Am Mittwoch, 16. März, ging das Bieterverfahren für das Braunkohlegeschäft von Vattenfall in Brandenburg und Sachsen zu Ende. Noch weiß niemand, was die zwei letzen Bieter tatsächlich angeboten haben, ob es für Vattenfall überhaupt noch ein Geschäft ist. Aber am Donnerstag, 17. März, tagte auch der sächsische Landtag zum Thema. Und die Warnungen an die Staatsregierung waren deutlich.
Denn immer deutlicher wird, dass am Ende möglicherweise die betroffenen Bundesländer auf den Kosten für die Renaturierung der Tagebaulandschaften sitzen bleiben. Es gibt eigentlich Gründe genug, dass sich die betroffenen Landesregierungen auch das Kleingedruckte in den Kaufverträgen angucken. Das wolle er wohl tun, wenn es soweit ist, betonte Wirtschaftsminister Martin Dulig (SPD) dann auch extra.
„Es ist weder meine Aufgabe noch die Aufgabe des Freistaates Sachsen, die einzelnen Angebote der Bieter zu bewerten. Der Freistaat Sachsen spielt in dem Verkaufsprozess keine aktive Rolle. Wir haben natürlich ein großes Interesse daran, dass der Verkaufsprozess vernünftig läuft. Denn wir müssen unsere Interessen wahren. Das betrifft die Verpflichtung des Energieunternehmens zur Strom-Versorgung, aber – mindestens genauso wichtig – zur Renaturierung der Kohlegruben. Wir haben das Recht zu prüfen und darauf zu bestehen, dass die Verpflichtungen von Vattenfall an den neuen Betreiber übergehen, also das geltende Recht eingehalten wird“, sagte Dulig am Donnerstag. „Wir erwarten, dass sich ein neuer Eigentümer an die geltenden Verträge hält und allen Verpflichtungen nachkommen wird. Dies betrifft insbesondere den Erhalt der Arbeitsplätze in der Lausitz, entsprechende Förderverträge, die Möglichkeit zur Nutzung von Optionen für neue Gruben und vor allem die Renaturierung von Kohlegruben.“
Ver.di träumt noch immer von einer Übergangszeit
Womit er eigentlich auch betont, dass man auf Regierungsebene die Entwicklung noch ganz ähnlich blauäugig sieht wie die Gewerkschaft Ver.di. Die vielen Geschichten um die „Brückentechnologie“, den preiswerten Strom und die „flexiblen Kraftwerke“ sind augenscheinlich auf guten Glauben gestoßen.
„Flexible, schnell regelbare Kraftwerke auf Basis fossiler Energieträger werden noch für eine Übergangszeit benötigt, um die wetterabhängige Stromerzeugung von Wind- und Solarkraftwerken zu ergänzen“, meinte ver.di-Bundesvorstandsmitglied Andreas Scheidt am Donnerstag. Die Botschaft, dass es bei der Kohle längst um Rentabilität geht, ist augenscheinlich noch nicht bei Ver.di angekommen. Da glaubt man noch, der Ausstieg aus der Kohle hänge nur von guten Wetterbedingungen ab. Scheidt: „Sollte sich herausstellen, dass es möglich ist, aus der Kohleverstromung schneller aussteigen zu können als bislang vorgesehen, muss die notwendige soziale Absicherung der Beschäftigten mit staatlichem Flankenschutz erfolgen.“
Dabei besagen alle Signale – auch aus dem Bieterverfahren – dass es nicht um die Möglichkeit eines künftigen Ausstiegs geht, sondern ziemlich bald um einen sehr realen Vorgang.
Der Vorsitzende der Bergbaugewerkschaft IG BCE, Michael Vassiliadis, hatte aus gutem Grund nun auch ein mögliches Stiftungsmodell auf die Tagesordnung gesetzt, mit dem der Ausstieg aus der Kohle begonnen und abgefedert werden könnte.
Augenscheinlich ein so beängstigender Gedanke, das auch Sachsens Wirtschaftsminister gleich abwiegeln ließ: Eine Abstimmung mit dem Freistaat Sachsen zu dem zuletzt ins Spiel gebrachten Modell einer Kohle-Stiftung habe es nicht gegeben.
Augenscheinlich tun sich alle involvierten Parteien schwer, überhaupt das Wort „Kohleausstieg“ in den Mund zu nehmen und miteinander über mögliche Ausstiegsszenarien überhaupt zu reden. Es gibt ja schlichtweg keine, obwohl den Konzernen die Renditen verhagelt sind und mit Kohle eigentlich kein Geld mehr verdient wird. Und dass der Freistaat sich da vornehm zurückhält, leuchtete am Donnerstag weder Linken noch Grünen ein.
Wie viele Milliarden Euro wird die Renaturierung in Sachsen kosten?
Dr. Jana Pinka, Sprecherin für Umweltpolitik und Ressourcenwirtschaft der Linksfraktion, fasste das Dilemma, in dem auch Sachsen steckt, im Grunde kurz und bündig zusammen.
„Der Freistaat ist weder Eigentümer der Braunkohlelagerstätten noch Betreiber der Kraftwerke, kann aber Einfluss auf die Verhandlungen nehmen! Das sollte er auch, damit bergbautreibende Unternehmen ihren Pflichten bei Wasser-, Immissions- und Naturschutz nachkommen. Der Freistaat hat in den letzten Jahren seine Kontrollaufgaben vernachlässigt. Die Folgen: Umsiedlungen schützenswerter Pflanzen waren nicht erfolgreich. Ein Birkhuhn-Vorkommen in Nochten, eine streng geschützte Tierart, wurde ausgerottet. Die ‚Ökowasserzuführung‘ an naturschutzfachlich wertvolle Gebiete funktioniert bereits jetzt nicht. Grundwasser, Oberflächenwasser und Trinkwasserschutzzonen sind mit Eisensulfat belastet. Die Spree verockert“, mahnte sie. Und ging dann auch mal auf die Kosten ein, die die Renaturierung der Tagebaue nach Ende des Kohlegeschäfts mit sich bringen würde.
„Das Bund-Länder-Unternehmen LMBV hat bisher zehn Milliarden Euro in die Sanierung der Bergbaufolgen investiert. Nach dem Auslaufen der Kohleverstromung drohen weitere Kosten. Der Freistaat muss sich absichern!“, mahnte sie. „Doch profitiert er nicht von einer Feldes- und Förderabgabe, verzichtet auf eine Wasserentnahmeabgabe und hat von Vattenfall keine Sicherungsleistungen für den Fall einer Insolvenz eingefordert. So werden Gewinne aus dem Raubbau an Natur und Umwelt privatisiert, die Folgekosten auf die Allgemeinheit abgewälzt. Zum Zeitpunkt des Eigentumsübergangs muss eine Status-Quo-Schadensbilanz der Tätigkeit Vattenfalls und der Folgeschäden für Natur, Umwelt, Landschaft, Klima und damit die Bevölkerung her! Sachsen muss von Vattenfall umgehend Rückstellungen für eine künftige Sanierung der Braunkohlegebiete als Sicherungsleistungen einfordern. Wenn der Freistaat seine Forderungen nicht auf den Käufer übertragen kann, müsste eine Sanierung der Schutzgüter aus Steuermitteln finanziert werden.“
Womit man dann genau da wäre, wovor auch die Umweltinitiativen warnen: Der Steuerzahler bezahlt dann die ganzen Folgekosten und Sachsen muss wieder Milliarden Euro aus seinem Haushalt abzweigen, die nicht mehr für wichtige Investitionen zur Verfügung stehen.
Das könnte man dann auch wirtschaftliches Missmanagement auf politischer Ebene nennen. Ob es dann nur 2,75 Milliarden Euro sein werden wie beim Sachsen-LB-Debakel, darf bezweifelt werden.
„Notfalls muss Sachsen alle rechtlichen Möglichkeiten nutzen, um den Verkauf und die damit verbundenen schädlichen Folgen abzuwenden“, sagte Pinka. Denn wer sagt eigentlich, dass Vattenfall sich einfach grün waschen kann, indem es seine schmutzige Energiesparte einfach weiterverkauft? Mit gesellschaftlicher Verantwortung hat das ja wenig zu tun. Pinka: „Möglich wäre die Versagung der Veräußerung des Bergwerkseigentums von Staats wegen nach § 23 BBergG, um dann mit Vattenfall einen Weg zu finden, bis 2040 aus der Verstromung auszusteigen. Vattenfall könnte auch jetzt noch motiviert werden, den Verkauf einzustellen, und in eine Neuausrichtung der Energieregion Lausitz im erneuerbaren Bereich zu investieren. Das Unternehmen könnte in den Ausbau und die Integration der Erneuerbaren Energien nebst Speichern in Sachsen einsteigen.“
Und was dann zum Verkaufspreis ruchbar wurde, kommentierte sie so: „Wir wissen seit gestern offiziell, dass zwei tschechische Energieunternehmen Interesse signalisiert haben. Das ‚Svenska Dagbladet‘ berichtete, dass die Lausitzer Sparte höchstens noch 200 bis 300 Millionen Euro wert ist. Vattenfall wird offenbar zum Spottpreis verschleudert.“
Risikovorsorge? Rückstellungen?
Und da scheint eine milliardenschwere Risikovorsorge nicht mit dabei zu sein. Ein Thema, an dem sich der Grünen-Abgeordnete Dr. Gerd Lippold in seiner Landtagsrede abarbeitete. Mit mahnenden Worten.
„Die Sache mit den bilanziellen Rückstellungen hat nämlich einen gewaltigen Haken. Diese lassen sich künftig nur dann zur Generierung der notwendigen Erfüllungsbeträge ohne existenzbedrohenden Substanzverzehr auflösen, wenn weiterhin dauerhaft eine stabile, profitable Ertragssituation besteht. Und genau da können wir im Jahr 2016 nicht mehr einfach aus der Vergangenheit in die Zukunft extrapolieren. Nur weil Braunkohlegruben jahrzehntelang Goldgruben waren, ist keinesfalls gesichert, dass das so bleibt. Die katastrophalen Unternehmenszahlen von EON und RWE sprechen eine klare Sprache“, sagte er. „Vor zehn Tagen hat die Barclays Bank eine umfangreiche Analyse und Bewertung von EON und RWE veröffentlicht. In einem Szenario, welches das soeben völkerrechtlich verbindlich beschlossene 2-Grad-Ziel ansteuert, hat EON perspektivisch Aufwärtspotenzial, während bei RWE erhebliches Abwärtspotenzial besteht. Der Grund: RWE hat wesentlich mehr Braunkohle am Bein und die Braunkohle-Assets beider Unternehmen werden mit NULL bewertet.“
Da verwundere dann auch die offensichtliche Wertlosigkeit des so modernen Vattenfall-Braunkohlekraftwerkparks einschließlich hunderter Millionen Tonnen Kohle nicht wirklich.
„Das liegt nicht daran, dass diese Kraftwerke nicht schön oder modern oder effizient genug sind. Das liegt schlicht an der mangelnden Geschäftsperspektive bei zugleich riskanter werdenden Rahmenbedingungen“, so Lippold. „Diese Einschätzung zieht sich aus dem Kohlestromgeschäft in der Wertschöpfungskette nach unten durch. Jetzt hat auch die MIBRAG drastischen Stellenabbau angekündigt. Das alles sind Warnsignale, meine Damen und Herren, deutliche Warnsignale, dass es hier höchste Zeit ist, Risiken aus Bergbaufolgekosten neu und sehr genau anzuschauen sowie alle Absicherungsmöglichkeiten zu nutzen, die uns bereits heute zur Verfügung stehen. Genau das beantragen wir hier.“
Aber hatte nicht zumindest Vattenfall ein paar nennenswerte Rückstellungen gebildet?
„Nein, die bilanziellen Rückstellungen und die Wirtschaftsprüfer bieten keine hinreichende Sicherheit dafür, dass die öffentliche Hand nicht der sprichwörtlich Letzte wird, den die Hunde beißen“, sagte Lippold. „Es ist leider durchaus die Regel, meine Damen und Herren, dass die ganz großen systemischen Risiken in Konzernbilanzen erst durch Staatsanwaltschaften aufgeklärt werden – nachdem das Kind in den Brunnen gefallen ist. Wo ist denn ein Beleg für langfristige Risikovorsorge, wenn sich in der gegenwärtigen Ertragssituation in der Energiewirtschaft bereits beim nächsten Jahresabschluss herausstellen kann, dass einfach nicht mehr genug Vermögenswerte vorhanden sind, um den Erfüllungsbetrag der Vorsorgerückstellungen auch bedienen zu können?“
Und dann geht er auf die taktischen Spiele der großen Energiekonzerne ein, die auch für ihre Atomkraftwerke und deren Demontage keine Rückstellungen in ausreichendem Ausmaß getätigt haben.
„Es hätte jedem die Augen öffnen müssen, als RWE-Vorstand Peter Terium im Zusammenhang mit der Diskussion des Klimaschutzbeitrages, um dessen Einführung Bundeswirtschaftminister Sigmar Gabriel hart gerungen hat, sinngemäß verkündete, wenn die Politik das Kohle-Geschäftsmodell beschädige, dann müsse eben der Steuerzahler die Entsorgung der Atomkraftwerke bezahlen. Der Atomkraftwerke! Ja, meine Damen und Herren, das Geld für deren Rückbau muss erst noch im laufenden Kohlegeschäft verdient werden. Womit wollen die Unternehmen dann eigentlich später das Geld für die Kohle-Altlasten verdienen, wo sie doch sogar nach eigener Einschätzung den Einstieg in ein nachhaltig profitables Energiegeschäft gründlich verschlafen haben?“, fragte Lippold. „Das Fazit ist: Wir sind gut beraten, angesichts der dramatischen Ertragssituation und der wachsenden Geschäftsrisiken in der Braunkohlewirtschaft vorsorglich von der Staatsregierung Auskunft zu fordern, wie dadurch die Risikosituation für öffentliche Haushalte beeinflusst wird. Es geht um die Erhaltung des finanziellen Gestaltungsspielraumes für den Freistaat und für betroffene Kommunen.“
Oder eben um das, was passiert, wenn man sich vertrauensselig darauf verlässt, dass das Kohlegeschäft schon irgendwie weitergeht und irgendwer schon Vorsorge getroffen hat für den Tag, an dem die Meiler ausgehen und schlicht kein Geld da ist, um die Schäden im Land wieder zu beseitigen.
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