Selbst im Wirtschaftsministerium in Dresden wurde am Wochenende gearbeitet: Die Sache mit dem IAB-Betriebspanel musste raus. Immerhin ist es schon seit Ende Juni fertig. Es dauert eh schon immer ewig, bis das der Bundesarbeitsagentur angegliederte Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) ein neues Panel für ein Bundesland fertig hat. Und dann muss der zuständige Arbeitsminister auch noch was damit anfangen können.
Sachsens Betriebe haben im vergangenen Jahr rund 1,78 Millionen Menschen beschäftigt und damit zwei Prozent mehr als im Jahr 2014. Das ist zwar nicht ein Ergebnis des IAB-Betriebspanels, sondern steht so in der Betriebsdatei der Bundesarbeitsagentur. Aber auf diesen Zahlen baut natürlich alles auf. Insgesamt hat sich die Zahl der Beschäftigten seit 2005 bis heute um rund 15 Prozent erhöht und damit stärker als in anderen ostdeutschen Flächenländern, liest das sächsische Wirtschaftsministerium aus den Zahlen heraus.
Die Befragung zeige auch, dass fehlende Fachkräfte neben der Kostenproblematik eines der größten Hemmnisse für die Realisierung von Innovationen seien.
Arbeitsminister Martin Dulig: „Damit sich die sächsische Wirtschaft auch künftig erfolgreich entwickeln und Wachstum generieren kann, bedarf es nicht nur einer hohen Investitions- und Innovationsbereitschaft, sondern zugleich auch gut ausgebildeter Fachkräfte.“
Das Erbe der Niedriglohnpolitik
Natürlich ist es gemein, wenn das Betriebspanel auch zeigt, was die jahrelang in Sachsen gepflegte Niedriglohnpolitik angerichtet hat am Arbeitsmarkt. Jahrelang rangierte Sachsen bei den Bruttolöhnen sogar deutlich unter dem Durchschnitt der ostdeutschen Länder. Erst mit dem Jahr 2011 traten deutliche Veränderungen ein, zog das Lohnniveau in den vom IAB-Panel erfassten Betrieben deutlich an. Wobei man wissen muss: Das IAB hat nicht alle 113.743 Betriebe befragt, sondern im Herbst 2015 nur eine Stichprobe von 1,0 Prozent aller Betriebe mit 5,9 Prozent aller Beschäftigten genommen. Mit der Extra-Bedingungen: Mindestens einer der Beschäftigten musste sozialversicherungspflichtig beschäftigt sein.
Die Hochrechnung hat also gewisse Löcher. Ein Teil der sächsischen Arbeitswirklichkeit bleibt ausgeblendet.
Das Erbe der bundesdeutschen Arbeitsmarktpolitik seit 1998
Dafür wird sichtbar, wie sehr deutsche Unternehmen ab 1998 die alten Tarifbindungen verlassen haben – nicht nur in Sachsen. Aber hier auch. Der Anteil von Betrieben mit Tarifbindung ist von 38 auf 16 Prozent gefallen. Der Anteil der noch tarifgebundenen Beschäftigten fiel nicht ganz so stark – von 70 auf 43 Prozent. Das hat eine Menge mit der Branche und mit der Betriebsgröße zu tun. Je größer ein Unternehmen ist, umso leichter fällt es ihm auch, Tariflöhne zu zahlen. Unternehmen mit mindestens 250 Beschäftigten zahlen auch heute noch zu 67 Prozent Tariflohn. Während bei Unternehmen mit maximal 9 Beschäftigten die Quote nur bei 10 Prozent liegt.
Die Ursachen liegen eher selten im fehlenden Willen des Firmeneigentümers, sondern am fehlenden Geld. Sächsische Unternehmen beklagen sich zum Beispiel doppelt so oft wie westdeutsche, wie schwer es ist, an Fremdkapital zu kommen. Das schlägt auf alles durch – die Investitionsrate bleibt niedrig bei 6 bis 7 Prozent. Und die Ausgaben für Forschung und Entwicklung bleiben marginal.
Und selbst wenn der Laden besser läuft – wie das in Sachsen seit 2011 spürbar der Fall ist – steht der Unternehmer dann vor einer Entscheidung: Erhöht er die Löhne? Dann kann er nicht viel investieren, bestenfalls in die Werterhaltung des Maschinenparks. Wagt er eine wichtige Investition, fehlt das Geld zur Produktentwicklung. Aber ohne neue Produkte kann er seine Marktanteile nicht behaupten.
Hilferuf der Wirtschaft wurde von der Landespolitik nicht erhört
Und dann kommt noch der Ärger mit den Fachkräften oben drauf. Manchmal völlig unverschuldet. Die sächsischen Wirtschaftskammern haben seit 2008 in immer deutlicheren Worten gewarnt und gebettelt, Sachsen möge endlich die riesige Schulabbrecherquote von über 10 Prozent senken. Das könne man sich nicht mehr leisten, wenn ab 2010 die halbierten Ausbildungsjahrgänge kommen.
Man hat der sächsischen Bildungstrickserei seitdem recht ratlos zuschauen können: Gründlicher wurde ein zentrales Politikthema noch nicht vergeigt. Und es wird weitergetrickst.
Dabei hat Sachsen noch Glück: Es ist ein Zuwanderungsland und vor allem in die Großstädte wandern junge Leute zu, die den Fachkräftebedarf helfen zu decken. So dass Sachsen, das 2014 noch den größten Fachkräftehunger hatte, heute etwas gesättigt wieder hinter den anderen ostdeutschen und westdeutschen Bundesländern liegt.
Woher soll man sich die fehlenden Fachkräfte nehmen?
Aber die Betriebe haben ihren Bedarf ja auch anderswo gedeckt: Bei den atypisch Beschäftigten – all den Mini-, Midi- und Leiharbeitern. Sachsen hat den Anteil dieser Beschäftigungen seit 2012 deutlich stärker senken können als die anderen Bundesländer. Und es hat vor allem Beschäftigte im Beruf gehalten, die man sonst schon in die Arbeitslosigkeit geschickt hätte. Bis zur Finanzkrise war es eigentlich üblich, dass viele Betriebe ihre Beschäftigten ab 50 Jahre einfach aussortierten. Das war schon immer eine Sauerei, nicht nur den Betroffenen gegenüber, sondern auch dem Sozialstaat, denn was der feuernde Betrieb sich hier ersparte, musste der Staat dann zuschießen. Dass der Wirtschaft damit aber auch jede Menge Knowhow und Berufserfahrung verloren ging, das haben viele Unternehmer mittlerweile begriffen.
Das würdigt jetzt auch das sächsische Wirtschaftsministerium: „Doch nicht nur die jüngeren Menschen in Sachsen profitieren vom Aufschwung am Arbeitsmarkt. Auch die Bereitschaft der Betriebe zur Einstellung Älterer ist gestiegen. Im ersten Halbjahr 2015 wurden in Sachsen 61 Prozent aller verfügbaren Stellen, auf die sich Ältere beworben hatten, auch mit einer Person besetzt, die 50 Jahre und älter war. Gegenüber 2011 hat der Anteil der Beschäftigten in der Altersgruppe 50plus um drei Prozentpunkte zugenommen.“
Ältere werden dringend gebraucht
Und – was noch wichtiger ist: Der Anteil der Unternehmen, die ältere Beschäftigte haben, stieg von 59 Prozent im Jahr 2006 auf nunmehr 78 Prozent. Die über 50-Jährigen stellen mittlerweile 35 Prozent aller Beschäftigten, 10 Prozent mehr als 2006.
Der Prozess erfolgte nicht immer so gewollt, das muss man auch bedenken. Im öffentlichen Dienst in Sachsen erfolgte er chaotisch. Mit dem Ergebnis, dass der öffentliche Dienst mit 15 Prozent Beschäftigter über 60 Jahre deutlich stärker überaltert ist als alle anderen Branchen. Weitere 37 Prozent der öffentlich Bediensteten sind zwischen 50 und 60 Jahre alt. Jedem freien Unternehmer würde angst und bange werden von dem riesigen Verjüngungsprozess, der da auf ihn zukäme – und das in einer Zeit, wo es an jungem Nachwuchs allerenden fehlt.
Deutlich gestiegene Übernahmequote
Also steigen nun auch wieder Unternehmen in die Ausbildung ein, die seit 2010, seit die Bewerberzahlen eingebrochen sind, eigentlich nicht mehr ausbilden wollten. Es geht nicht anders. Wo das Land nicht in die Pötte kommt, müssen die Unternehmen selbst versuchen, aus den demotivierten jungen Leuten doch noch qualifizierte Mitarbeiter zu machen. Man braucht sie ja. Und deswegen ist auch die Übernahmequote drastisch angestiegen – von 41 Prozent im Jahr 2003 auf mittlerweile 71 Prozent.
Was auch das Wirtschaftsministerium wohlwollend zur Kenntnis nimmt: „Es ist deswegen ein gutes Zeichen, dass die Ausbildungsbeteiligung ausbildungsberechtigter Betriebe 2015 erneut gesteigert werden konnte. Außerdem erreichte die Übernahmequote von Ausbildungsabsolventen im vergangenen Jahr in Sachsen einen neuen Höchstwert und lag wie bereits im Vorjahr über der Quote westdeutscher Betriebe.“
Das Geld bleibt knapp
Und das alles immer vor dem Hintergrund knapper Gelder. Nach den Investitionshemmnissen befragt, geben 48 Prozent der befragten Unternehmen an, die Investitionskosten seien (zu) hoch, womit diese Besorgnis in Sachsen ebenso deutlich über ost- und westdeutschem Niveau liegt wie die zum fehlenden Fremdkapital, dem wirtschaftlichen Risiko einer Investition oder dem ausgesprochenen Mangel an Fachpersonal.
Man ahnt, welche Anstrengung es die Betriebe kostet, nun trotzdem in so einer Situation Gas zu geben und aus einer Situation der Stagnation herauszukommen. Zumindest schätzt das IAB die Jahre 2008 bis 2014 als zweite Stagnationsphase ein nach der kurzen Aufholphase von 2001 bis 2007, in der Sachsen sich von 53 Prozent Produktivität im Vergleich mit Westdeutschland auf 68 Prozent hinaufarbeiten konnte. Dann kam ja bekanntlich die Finanzkrise und beendete die Blütenträume. Mit 70 Prozent hat Sachsen 2014 einen neuen Spitzenwert erreicht. Da ist also durchaus noch Luft drin.
Info: Das IAB-Betriebspanel ist eine repräsentative Arbeitgeberbefragung zu betrieblichen Bestimmungsgrößen der Beschäftigung, die jährlich erhoben wird. Für die 20. Welle wurden von Juli bis September 2015 durch TNS Infratest 1.135 sächsische Betriebe befragt. Die Rücklaufquote beträgt 85 Prozent.
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