Augenscheinlich ist die sรคchsische Staatsregierung ab 2009 tatsรคchlich vรถllig ohne Plan in den Wind gesegelt. โ€žIch will auf 70.000 runterโ€œ, verkรผndete Ministerprรคsident Stanislaw Tillich, mal verknappt formuliert. Damals hatte der Freistaat noch 85.000 Bedienstete. Dumm nur, dass niemand sich die Frage stellte: Wie viele Mitarbeiter braucht eigentlich eine funktionierende Staatsregierung? Mindestens?

Die braven Sachsen hรถrten zwar ihren Ministerprรคsidenten die mรคchtig schรถne Zielzahl verkรผnden. Aber sie hรคtten sich ja wohl eigentlich darauf verlassen kรถnnen mรผssen, dass der Mann nachgedacht und nachgerechnet hat, bevor er die Zahl in die Welt setzte. Oder dass er seine Minister vorher aufgefordert hat, ihm belastbare Prognosen vorzulegen, wie viele Polizisten, Lehrer, Richter, Staatsanwรคlte, Sachbearbeiter, Professoren und Fahrer so ein Land wie Sachsen braucht, damit es funktioniert.

Heute wissen wir, dass er diese Zahlen niemals abgefragt hat. Das Sparprogramm, das CDU und FDP beschlossen, war nie mit einem durchdachten Personalkonzept untersetzt. Es wurde einfach mit dem Rasenmรคher abgeschnitten โ€“ รผber alle Ministerien, alle Ressorts, alle Aufgabenbereiche.

Sogar einen, von dem man als simpler Spaziergรคnger noch gar nichts gehรถrt hatte: der Arbeitsschutzverwaltung. Die ist dem Sรคchsischen Wirtschaftsministerium untergeordnet, von dem wir heute wissen, dass es auch unter den wilden Personalkรผrzungen gelitten hat und leidet โ€“ es fehlen zum Beispiel Sachbearbeiter zur Bearbeitung von Fรถrderantrรคgen.

Und nun geht die Nachricht durch die Medien, dass die schweren Arbeitsunfรคlle in Sachsen deutlich zugenommen haben. Etwas, was die Kontrolle der Arbeitsschutzverwaltung eigentlich verhindern soll.

โ€žDie Arbeitsschutzverwaltung ist seit Jahren personell so ausgedรผnnt, dass ihre Tรคtigkeit nur noch mit Mรผhen und mit Hilfe von Priorisierungserlassen aufrechterhalten werden kannโ€œ, stellt Nico Brรผnler, Sprecher fรผr Wirtschafts- und Arbeitsmarktpolitik der Linksfraktion, zu dieser Nachricht fest. โ€žSchรถn, dass das inzwischen auch der Staatsregierung aufgefallen ist. Wir haben das in den letzten Jahren im Landtag wiederholt zum Thema gemacht!โ€œ

Es ist schon nicht einfach mit dieser Linksfraktion. Die kรผmmert sich nur zu gern um solche unbequemen Themen. Am 10. November 2016 war das Thema im Landtag und Nico Brรผnler mahnte am Rednerpult: โ€žIn der Folge des personellen Kahlschlags sank die Zahl der Betriebskontrollen in den letzten 15 Jahren um drei Viertel, das heiรŸt, dass Unternehmen im Freistaat Sachsen im Schnitt nur noch in Intervallen von รผber 30 Jahren begutachtet werden. Betriebe aus Bereichen, fรผr die keiner der bereits genannten Priorisierungserlasse besteht, fallen dabei vollstรคndig durch das Raster.โ€œ

Dass das Wirtschaftsministerium so arbeitet, hatte Brรผnler schon im April abgefragt. โ€žPriorisierungserlasse seitens des SMWA gibt es seit 2014โ€œ, hatte ihm der Wirtschaftsminister daraufhin mitgeteilt. Der Wirtschaftsminister sah auch keinen Grund, an der Praxis etwas zu รคndern: โ€žHinsichtlich der priorisierten WKL und der GDA-Programme gibt es derzeit noch keine ร„nderungen, da diese Programme รผber fรผnf Jahre (2016 ist eingeschlossen) laufen.โ€œ

Dumm nur, wenn dann die Zahl der schweren Arbeitsunfรคlle trotzdem anzieht. Denn genรผgend Personal zur Kontrolle ist ja noch lรคngst nicht eingestellt.

โ€žNur leider will die Staatsregierung nicht handeln. Unsere Antrรคge, im Arbeitsschutz genรผgend Personal einzustellen, wurden von der Koalition wiederholt abgelehnt, zuletzt in den Verhandlungen zum aktuellen Doppelhaushaltโ€œ, geht Brรผnler auf das Thema ein. โ€žDaran รคndert auch die in Aussicht gestellte Neubesetzung von frei werdenden Stellen nichts. Das ist kein erfolgreiches Handeln, sondern eine Selbstverstรคndlichkeit, will man nicht die Behรถrde schleichend ganz abschaffen. SchlieรŸlich wurde das zur Verfรผgung stehende Personal in 15 Jahren bereits um zwei Drittel gekรผrzt.โ€œ

In Folge des personellen Kahlschlags sank eben auch die Zahl der Betriebskontrollen in dieser Zeit um drei Viertel. Unternehmen im Freistaat werden im Schnitt nur noch alle 30 Jahre begutachtet.

โ€žEin Skandal, wenn berรผcksichtigt wird, dass schwere und tรถdliche Arbeitsunfรคlle in der Vergangenheit zu 87 Prozent auf mangelnden Arbeitsschutz zurรผckgehen!โ€œ, sagt der Landtagsabgeordnete der Linken. In seiner Landtagsrede hatte er noch erwรคhnt, was die Kontrolleure eigentlich alles kontrollieren sollen: โ€žDie derzeit noch rund 150 Mitarbeiter sind fรผr den Vollzug von 20 Gesetzen und zusรคtzlich 40 Verordnungen zustรคndig. In der Summe macht das etwa 175 staatliche Aufgaben, die vom Freistaat auch nicht einfach ausgesetzt werden kรถnnen.โ€œ

Besonders รคngstigte ihn das Durchschnittsalter in der Gewerbeaufsicht: 58 Jahre. Das lag sogar noch 12 Jahre รผberm Durchschnittsalter der Landesbediensteten.

Der Landtag strich dann zwar die noch immer bestehenden kw-Vermerke (โ€žkeine weitere Verwendungโ€œ) fรผr die Arbeitsaufsicht, aber zur Aufstockung der Stellen konnte man sich nicht entschlieรŸen. Die steigende Zahl schwerer Arbeitsunfรคlle bestรคtigt also alle Bedenken, die Brรผnler im November geรคuรŸert hat.

Er rechnet vor, was Sachsen mindestens brauchen wรผrde, um wenigstens die Mindestzahl von Kontrollen zu bewerkstelligen: โ€žNach dem ILO-รœbereinkommen รผber die Arbeitsaufsicht in Gewerbe und Handel ist eine adรคquate Ausstattung der Arbeitsaufsicht bei einem Mitarbeiter pro 10.000 Beschรคftigte gegeben. Von dieser Situation ist Sachsen inzwischen weit entfernt: es besteht eine personelle Unterdeckung von mindestens einem Viertel. Zusรคtzliche neuere Aufgaben des Arbeitsschutzes wie der psychische Arbeitsschutz oder Herausforderungen im Zusammenhang mit Arbeit 4.0 finden dabei noch ebenso wenig Beachtung wie Fragen der Gefahrenabwehr bei Schadstoffen oder des Brandschutzes, die in der ILO-Verordnung noch nicht berรผcksichtigt sind. Die tatsรคchliche Situation ist somit noch gravierender.โ€œ

Es fehlen also zwischen 50 und 100 Mitarbeiter in der Sรคchsischen Arbeitsschutzverwaltung. Denn das Sparprogramm wurde ja in einer Zeit beschlossen, als auch mit einer schrumpfenden Zahl von Erwerbstรคtigen gerechnet wurde. Seit 2009 aber ist die Zahl der Erwerbstรคtigen von 1,965 auf 2,033 Millionen gewachsen. Allein im Produzierenden Gewerbe sind รผber 20.000 Arbeitsplรคtze dazugekommen. Und das sind in der Regel keine Schonarbeitsplรคtze. Sachsens Unternehmen arbeiten ziemlich hart, um im Wettbewerb zu bestehen โ€“ das erhรถht in vielen Bereichen auch den Druck auf die Beschรคftigten.

Nico Brรผnler: โ€žEs genรผgt nicht, wenn die Staatsregierung die steigende Zahl der Arbeitsunfรคlle beklagt, sie muss endlich handeln!โ€œ

Nico Brรผnlers Anfrage zu den Prioritรคtenerlassen.

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Gibts fรผr solch offensichtlich schlechte Arbeit eines Ministers eigentlich keinerlei Konsequenzen? Jeder Angestellte wรผrde fรผr so eine Fehlplanung den Arschtritt seines Lebens bekommen, erst recht, wenn vorher wirklich nicht mal der tatsรคchliche Bedarf geprรผft wurde. Wie kann denn so etwas mรถglich sein?

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