Forsch verkündet zwar das Institut für Wirtschaftsforschung Halle (IWH) am 14. April: „Die Wirtschaftsforschungsinstitute schätzen, dass das Bruttoinlandsprodukt in Deutschland im Jahr 2016 um 1,6 Prozent zunehmen wird; im Herbst hatten sie noch 1,8 Prozent vorhergesagt.“ Aber hinter „die Wirtschaftsinstitute“ stecken tatsächlich nur vier - von über einem Dutzend solcher Institute. „Viel beachtet“ sei die Prognose dieser Institute, meint Wikipedia.
Aber was hilft es, wenn sie nicht wirklich Orientierung gibt? Auch wenn es wie eine Orientierung aussieht, wenn die vier Institute eine neue wahrscheinliche Wachstumsrate von 1,6 Prozent für 2016 voraussagen? Statt 1,8 Prozent.
„Ausschlaggebend für die Revision war ausschließlich, dass sich die Weltwirtschaft Ende 2015 merklich abgekühlt hat. Die deutsche Binnenkonjunktur stellt sich aus heutiger Sicht sogar besser dar als noch im Herbst“, sagte Timo Wollmershäuser, Leiter des ifo Zentrums für Konjunkturforschung, am Mittwoch. Insgesamt befinde sich die deutsche Konjunktur in einem moderaten Aufschwung.
Die Zahl der Erwerbstätigen werde daher weiter steigen, von 43,0 Millionen 2015 auf 43,5 Millionen im laufenden Jahr, wie aus dem Gutachten hervorgeht, das die Institute am Donnerstag in Berlin vorstellten. Die Arbeitslosigkeit steige trotz des Beschäftigungsaufbaus im nächsten Jahr leicht, da die Integration von Flüchtlingen in den Arbeitsmarkt langwierig sei. Die Arbeitslosenquote erhöhe sich aber kaum, von 6,2 Prozent auf 6,4 Prozent. Und das auch nur, weil die Flüchtlinge jetzt in den Arbeitsmarkt eingebunden werden müssen. Das dauert natürlich.
Wobei man stutzen darf. Denn die vier Institute werten die Ausgaben für die Flüchtlinge als reine konsumtive Ausgaben, nicht als Investition.
Das wird auch nicht weiter diskutiert in ihrem Papier.
Aber wenn man solche Ausgaben, die ja letztlich Hunderten Firmen neue Umsätze verschaffen und hunderte Arbeitsplätze sichern nur als Konsumtion versteht, sind sie ja eine Belastung für den Staatshaushalt.
Übrigens eine Betrachtung, die schon länger durch die Gazetten geistert, als würde sich Geld, das „konsumiert“ wird, einfach in Luft auflösen.
Wahrscheinlich einer der größten Kardinalfehler in der Weltsicht der mittlerweile sehr stromlinienförmigen Wirtschaftsinstitute.
Aber gerade die sogenannte Binnennachfrage (die ja vor allem reine Konsumtion ist) stärkt die deutsche Wirtschaftsentwicklung nun seit drei Jahren. Ohne diese größere Konsumnachfrage, die auch auf zum Teil wahrnehmbaren Einkommenszuwächsen der Arbeitnehmer beruht, hätte die Wirtschaft der Republik schon längst heftige Dämpfungen durch die „kriselnden“ Märkte in aller Welt bekommen. Denn dass diese Krise auf Riesenmärkten wie in China die Nachfrage nach deutschen Produkten heftig dämpft, ist ja der Grund dafür, warum die vier Institute ihre Prognose jetzt gesenkt haben.
Aber Wirtschaft ist eben nicht nur Export. Und tatsächlich fehlt es auch in Deutschland schon seit Jahren eher an einer Stärkung der Binnennachfrage.
Aber dass die Ausgaben für die Unterbringung und Integration der Flüchtlinge dazugehören könnten, hat ihm Interpretationsmuster der vier Institute keinen Platz: „Die Mehrausgaben im Zusammenhang mit der Flüchtlingsmigration sind ein wichtiger Grund dafür, dass der Finanzierungssaldo des Staates von 21 Mrd. Euro im Jahr 2015 auf 11 Mrd. Euro im Jahr 2016 sinken dürfte. Da die deutsche Wirtschaft in etwa normal ausgelastet ist, ist dieser Überschuss weitgehend strukturell.“
Das klingt geradezu abwertend, als dürfe das Land so einen Überschuss gar nicht haben, wenn nicht gerade ein konjunkturelles Feuerwerk stattfindet. Vor allem wird kritisiert, dass man derzeit eine demografische Sondersituation habe, in der besonders viele Menschen in Lohn und Brot sind und damit die Sozialkassen deutlich entlasten – was sich in den nächsten Jahren ändern wird. Dann fangen die ganzen Probleme mit der Finanzierung etwa der Rentenkassen erst so richtig an.
Sollte man das Geld also jetzt ausgeben? Und wenn ja, wofür?
Die Antwort der vier Institute ist entsprechend erhellend: „Es besteht also weiterhin ein gewisser finanzpolitischer Handlungsspielraum. Dieser sollte nach Auffassung der Institute wachstumsorientiert eingesetzt werden. Die aktuelle Ausrichtung der Geldpolitik im Euroraum halten die Institute für angemessen.“
Aber was steck hinter diesem Wörtchen „wachstumsorientiert“?
„Angesichts der absehbaren demografisch bedingten Mehrbelastungen sollten diese Überschüsse primär für Maßnahmen verwendet werden, die das Produktionspotenzial dauerhaft erhöhen“, heißt es im Gutachten. Klingt gut, wird aber gleich wieder konterkariert durch diesen Vorschlag: „Neben der Senkung der Steuer- und Abgabenbelastung der Arbeitnehmer können investive Ausgaben für Sach- und insbesondere Humankapital das Produktionspotenzial steigern. Letzteres ist insbesondere auch wichtig, um die Integration von Flüchtlingen in den Arbeitsmarkt zu erleichtern. Allerdings setzte die Wirtschaftspolitik ihre Prioritäten bislang eher bei konsumtiven und verteilungspolitischen Ausgaben als bei wachstumsorientierten Maßnahmen. Eine Fortführung der wenig wachstumsorientierten Wirtschaftspolitik der vergangenen Jahre wäre nicht nachhaltig.“
Das passt nicht zusammen. Man kann nicht die „Steuer- und Abgabenbelastung der Arbeitnehmer“ senken und dann noch erwarten, man hätte noch Geld zum Investieren. Es sei denn, man erhöht die Steuersätze für andere Gruppen – die sich ja bekanntlich mit Händen und Füßen zu wehren wissen.
Die Lücke in der Argumentation ist auffällig, denn die Herstellung von Steuergerechtigkeit wird sichtlich ausgespart. Denn das ist das eigentliche Problem im heutigen Deutschland und ein eigenes Thema. Die Verteilungsschlacht rund um die Steuerquoten wird weitergehen. Und es geht längst nicht mehr um die viel beschworene „kalte Progression“, sondern um einen regelrechten Steuerwettbewerb, der längst auch zwischen reichen und armen Ländern und Kommunen ausgefochten wird.
Und an welche Investitionen denken die vier Institute?
„Eine Verschiebung der finanzpolitischen Prioritäten von konsumtiven zu investiven Ausgaben ist nicht zu erkennen. Die Finanzplanung des Bundes sieht laut Eckwertebeschluss der Bundesregierung noch bis 2017 steigende Investitionen, für die Jahre danach allerdings wieder einen Rückgang vor.“
Und da nennen sie dann ein Investitionsfeld, wo es – trotz anderslautender Bekundungen – in der Bundesrepublik schon seit Jahren klemmt: „Ein Wachstumshemmnis dürfte daraus resultieren, dass die Ausgaben für Bildung in Deutschland gemessen an anderen fortgeschrittenen Volkswirtschaften auf allen Ebenen des Bildungssystems gering sind.“
Und das betrifft auch die Integration der Flüchtlinge: Bildung ist auch der Zugang in unsere Gesellschaft und in Arbeit. Das Gutachten dazu: „Durch die
hohe Flüchtlingsmigration sind höhere Aufwendungen in diesem Bereich noch dringlicher geworden. Der rasche Erwerb von Sprachkenntnissen und eine gute schulische und berufliche Ausbildung sind die Grundvoraussetzungen einer erfolgreichen Integration in den Arbeitsmarkt.“
Viel konkreter wird es dann in Sachen Investitionen aber leider nicht, was eigentlich überfällig wäre. Denn die niedrige Investitionsquote der vergangenen Jahre hat auch dazu geführt, dass viele Infrastrukturen verschlissen sind. Es herrscht ein gewaltiger Sanierungsstau. Andererseits kritisiert das Gutachten auch, dass vor allem die steigenden Ausgaben im Militäretat die Investitionsquote in die Höhe getrieben haben. Was eigentlich die Fehlentwicklung in den Investitionsetats sichtbar macht.
Aber dem kann man mit der „klassischen“ Betrachtung, die die Wirtschaftsinstitute hier ansetzen, nicht wirklich beikommen. Denn falsch gesetzte Investitionen – und der Wehretat zählt eindeutig dazu – sind auch nur Konsumtion.
Dabei kann man ja schon froh sein, dass die Bundesregierung vom alten Investitionsliebling „Straßenneubau“ endlich abgekommen ist und begriffen hat, dass auch und gerade Bestandserhalt eine Zukunftsinvestition ist. Und da schon das freche Wort „Humankapital“ im Gutachten vorkommt, darf man natürlich die Frage stellen: Ist nur Bildungsinvestition eine echte Investition in Menschen?
Die lassen wir einfach hier stehen.
In eigener Sache
Jetzt bis 13. Mai (23:59 Uhr) für 49,50 Euro im Jahr die L-IZ.de & die LEIPZIGER ZEITUNG zusammen abonnieren, Prämien, wie zB. T-Shirts von den „Hooligans Gegen Satzbau“, Schwarwels neues Karikaturenbuch & den Film „Leipzig von oben“ oder den Krimi „Trauma“ aus dem fhl Verlag abstauben. Einige Argumente, um Unterstützer von lokalem Journalismus zu werden, gibt es hier.
Keine Kommentare bisher