Deutschland geht es ja richtig gut, wenn man so manchem bestens versorgten Politiker aus behäbigeren Bundesländern hört. Der Haushalt endet sachte im Plus, da könnte man ja wieder mal Steuern senken und Wohltaten verteilen. Es sind immer wieder deutsche Politiker, die die europäische Dimension der Finanzmisere völlig ausblenden. Zumindest ein Hoffnungsschimmer leuchtet am Horizont: der 10. Oktober.
Dann könnten sich die Regierungschefs und Finanzminister von zehn europäischen Staaten endlich über die Einführung der Finanztransaktionssteuer einigen. Verhandelt wird seit 2013. Deutschland hat den Schritt 2014 beschlossen. Nur macht bei so einer Steuer ein Alleingang keinen Sinn. Wenn zehn Staaten den Beginn machen, ist das schon ein starkes Signal.
Und dem versuchen jetzt mehr als 250 renommierte Wirtschaftswissenschaftler/innen eine deutliche Unterstützung zu geben. In einem offenen Brief fordern sie die Einführung der Finanztransaktionssteuer (FTS).
Wenige Tage vor dem entscheidenden Treffen der europäischen Finanzminister am 10. Oktober appellieren sie in diesem offenen Brief an die beteiligten Regierungen, die Steuer nach jahrelangen Verhandlungen endlich zu beschließen. Der Brief wird auch von deutschen Top-Ökonomen mitgezeichnet, darunter Rudolf Hickel, Gustav Horn, Achim Truger, Lorenz Jarass, Karl-Georg Zinn, Frank Hechtner und Dorothea Schäfer.
Er richtet sich an die Regierungschefs und Finanzminister der zehn europäischen Staaten, die seit 2013 über die Einführung der Finanztransaktionsteuer verhandeln, eine Einigung in den vergangenen Monaten jedoch immer wieder verschoben haben. Diese Gruppe besteht aus Deutschland, Frankreich, Spanien, Italien, Österreich, Griechenland, Slowenien, Belgien, Portugal und der Slowakei.
In ihrem Brief betonen die Ökonomen die Notwendigkeit einer Finanztransaktionssteuer, um Finanzspekulation einzudämmen, die Finanzmärkte zu stabilisieren und mit den Einnahmen dringende nationale und internationale Aufgaben zu finanzieren.
Zwei der verhandelnden Staaten hatten vor einigen Monaten noch einmal neue Einwände erhoben: Belgien forderte weitgehende Ausnahmen bei Derivaten auf Staatsanleihen und Slowenien befürchtete im Vergleich zu den Steuereinnahmen unverhältnismäßig hohe Kosten der Einführung. Zur Klärung dieser Fragen wurden zwei Arbeitsgruppen gebildet, deren Ergebnisse nun vorliegen. Die Mehrkosten für belgische Staatsanleihen betragen bei einer Besteuerung durch die FTS demnach maximal 60 Millionen Euro in zehn Jahren – also sechs Millionen pro Jahr.
Angesichts der Einnahmeerwartungen von mehreren Hundert Millionen Euro ist das eine zu vernachlässigende Größenordnung. Die Kosten der Einführung für Slowenien werden auf eine Million Euro geschätzt, gegenüber den Einnahmeerwartungen von 100 Millionen Euro, also gerade einmal ein Prozent.
Detlev von Larcher, Koordinator der deutschen Kampagne „Steuer gegen Armut“, kommentiert: „Einer Einigung am 10. Oktober steht aus technischer Sicht nichts mehr im Weg und weitere Verzögerungen sind nicht nachvollziehbar. Die Finanzminister und ihre Regierungen müssen sich am Montag klar zur FTS bekennen und sie endgültig beschließen.“
Auf die Notwendigkeit der Steuer geht Pia Schwertner, Koordinatorin der FTS-Kampagne von Oxfam Deutschland, ein. Denn ins Gespräch gebracht wurde die Steuer ja nicht ohne Grund mitten in den wilden Auswirkungen der Finanzkrise, die durch Spekulationen mit Finanzderivaten ausgelöst worden war. Die meisten der spekulativen Finanzgeschäfte laufen völlig an den Haushalten der Staaten vorbei. Da werden Milliarden und Billionen gekauft und verkauft, wird auf Währungen und Staaten gewettet – und wenn die Wetten dann geplatzt sind, müssen ausgerechnet diese Staaten dann für die zumeist katastrophalen Folgen einstehen. Die Gelder, die sie eigentlich dringend brauchen, um mit Investitionen in Bildung, Soziales, Infrastrukturen die eigene Wirtschaft zu unterstützen, fehlen, fließen ab in gigantische „Rettungspakete“, die nicht die Staaten retten, sondern die Zocker.
Mit der Finanztransaktionssteuer könnte dem – wie es der Name schon sagt – ein Stück weit gegengesteuert werden.
Pia Schwertner: „Die Einführung der Finanztransaktionssteuer ist überfällig. Sie würde dringend benötigtes Geld einbringen, um weltweit Gesundheit und Bildung und den internationalen Klimaschutz zu finanzieren. Das Zögern und Zaudern muss ein Ende haben. Die Regierungen der zehn beteiligten Staaten müssen endlich Verantwortung für die Herausforderungen übernehmen, vor denen die Welt steht.“
Der offene Brief im Wortlaut:
An die Regierungen in Deutschland, Frankreich, Spanien, Italien, Österreich, Griechenland, Slowenien, Belgien, Portugal und der Slowakei
Sehr geehrte Staats- und Regierungschefs und Finanzminister,
wir schreiben Ihnen, da die Verhandlungen zur Einführung der Finanztransaktionssteuer in Europa kurz vor dem Ende stehen und eine historische Einigung zum Greifen nahe ist.
Die Finanztransaktionssteuer ist eine wichtige Steuer für das 21. Jahrhundert. Ihre Zeit ist reif. Als Antwort auf die Finanzkrise ist sie ein geeignetes Mittel, um Finanzspekulation einzudämmen, die Finanzmärkte zu stabilisieren und für Steuerbehörden transparenter zu machen.
Zudem generiert sie substantielle Einnahmen, die dafür genutzt werden können, Arbeitsplätze zu schaffen und öffentliche Leistungen zu sichern. Ebenso können diese Einnahmen dazu dienen, internationale Verpflichtungen zur Unterstützung armer Länder beim Auf- und Ausbau von Gesundheits- und Bildungssystemen einzuhalten und den Kampf gegen die negativen Auswirkungen des Klimawandels zu finanzieren.
Mit minimalen Steuersätzen von unter 0,1 %, ist die Finanztransaktionssteuer für den Finanzsektor problemlos tragbar. Die Finanztransaktionssteuer ist technisch umsetzbar und extrem schwer zu umgehen. Sie ist ökonomisch und sozial erstrebenswert. Und sie ist moralisch richtig.
Eine dauerhafte Erhöhung der Staatseinnahmen mithilfe der Finanztransaktionssteuer zur Finanzierung nationaler und internationaler Aufgaben ist dringend notwendig. Nach vielen Jahren des Verhandelns ist eine Einigung überfällig. Wir fordern Sie auf, Geschichte zu schreiben und die Finanztransaktionssteuer jetzt einzuführen.
In eigener Sache – Wir knacken gemeinsam die 250 & kaufen den „Melder“ frei
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