungspflichtig Beschäftigten seit 2008 von 6,5 auf 3,7 Prozent zurückgegangen. Ein Effekt, den es so in ganz Deutschland gibt. Viele einstige Ausbildungsbetriebe haben die Ausbildung ihres Nachwuchses komplett eingestellt. Sachsen gehört mittlerweile zu den Bundesländern mit der dünnsten Ausbildungslandschaft. Ein klarer Appell: Wenn die heimischen Unternehmen Nachwuchs haben wollen, müssen sie ihn umwerben. Es hilft alles nichts.
Und noch eine Botschaft steckt im Fachkräftemonitor: Ohne Zuwanderung wird man die Lücke von 91.000 Fachkräften nicht auffangen. Oder anders formuliert: Sachsen braucht eigentlich jedes Jahr allein die Zuwanderung von 15.000 Fachkräften oder von Menschen, die sich noch zu Fachkräften ausbilden lassen können. Es ist dazu verdammt, ein Zuwanderungsland zu sein, wenn es wirtschaftlich wettbewerbsfähig bleiben will. Wobei auch hier der Blick auf Leipzig zeigt: Die attraktive Großstadt wird weniger Probleme haben, den Bedarf zu decken. Die Probleme werden vor allem in den Landkreisen entbrennen und manches Unternehmen aufgrund von Fachkräftemangel zum Aufgeben oder Umziehen zwingen.
Und manche Unternehmer werden dabei schon regelrecht zermürbt sein, denn schon heute kann der Fachkräftebedarf nicht wirklich gedeckt werden, klafft eine Lücke von 30.000 Arbeitsplätzen, die nicht besetzt sind. Das Tragische dabei: Sie werden von den Arbeitgebern oft bewusst nicht besetzt, weil sie damit Geld zu sparen glauben – was tausende Arbeitsplätze im Pflegebereich betrifft, im Schulbereich, bei der Polizei, aber auch im kommunalen Dienst. Eine Gesellschaft im Sparmodus hat sich die künftigen Probleme regelrecht herbeigespart.
Auch diese Warnung gehört dazu, wenn man sich durch den Fachkräftemonitor klickt.
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