Wenn ein Konzernchef das Wort "bedauerlich" benutzt, dann war etwas richtig Teures passiert. So wie Vattenfall im Jahr 2015. Am Mittwoch, 3. Februar, veröffentlichte der schwedische Energiekonzern seinen Jahresabschluss für 2015. Und unterm Strich steht ein dickes Minus. Und die Kohlekraftwerke haben dazu ihren Teil beigetragen.
“Die größten Herausforderungen des Jahres 2015 waren erneut die Auswirkungen der derzeit sehr niedrigen Börsenstrompreise auf unsere Rentabilität und auf die Bewertung unserer Vermögenswerte. In Verbindung mit neuen regulatorischen Vorgaben hat dies im Sommer bedauerlicherweise zu weiteren Abschreibungen geführt“, sagte Magnus Hall, CEO von Vattenfall, am Mittwoch. Wobei der Konzernchef sich schwer tut damit, zu akzeptieren, dass nicht nur Schweden dabei ist, die klimaschädlichen Kraftwerke so langsam alle vom Netz zu bekommen, sondern auch Deutschland.
Irgendwie scheint sich der schwedische Staatskonzern seit Jahren in der Haltung eingerichtet zu haben: Zuhause sauber, in Deutschland rentabel. Statt selbst rechtzeitig eine echte Ausstiegsstrategie aus der Braunkohleverstromung zu entwickeln, tut man jetzt geschockt, dass die Bundesrepublik bis 2050 endgültig raus will aus der Braunkohleverstromung.
Der “Spiegel” zitiert Hall mit den Worten: “Die deutsche Entscheidung, die CO2-Emissionen langfristig zu mindern, hat den Wert unseres Braunkohlen-Vermögens einem Risiko ausgesetzt.”
Ein überraschter Konzernchef also. Man darf verblüfft sein.
Vielleicht auch, weil genau dieses ganz offizielle Nichtwahrnehmen, dass auch die Bundesrepublik ein Klimaschutzprogramm hat, sich so schön ergänzt mit der Lobbyarbeit der Regierungen in Sachsen und Brandenburg. Aber was 2015 scheinbar wie aus heiterem Himmel über die Braunkohlebranche kam mit der von Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel ins Gespräch gebrachten Klimaabgabe, ist seit 2010 Programm der Bundesregierung. Damals wurden die Reduktionsziele für das Treibhausgas CO2 definiert. Auch Vattenfall hätte Zeit gehabt, dafür eine Strategie zu entwickeln.
Aber was hat man getan? Man hat versucht, die direkt betroffenen Landesregierungen quasi zur eigenen Lobbytruppe zu machen mit der Absicht, die Ziele aufzuweichen und den notwendigen Rückbau der klimaschädlichen Kapazitäten einfach zu ignorieren.
Doch gleichzeitig scheint man bei Vattenfall (und in anderen deutschen Energiekonzernen wohl auch) völlig ignoriert zu haben, dass die Entstehung von immer neuen Überkapazitäten schlicht dazu führt, dass der Strom an den Börsen immer billiger gehandelt wird. Das sind die von Hall erwähnten “niedrigen Börsenstrompreise”, die die Rentabilität von Vattenfall im zweiten Jahr hintereinander torpediert haben. Im Ergebnis fiel der Verlust von Vattenfall 2015 mit rund 19,8 Milliarden Kronen (2,1 Milliarden Euro) mehr als doppelt so hoch aus wie 2014, als es 8,3 Milliarden Kronen waren (rund 900 Millionen Euro).
Und nicht nur auf zwei vorzeitig abzuschaltende schwedische Atomkraftwerke musste der Konzern große Abschreibungen machen, auch für den Kraftwerkspark in der Lausitz stehen deftige Abschreibungen in den Büchern: Für das Braunkohlegeschäft in Sachsen und Brandenburg musste Vattenfall allein für das Jahr 2015 einen Wertverlust von 1,6 Milliarden Euro ausweisen.
“Noch schneller als die Gletscher im Klimawandel schmilzt derzeit der Wert von Braunkohlekraftwerken und Tagebauen”, kommentiert Gerd Lippold, energiepolitischer Sprecher der Grünen-Fraktion im Sächsischen Landtag, diese Zahlen. “Hinter einer solchen Bewertung stehen Annahmen zu künftigen Gewinnerzielungsaussichten. Diese haben sich massiv verschlechtert, weil immense Grundlast-Überkapazitäten Börsenstrompreise auf immer neue Tiefstände drücken und weil eine weitere Braunkohleverstromung auf heutigem Niveau mit den nationalen Klimaschutzzielen schlicht unvereinbar ist.”
Das Geschäft mit der Kohle als “billige heimische Energie”, die am Ende noch ordentlich Rendite abwirft, ist im Grunde vorbei. Die deutschen Betreiber von Kohlekraftwerken hätten gut daran getan, gemeinsam eine systematische Verkleinerung des Kohle-Kraftwerksparks voranzubringen – ungefähr das, was Sigmar Gabriel mit der “Klimaabgabe” eigentlich wollte. Denn kein einziger Energiekonzern hätte diese Abgabe jemals zahlen müssen, wenn man nur begonnen hätte, die ältesten Meiler einfach systematisch vom Netz zu nehmen.
Jetzt steht auch Vattenfall mit einem Kraftwerkspark da, der in der Gesamtheit so nicht mehr rentabel zu betreiben ist. Und dann steht jetzt auch noch der Verkauf für diese Braunkohlesparte an.
“Ein Wertverlust von 1,6 Milliarden Euro im Jahr 2015 und jüngste Analystenbewertungen, die den Wert des gesamten Pakets aus Vattenfall-Braunkohlesparte und Wasserkraftwerken bei gerade noch 100 bis 300 Millionen Euro sehen, sprechen eine deutliche Sprache. Das Geschäftsmodell Braunkohleverstromung ist unter den bestehenden Rahmenbedingungen instabil”, sagt Lippold zu dem Thema. “Abhilfe kann nur von einem Konsens kommen, der durch einen raschen Einstieg in den Ausstieg Überkapazitäten abbaut und für die Betreiber eine Geschäftsgrundlage und Rechtssicherheit schafft – für eine verbindlich vereinbarte Restlaufzeit.”
Was Vattenfall mit seiner Politik erreicht hat, ist eine Situation, in der die betroffenen Landesregierungen augenscheinlich noch glauben, der Laden könnte nach einem Verkauf einfach so weiterlaufen. Die Bevölkerung vor Ort und die direkt betroffenen Kommunen sind längst verunsichert, denn mit dem Wegfall der Rendite bei Vattenfall sind logischerweise auch die Steuereinnahmen der Kommunen eingebrochen.
“Es ist unverantwortlich, angesichts dieser Situation die von Umsiedlung und Heimatverlust durch Tagebauerweiterungsvorhaben bedrohten Menschen noch immer in Unsicherheit über ihre Zukunft zu lassen”, sagt Lippold. “Ich fordere die Staatsregierung auf, diese unwürdige Hängepartie umgehend zu beenden. Es kann keine neuen Tagebaue mehr geben. Statt weiter Nebelkerzen zu zünden, hat die Staatsregierung jetzt die Aufgabe, sich um die Unterstützung des Bundes für den unausweichlichen Kohleausstiegsprozess zu kümmern und die verursachergerechte Verantwortungsübernahme der Betreiber für die Folgekosten abzusichern. – Die Kommunen in den Kohleregionen sind bereits heute von Gewerbesteuerrückforderungen durch Vattenfall betroffen. Eine Entwarnung ist ganz offensichtlich nicht in Sicht. Viele Kommunalpolitikerinnen und Kommunalpolitiker vor Ort sind in dieser Erkenntnis und dem Nachdenken über eine notwendige Neuorientierung bereits deutlich weiter als die sächsische Staatsregierung und die Koalitionsfraktionen CDU und SPD im Sächsischen Landtag.”
Und völlig offen ist, wie der Energiekonzern reagiert, wenn er tatsächlich nur Kaufgebote von 300 Millionen Euro bekommt, wo er vor zwei Jahren mal 3 Milliarden erwartet hat.
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