Bis 2050 soll es die Bundesrepublik geschafft haben, aus den fossilen Brennstoffen komplett auszusteigen und das Land mit erneuerbaren Energien zu versorgen. So steht es im „Klimaschutzplan 2050“ der Bundesregierung. Das hat Folgen, die der energiepolitische Sprecher der Grünen-Fraktion, Gerd Lippold, am Freitag, 16. Dezember, dem sächsischen Wirtschaftsminister Martin Dulig (SPD) vorrechnete.
Eigentlich ging es um einen Grünen-Antrag, die Erweiterung von Tagebauen in Sachsen endlich zu beenden, denn diese Kohle wird nie und nimmer gebraucht.
Aber wer mitrechnen möchte – Gerd Lippold hat es am Rednerpult des Landtages schön ausführlich erklärt.
Erster Schritt: Welche Ziele gibt der Klimaschutzplan vor?
Gerd Lippold: „Fakt ist: innerhalb der nächsten 14 Jahre, bis 2030, sollen die Treibhausgasemissionen im Segment Energiewirtschaft – das sind überwiegend die Kraftwerke des allgemeinen Bedarfs gegenüber dem Jahr 2014 – um etwa die Hälfte sinken. Von 2014 358 Mio. Tonnen auf dann noch 175 bis 183 Millionen Tonnen.
Lassen Sie uns mal ein wenig genauer hinschauen:
Verfügbar sind in der Bundesrepublik derzeit an thermischen, fossilen Kraftwerken 21 Gigawatt (GW) Braunkohle, 26 GW Steinkohle und 29 GW Erdgas. Die Braunkohle ist für 160 Millionen t CO2 verantwortlich, mehr als alle anderen fossilen Kapazitäten zusammen.
Was ist im Jahr 2030 unverzichtbar? Das ist zunächst mal die genannte Einsparung von rund 180 Millionen t CO2. Denn mindestens das ergibt sich aus der segmentscharfen nationalen Umsetzung eines völkerrechtlich verbindlichen Vertrages. Zweitens brauchen wir rund um die Uhr Versorgungssicherheit und Netzstabilität. Das ergibt sich aus der Absicht, eine bedeutende Industrienation zu bleiben – und aus dem notwendigen Arrangement mit den Naturgesetzen.
In welchen Szenarien lassen sich diese Ziele parallel erreichen?“
Szenario 1: Kohleausstieg erst 2050
Gerd Lippold: „Schauen wir uns Ihr Lieblingsszenario an, meine Damen und Herren von der Koalition, für das Sie hier immer wieder die Gebetsmühle drehen. Das ist das Szenario Braunkohle als Brückentechnologie und Partner der erneuerbaren Energien. Man betreibe die Braunkohle unverändert weiter, baue parallel Erneuerbare und Netze aus und spare das CO2 im Energiebereich eben woanders ein.
Selbst mit Abschaltung aller anderen thermischen Kraftwerke – außerhalb der Braunkohle – lässt sich die nötige Einsparung von 180 Millonen t CO2 bei weitem nicht erreichen. Versorgungsstabilität? Fehlanzeige! Alles was dann an thermischer Kapazität noch existiert sind 21 GW Braunkohle. Null im Spitzenlastbereich. Fast Null im Mittellastbereich. Beides lebensnotwendig im Stromnetz, in dem nur eines konstant bleibt: der ständige Lastwechsel. Auch als Backup für Dunkelflaute: Viel zu wenig!
Fazit zu Ihrem Lieblingsszenario: Segmentziel nicht erreichbar, Versorgungssicherheit ruiniert.“
Szenario 2: Alle Kraftwerksbetreiber bauen in gleichem Maße Kapazitäten ab
Gerd Lippold: „Gut, dann wenigstens fair, könnten Sie sagen. Jeder Emittent muss im gleichen Maße abbauen. Halbierung der Emissionen durch Halbierung aller fossilen Kapazitäten. Retten wir die Hälfte Braunkohlekraftwerke – wohlgemerkt bis einschließlich 2030 – und hoffen, dass diese überproportional im Osten stehen. Was liefert dieses Szenario?
Die Einsparung bleibt auch dabei deutlich unter 180 Millionen t. Sie müssen nämlich die verbleibenden schmutzigsten fossilen Kraftwerke mehr laufen lassen, weil sie in diesem Szenario von den weniger schmutzigen zu viele vom Netz nehmen. Es bleiben insgesamt 37 GW thermische KW. Zuwenig als Backup für die Dunkelflaute. Davon nur 27 GW Gas und Steinkohle im Spitzen- und Mittellastbereich – auch das dürfte nicht zuverlässig für die Stabilisierung eines Systems mit viel Sonne und Wind ausreichend sein. Übrigens: für eines mit wenig schon gleich gar nicht.
Fazit: auch mit diesem Ansatz – Halbierung aller fossilen Kraftwerkskapazitäten – wird das Klimaziel nicht erreicht und Versorgungssicherheit nicht gewährleistet.“
Szenario 3: Ab 2030 komplett ohne Braunkohle
Gerd Lippold: „Was tun? Fragen Sie die Gaskraftwerksbetreiber – und die sitzen zuhauf in den Kommunen. Dann bekommen Sie den Vorschlag, doch mal ein Szenario ohne Braunkohle anzuschauen. Also Braunkohle bis 2030 komplett vom Netz, bilanziell ersetzt durch emissionsfreie Energiequellen. Was kommt raus?
Die CO2-Einsparung in diesem Szenario ist rund 160 Millionen t. Das reicht noch nicht ganz.
Für die Versorgungssicherheit verbleiben 55 GW thermische Kraftwerke. Alle Spitzen- und Mittellastfähig. Grundlast können die ja sowieso.
Fazit: wir sind dem Einsparziel schon ziemlich nahe. Netzstabilität ist gesichert. Backup machbar.
In diesem Szenario fehlen noch 20 Mio. t CO2. Die lassen sich zusätzlich im Segment sparen, wenn noch etwa ein Fünftel der Steinkohlekapazitäten – rund 5 GW – vom Netz gehen.
Ergebnis: 180 Millionen t Einsparung und verbleibende 50 GW thermische Regel- und Backupkapazität. Flexibel, systemtauglich. Beide 2030-Prämissen werden erreicht.“
Was heißt das für Sachsen?
Gerd Lippold: „Ich habe Ihnen vorgestellt, welche Optionen es gibt. Sie können das alles leicht nachrechnen – die Grundrechenarten genügen und alle Daten sind offen.
Sie sehen ganz klar, in welche Richtung alle Lösungsansätze konvergieren. Die Abschätzungen sind in Bezug auf das Einsparpotenzial eher noch zu optimistisch, weil man ja zum Teil fossile Erzeugung durch fossile Erzeugung ersetzt. Umso wichtiger, dass man dabei jeweils die sauberste Option wählt.
Das Ergebnis ist zwingend: ein erheblicher Teil der heutigen Braunkohlenkraftwerke kann und wird 2030 nicht mehr am Netz sein. Auch in Sachsen werden die ersten Blöcke vor 2030 vom Netz gehen und der Rest deutlich vor 2040.
Das und nichts anderes steht bereits heute in den Segmentzielen des Klimaschutzplans 2050.“
Das Problem
Noch immer liegen der sächsischen Staatsregierung Anträge zur Tagebauerweiterung vor. Besonders sauer macht Lippold der Versuch der im Leipziger Südraum tätigen Mibrag, die ohne wirklich belastbaren Bedarf das Dorf Pödelwitz abbaggern will.
Gerd Lippold: „Auf die im Süden von Leipzig beabsichtigte Tagebauerweiterung möchte ich gesondert eingehen. Denn hier ist dringend Klärung geboten und das ist mir ganz besonders wichtig.
Es geht um die Erweiterungspläne der EPH-Tochter MIBRAG für den Tagebau Vereinigtes Schleenhain südlich von Leipzig: hier geht es noch nicht mal um Kohle, die man in diesem oder jenen Szenario braucht oder nicht. Dieser Landtag hat mit dem Heuersdorfgesetz dafür gesorgt, dass die Versorgung des Kraftwerks Lippendorf bis zu dessen Ende gesichert ist. Das Dorf Pödelwitz, das in der Gesetzesbegründung als Schutzgut bezeichnet wird, ist der Mibrag einfach unter internen Kostenerwägungen im Weg. Das Vorhaben hat angesichts der fest entschlossenen Bleibewilligen keine Chance. Dennoch droht bereits ab nächstem Jahr die Schaffung vollendeter Tatsachen durch Zerstörung des 700 Jahre alten Dorfes, indem die Mibrag die Teile, aus denen sie die Leute rausgekauft hat, einfach abreißt – wenn hier Ihr wie ein Staat im Staate agierendes Oberbergamt weiter den Eindruck vermittelt, als ließe sich dieser Irrsinn am Ende realisieren. Einen Irrsinn, der den Kraftwerksbetrieb um nicht einen einzigen Tag verlängert, niemandes ungedeckten Kohlebedarf deckt und keinen Arbeitsplatz sichert. Der einfach nur einem tschechischen Oligarchen ermöglichen soll, zur Maximierung der abzuführenden Gewinne ein sächsisches Dorf auszuradieren, das den 30-jährigen Krieg überstanden hat! Und damit hier zu tun, was in der Tschechischen Republik nicht mehr möglich ist. Stoppen Sie diesen Wahnsinn, Herr Minister! Das Thema wird Ihnen sonst durch diese Legislatur erhalten bleiben, mit rasch steigender Brisanz.“
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Eigentlich ist es ja doch gut, dass wir nicht ewig leben. Ein paar Generationen weiter wird man sehr sauer auf uns sein, bei denen sollten wir uns wohl besser nicht blicken lassen.