Was passiert eigentlich, wenn Staaten wie die USA und Großbritannien zu nationaler Handelspolitik zurückkehren? Immerhin glaubt ja ein Donald Trump, er würde Amerika wieder stark machen, wenn er den globalen Handel erschwert und importierende Staaten gar noch mit Strafzöllen belegt. Aber da hat er dasselbe Problem wie Lenin 1917. Toller Vergleich, nicht wahr? Aber er stimmt.

Denn Lenin stand 1917 vor einem Grunddilemma, das er nicht lösen konnte. Schon der alte Marx hatte ziemlich nüchtern festgestellt, dass es ein Ding der Unmöglichkeit ist, in einer von der kapitalistischen Wirtschschaftsweise beherrschten Welt eine andere Wirtschaftsstruktur wie z. B. den Kommunismus zu bauen. Für den Mann, der sich ja auf tausenden Seiten intensiv mit der Funktionsweise, der Radikalität und Unbarmherzigkeit der kapitalistischen Produktionsweise beschäftigt hat, war unübersehbar: Eine Wirtschaftsordnung, die nicht denselben knallharten, aber auch hochgradig effektiven Regeln gehorchte, hatte keine Chance. Sie würde entweder gnadenlos niederkonkurriert werden, einfach ausbluten oder schlicht zurückbleiben, abgeklemmt von allen Entwicklungen der Weltwirtschaft.

Das Wort verwenden wir hier mal ganz bewusst, weil es in den vergangenen 20 Jahren regelrecht verdrängt wurde vom völlig anders konnotierten Wort Globalisierung. Denn meist meinen die Autoren, die von Globalisierung reden, die Weltwirtschaft, wie sie sich seit Mitte des 19. Jahrhunderts herausgebildet hat: mit dicht verflochtenen weltweiten Handelsbeziehungen, globusumspannenden Lieferketten, (Frei-)Handelsverträgen, globalen Börsen und Finanztransfers und was noch alles dazugehört.

Ein Phänomen, das dem akribischen Dr. Marx durchaus bewusst war, auch wenn er noch glaubte, das Gebilde sei höchst  krisenanfällig und jede weltumspannende Krise hätte so tiefgreifende Folgen, dass sie praktisch ganz automatisch die Weltrevolution auslösen würde.

Die Weltrevolution blieb bekanntlich zu Marx’ Zeiten aus. Die Krisen wurden eher zum Lehrmeister der Marktakteure, die nicht nur lernten, damit umzugehen. Sie sorgten auch dafür, dass sich die kapitalistische Produktionsweise immer mehr perfektionierte.

So gesehen war es mehr als nur ein Wagnis, als Lenin verkündete, er würde den Kommunismus dann eben erst mal in einem Land aufbauen. Das Experiment lief, wie wir wissen, 73 Jahre, dann war es am Ende. Und es lief nicht so lange, weil es anfangs erfolgreich war, sondern weil es sich schon frühzeitig in eine Diktatur verwandelte und in ein exemplarisches Beispiel für Staatskapitalismus. Was alles nichts half. Spätestens in den 1970er Jahren war klar, dass die Insel des kommunistischen Experiments wirtschaftlich nicht konkurrenzfähig war.

Was hat das mit Donald Trump zu tun?

Für protektionistische Staaten gilt genau dieselbe Regel. Die Chinesen haben es schon begriffen: Wer erfolgreich am weltumspannenden Wettbewerb teilnehmen will, der behindert den globalen Handel nicht, der versucht den Protektionismus zu beschränken. Denn wohin die Warenströme fließen, darüber bestimmt der Grad der Durchlässigkeit. Das benennen wir hier einfach mal so, weil wir in den ganzen wirtschaftswissenschaftlichen Texten zum Thema noch keinen Begriff dafür gefunden haben.

Man könnte auch von Viskosität und Fluidität sprechen. Denn Handelsbeziehungen verhalten sich wie Flüssigkeiten. Die Warenströme fließen dorthin, wo die besseren und leichteren Absatzchancen sind, die größeren Gewinnmargen, der aufnahmefähigere Markt.

Und Markt heißt eben nicht nur Börse und Konsum, sondern auch Einkommen, Lebensstandard, Investitionskraft, staatliche Stabilität, Bildungsstandard, individuelle Freiheit usw. Wenn ein Land wie die USA und demnächst Großbritannien die Aufnahmefähigkeit ihrer Märkte mit protektionistischen Mitteln verringern, verändern sich zwangsläufig die internationalen Warenströme. Sie fließen anders. Sie sind sowieso ständig in Bewegung, wie die jüngste Vorabmeldung des statistischen Landesamtes für Sachsen zeigt.

„Mit einem Exportumsatz von 36,78 Milliarden € hat der Freistaat Sachsen im Jahr 2016 zwar den Höchstwert des Vorjahres um vier Prozent verfehlt, aber immer noch den zweithöchsten Wert seit Beginn der Erhebung in Sachsen zu Beginn der 1990er Jahre erreicht“, heißt es da.

Die weltweite Autokrise rund um den Dieselskandal hat auch um das Autoland Sachsen keinen Bogen gemacht. Glück für Sachsen: Die meisten Staaten Europas haben endlich die schlimmsten Folgen der Finanzkrise von 2008 überwunden.

„57 Prozent aller Lieferungen blieben auf dem europäischen Kontinent, insgesamt Waren im Wert von 21 Milliarden €. Das bedeutet einen Anstieg um zwei Prozent gegenüber dem Vorjahr, das Exportvolumen in die EU-Länder stieg sogar um vier Prozent. Im Gegensatz dazu gingen die Lieferungen nach Asien um fünf Prozent, die auf den amerikanischen Kontinent sogar um mehr als ein Fünftel zurück.“ Das waren dann hauptsächlich die Diesel-Pkw, die weniger verkauft wurden. Eigentlich auch so eine kleine Warnung für Donald Trump: Was die USA da so eifrig aus Europa importieren, sind oft genug lauter Luxusgüter wie eben Pkw der Luxusklasse. Das riesige Importdefizit der USA entsteht auch dadurch, dass sich die Amerikaner selbst mehr geleistet haben, als sie im eigenen Land produziert haben. Niemand hat die Amerikaner „ausgeplündert“, auch die Europäer nicht. Ob die Amerikaner wieder mehr eigene Produkte kaufen, wenn Trump die Schranken hochzieht? Man darf zweifeln. Luxusgüter werden durch Strafzölle nur teurer – das Geld fließt trotzdem ab.

Und der nächste Kandidat auf der Liste hat 2016 zumindest noch eifrig gekauft: „Allerdings war der wichtigste europäische Abnehmer des Freistaates das Vereinigte Königreich (Anstieg um zwei Prozent auf 2,22 Milliarden €), welches gerade aus der Europäischen Union austreten möchte.“

Was passiert eigentlich, wenn die Briten nicht mehr so freizügig Handel mit Sachsen treiben können? Der Austritt aus der EU wird ganz ähnlich wirken wie das von Trump gewollte Strafzollsystem. In Europa wird sich so einiges umverteilen, und zwar nicht nur Warenströme. Auch Investitionen und Firmensitze.

Was möglicherweise dem nächsten sächsischen Handelspartner Aufwind gibt: „Es folgte Frankreich mit einem Warenwert von 2,08 Milliarden € und damit unverändert gegenüber dem Jahr 2015. Wichtige Handelspartner für Sachsen waren aber auch unsere direkten Nachbarn Polen und die Tschechische Republik auf den folgenden Plätzen mit Zuwachsraten von vier bzw. fünf  Prozent.“

Die möglichen Kandidaten für verstärkte Handelsbeziehungen sitzen also in den Startlöchern. Und es ist sehr wahrscheinlich, dass sich mit den Warenströmen auch die Finanzströme innerhalb der EU verändern. Eigentlich eine Riesenchance für Osteuropa. Doch dort agieren selbst wieder nur verkniffene Populisten, die in nationalem Protektionismus die Rettung sehen, von den baltischen Staaten abgesehen, wo man ziemlich genau weiß, wie lebenswichtig der freie Handel ist.

Aber die Narren in Ungarn und eigentlich auch Polen schielen ja alle irgendwie auf das russische Modell, das aber nicht funktioniert. Und zwar nicht nur wegen der EU-Sanktionen.

„Die Exporte in die Russische Föderation gingen bereits das vierte Jahr in Folge zurück, im Jahr 2016 besonders deutlich um 29 Prozent“, merken die Landesstatistiker an.

2016 gab es keine neuen EU-Sanktionen für Russland. Die Importschwäche Russlands hängt direkt mit der russischen Wirtschaftsschwäche zusammen, verstärkt noch durch die enormen Kriegskosten, die Putins Regierung noch gar nicht beziffert hat. Der Mann im Kreml tut zwar gern so, als hätte er was gelernt. Aber er geht mit seinen Muskelspielen genauso um wie seinerzeit Breschnew mit Afghanistan: Über die horrenden finanziellen Kosten der Kriege schweigt man sich aus und versucht, sie irgendwo im Haushalt zu verstecken, auch wenn sie so langsam die Handlungsfähigkeit des Staates untergraben.

Vorbild Putin? Wer das glaubt, hat von Wirtschaft wirklich keine Ahnung.

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