Am Montag, 27. Februar, hat die EU-Kommission die 3. Auflage des „Index für regionale Wettbewerbsfähigkeit“ für 263 Regionen in der EU veröffentlicht. Aus EU-Sicht ist Europa eigentlich nicht in Länder aufgeteilt, sondern in (Förder-)Regionen, die wieder nicht identisch sind mit Metropolregionen. Aber die kleinen Flicken machen etwas deutlich, was Staatsoberhäupter meist ignorieren: Wer eigentlich mit wem im Wettbewerb steht.

Oder etwas anders formuliert: Wer wettbewerbsfähig ist und wer nicht. Das lässt sich nämlich berechnen. Aus mehreren Variablen wird ein Wert errechnet, der entweder unter oder über Null liegt. Drunter bedeutet: geminderte Wettbewerbsfähigkeit. Die Region verliert eigentlich, wenn es um Innovation, Gouvernance, Verkehr und digitale Infrastruktur, Gesundheit und Humankapital geht. Sie ist abgehängt oder droht, abgehängt zu werden.

Was auf der Karte violett dargestellt ist. Und man sieht: Das betrifft nicht nur das arme Griechenland oder das krisengeschüttelte Rumänien, es betrifft auch Ungarn, Polen, Spanien und Italien. Man hängt bei wichtigsten Entwicklungsdaten hinterher und in diesen Ländern geht gar nicht überraschenderweise die Angst um, dass sie künftig erst recht abgehängt werden.

Da kann EU-Präsident Jean-Claude Juncker jetzt das „Europa der verschiedenen Geschwindigkeiten“ wie eine völlig neue Idee aus dem Hut zaubern – der Blick auf die Karte zeigt: Es ist längst Realität. Die positiven Entwicklungen konzentrieren sich längst auf ein Kerneuropa, zu dem Deutschland natürlich gehört, die Benelux-Staaten, Skandinavien, Österreich und der Großraum Paris. Und das war es schon. Wenn man von Großbritannien absieht, wo ein paar wilde Populisten den Leuten eingeredet haben, England würde sich für die EU dumm und dämlich zahlen. Aber England gehört bislang eben zu den großen Zahlern, weil es auch zu den großen Profiteuren der EU gehört.

Dass Frankreich derzeit so umkämpft ist, hat sichtlich damit zu tun: Viele Regionen liegen dort – vom Wettbewerbs-Index her betrachtet – im roten Bereich.

Und wer auf Ostdeutschland schaut, darf verblüfft sein: der deutsche Osten leuchtet in zartem Grün. Das bedeutet, dass alle sechs ostdeutschen Bundesländer im EU-Vergleich wettbewerbsfähig sind. Brandenburg führt dabei mit einem Faktor 0,52 die Liste an, das ist ungefähr derselbe Index, wie ihn Unterfranken hat. Die wirklich führenden Regionen haben zwar alle einen Index über 1,0.

Aber für den deutschen Osten ist das zarte Grün auch ein Zeichen dafür, dass sich hier in den vergangenen Jahren tatsächlich etwas entwickelt hat, das auch mithalten kann.

Wenn die Region Leipzig auf 0,38 kommt, dann ist das höher als in den Regionen von Niedersachsen. Die Region Dresden kommt auf 0,40, die Chemnitzer Region auf 0,29. Thüringen schafft es auf 0,30. Sogar Sachsen-Anhalt kommt auf positive 0,16, ist also durchaus wettbewerbsfähig. Man muss nur was draus machen.

Regionale Wettbewerbsfähigkeit ist die Fähigkeit einer Region, Unternehmen und Einwohnern ein attraktives und nachhaltiges Umfeld zum Leben und Arbeiten zu bieten, betont umweltruf.de in seiner Meldung zur Veröffentlichung. Mithilfe des Index können die Regionen auch ihre Stärken, Schwächen und Investitionsprioritäten im Hinblick auf die Ausgestaltung ihrer Entwicklungsstrategien ermitteln.

Die für Regionalpolitik zuständige EU-Kommissarin Corina Crețu wird so zitiert: „Dieser Index ist ein wertvolles Instrument für eine bessere Politikgestaltung. Er stärkt die Bemühungen der Kommission zur Unterstützung von Strukturreformen und fördert die Innovationskapazitäten der EU-Regionen durch kohäsionspolitische Investitionen. Jede Region ist einzigartig – daher bieten wir maßgeschneiderte Unterstützung, um den Regionen dabei zu helfen, ihre Stärken und Vorteile zu nutzen, insbesondere mit unseren regionalen Strategien für eine intelligente Spezialisierung.“

Das klingt dann sehr optimistisch.

Aber tatsächlich erzählt der Index eben auch davon, wie Regionen ihre Wettbewerbsfähigkeit verlieren, wenn Arbeitskräfte abwandern, das Geld für Infrastrukturen fehlt, Gesundheitseinrichtungen dicht machen und bei der IT-Infrastruktur der Anschluss verpasst wird.

Auch dem Umweltruf ist aufgefallen: „Auch im neuen Index ist ein polyzentrisches Muster mit starken Hauptstadt- und Metropolregionen als wichtigsten Triebkräften für die Wettbewerbsfähigkeit zu erkennen. Spillover-Effekte zeigen sich in den meisten Regionen in Nordwesteuropa, sehr viel seltener dagegen in den östlichen und südlichen EU-Regionen. In vielen Fällen sind große landesweite Unterschiede zu beobachten, die auf eine im Vergleich zu den anderen Landesregionen überdurchschnittlich leistungsfähige Hauptstadtregion zurückgehen.“

Das ist der Metropoleneffekt, der in einigen Staaten – wie Frankreich, Spanien, England und Tschechien – besonders stark zum Tragen kommt. In Deutschland fällt der starke Süden auf, in dem sich die Wirtschaft ballt.

„Verglichen mit den Daten von 2010 und 2013 haben sich Malta und mehrere Regionen in Frankreich, Deutschland, Schweden, Portugal und dem Vereinigten Königreich verbessert, wohingegen Zypern und einige Regionen in Griechenland, Irland und in jüngster Zeit die Niederlande zurückgefallen sind. Die Wettbewerbsfähigkeit der osteuropäischen Regionen hat sich weitgehend nicht verändert“, schätzt der Umweltruf ein.

Was eben auch die Worte von EU-Kommissarin Corina Crețu konterkariert: EU-Förderung kann diese sich dauerhaft verstärkenden Unterschiede nicht ausgleichen. Und so viele „Spezialisierungen“ kann es gar nicht geben, dass alle Regionen (wieder) wettbewerbsfähig werden. Der Index zeigt, wie der Kontinent regelrecht auseinanderfällt in einen hochwettbewerbsfähigen Norden und einen mit Bleigewichten beschwerten Süden und Osten.

Was wurde eigentlich erfasst?

Die Säulen sind in drei Gruppen zusammengefasst: Basis, Effizienz und Innovation.

Der Basis-Teilindex umfasst fünf Säulen:
1. Institutionen;
2. makroökonomische Stabilität;
3. Infrastruktur;
4. Gesundheit und
5. Grundbildung. Sie sind die grundlegenden Triebkräfte aller Arten von Wirtschaften.

Mit der fortschreitenden Entwicklung einer regionalen Wirtschaft und der Zunahme der Wettbewerbsfähigkeit kommen Faktoren des Effizienz-Teilindex ins Spiel, die mit besser qualifizierten Arbeitskräften und einem effizienteren Arbeitsmarkt zusammenhängen.

Dazu zählen drei Säulen:
6. Hochschulbildung, Berufsbildung und lebenslanges Lernen;
7. Effizienz des Arbeitsmarkts und
8. Marktgröße.

Auf der höchsten Entwicklungsstufe einer regionalen Volkswirtschaft hängen Verbesserungen von den drei Säulen des Innovations-Teilindex ab:
9. Technologischer Entwicklungsstand;
10. Entwicklungsstand der Wirtschaft und
11. Innovation.

Man ahnt schon, dass Junckers „Europa der verschiedenen Geschwindigkeiten“ eher eine faule Ausrede ist als eine gute Idee. Die Vision für ein ganzes Europa fehlt. Eines, in dem der falsche Wohnort nicht über Lebenschancen entscheidet, und wo sich das Gefühl des Abgehängtseins nicht in obskuren gesellschaftlichen Bewegungen austobt. Da muss der Vielgepriesene noch einmal nachsitzen.

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