Was wäre ein Unternehmer, wenn er optimistisch in die Zukunft schauen würde? Ihn würde in Sachsen wohl keiner ernst nehmen. Unternehmer sind Leute, die bedrückt dreinschauen, wenn der Laden gut läuft, und die mit den Zukunftsaussichten niemals zufrieden sind. Das Ergebnis ist etwas, was die Statistiker dann beschreiben mit: „Die Schere geht immer weiter auseinander“.

Nämlich die Schere zwischen der Einschätzung der aktuellen Gechäftslage und den Geschäftsaussichten. Auch in Sachsen. Wer die Unternehmer regelmäßig fragt, wie sie die nächste Zukunft sehen, bekommt in der Regel Ergebnisse, die über ein „So lala” nicht hinaus kommen. Wenn es 8 Prozentpünktchen im Positiven sind, dann ist das schon viel, dann darf man ganz sicher annehmen, dass die befragten Firmenchefs sich abends doch ein Bierchen mehr gönnen oder zwei. Und die Sorgen mal auf Morgen vertagen, alle diese Kümmernisse mit deutscher Bürokratie, Regelungswut, Rohstoffpreisen, Absatzmärkten – ach ja, die Angestellten nicht zu vergessen und das ganze Geld für die Gehälter.

Derweil ist die Lageeinschätzung der sächsischen Unternehmen, die sich regelmäßig an den Befragungen der Industrie- und Handelskammern (IHK) in Sachsen beteiligen, seit dem Jahresbeginn 2010 permanent nach oben geklettert. Mit einer kleinen Delle im Jahr 2013, als sich alle Beteiligten gegenseitig wieder eingeredet hatten, dass es nun gleich wieder heftig abwärts geht. Was ja so nicht eingetreten ist. Die Kurve der abgefragten Befindlichkeiten passt einfach nicht zu den realen Zahlen. Was also war da los im Jahr 2013?

Das Stichwort lautet wohl Staatsschuldenkrise. Vier Jahre nach der irgendwie weggeschaukelten Bankenkrise stellten dann auch Kammern und Wirtschaftsverbände fest, dass die daraus entstandene Staatsschuldenkrise vor allem eines bewirkte: Zahlreiche europäische Staaten fielen als Absatzmarkt aus. Auch die deutschen Bundesländer sparten jetzt und bremsten bei den Investitionen. Dazu kam auch noch die Bundestagswahl mit einem Thema, das einigen Unternehmern gar nicht gefiel: dem Mindestlohn. Damit war die SPD ins Rennen gegangen.

Dass die Stimmungslage nichts mit der Realität zu tun hatte, zeigen die Zahlen zum sächsischen Bruttoinlandsprodukt. Das stieg seit 2010 ohne Stocken und Hängen:

2011 waren es 99 Milliarden Euro, 2012 dann 101 Milliarden, 2013 schon 104 Milliarden.

Hätte die gefühlte Lage 2013 gestimmt, hätte das BIP 2014 abrutschen müssen. Ist es aber nicht: Sachsen vermeldete 108 Milliarden Euro.

Klares Signal: Man darf die Stimmungsbarometer nicht zu ernst nehmen. Sie signalisieren eher indirekt, wo die Reise hingeht.

Zu Beginn des Jahres 2016 heißt es erst einmal: Avanti.

Nachdem die sächsische Wirtschaft bereits im Herbst 2015 ein Konjunkturhoch verzeichnen konnte, behält sie auch zu Jahresbeginn 2016 ihren dynamischen Kurs bei, formuliert es die IHK zu Leipzig. Ob das mit dem Kurs so stimmt, erfahren wir eh erst in zwei Jahren, wenn die Landesstatistiker die BIP-Zahlen ausgerechnet haben.

Besser formuliert ist: Die Stimmung unter den immer so skeptischen Unternehmen ist recht zuversichtlich. Die Lagebeurteilungen der Unternehmen haben sich zum vierten Mal in Folge verbessert. Man ist wieder auf dem zuversichtlichen Level vom Frühjahr 2014.

So berichten aktuell 55 Prozent der 1.900 befragten Unternehmen aus Industrie, Bau, Einzel- und Großhandel, Dienstleistungen und Verkehr mit insgesamt mehr als 105.000 Beschäftigten von einer guten Geschäftslage (Herbst: 50 Prozent). Nur 7 Prozent geben schlechte Urteile ab (Herbst: 9 Prozent).

Die Geschäftserwartungen der Unternehmen bleiben gegenüber dem Herbst 2015 nahezu unverändert. 89 Prozent der Betriebe erwarten in den kommenden Monaten bessere oder gleichbleibende Geschäfte (Herbst: 87 Prozent), 11 Prozent befürchten eine Verschlechterung (Herbst: 13 Prozent).

Und im Grunde trifft es erstmals auf alle abgefragten Branchen – von der Industrie bis zum Handel – zu: Die Lage wird als so gut empfunden wie seit 2009 nicht mehr. Dafür zittern sich die Zukunftserwartungen fast überall um die Null-Marke zurecht. Die Kurve der Geschäftserwartungen folgt seit Jahresbeginn 2013 nicht mehr der Kurve der aktuellen Lageeinschätzung.

Oder – siehe oben: Die Schere geht immer weiter auseinander.

Man darf rätseln, woran das liegt: Der Laden brummt – aber irgendwie hat das Vertrauen der Unternehmer in die nächste Zukunft einen Knacks bekommen. Gibt es zu viele Signale der Verunsicherung?

Kann sein. Man vertraut dem Selbstlauf der wirtschaftlichen Selbstkorrektur nicht mehr. Vielleicht haben die wichtigsten Unternehmer auch so ein dummes Gefühl, dass sie von den politischen Entscheidungsebenen auch keine verlässliche Wirtschaftspolitik mehr bekommen. Da ist etwas verloren gegangen.

Das hatte seit 2013 vor allem dazu geführt, dass die Unternehmen sich bei Investitionen lieber zurückgehalten haben. Man hat lieber Personal eingestellt und die vorhandenen Produktionskapazitäten so gut wie möglich ausgelastet.

Jetzt, so vermutet die IHK, wird wieder etwas mehr investiert. Aber mit ganz großer Vorsicht: „Die Investitionsabsichten der Firmen im Inland verstärken sich zwar erneut etwas, dennoch kommen sie trotz niedriger Zinsen am Kapitalmarkt nicht deutlich genug in Fahrt. Das investive Engagement bleibt angesichts zahlreicher Risiken und Unsicherheiten moderat. So beabsichtigen derzeit 20 Prozent der Unternehmen die Erhöhung ihrer Investitionsausgaben (Jahresbeginn 2015: 17 Prozent). 13 Prozent wollen ihre Investitionsausgaben reduzieren (Jahresbeginn 2015: 15 Prozent).”

Das klingt nicht nach einem Investitionsfeuerwerk, obwohl es überfällig wird. So langsam verdichtet sich der Verdacht, dass es just die deutsche Sparstrategie ist, die die Euphorie ausbremst, denn den größten Investitionsstau gibt es nicht in der Wirtschaft, sondern bei den staatlichen Infrastrukturen. Wenn aber ein Land permanent von Vergreisung, Bevölkerungsschwund und falsch verstandener Demografie besessen ist, dann fließt das Geld nicht mehr, dann quälen sich die Kommunen mit einem riesgen Investitionsstau – können aber nicht beauftragen, was längst überfällig ist. Und die hohe Politik feiert sich mitten in so einer Situation für “Neuverschuldungsverbote”. Da preschen Unternehmer logischerweise nicht vor und vagen Zukunftsinvestitionen, die durch staatliche Investitionsprogramme nicht flankiert werden.

Man kann eine Wirtschaft nun einmal nicht reineweg auf Export aufbauen. Das ist Narretei.

Und so stellt dann die IHK auch nüchtern fest: Hauptmotiv der Investitionen bleiben für 70 Prozent der Betriebe Ausgaben für Ersatzbeschaffungen. Für Rationalisierungsmaßnahmen planen 32 Prozent investive Mittel ein. Investitionen in Produkt- bzw. Verfahrensinnovationen sowie Kapazitätserweiterungen beabsichtigen mit fast gleichen Anteilen 27 und 28 Prozent. In jedem zehnten Unternehmen stehen wie im Vorjahr Investitionen in Umweltschutz bzw. Energieeffizienz auf der Tagesordnung.

Das verfügbare Geld steckt man dann lieber in den Aufbau des eigenen Personalstamms: Im Jahr 2015 ist die Beschäftigung in Sachsen erneut gestiegen. Die Zahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten wuchs zwischen Januar und Oktober 2015 um 25.900 Personen bzw. um 1,7 Prozent (Vorjahr: 1,4 Prozent).

Und für 2016 gilt in Sachsen: Auch für die kommenden Monate lässt die Personalentwicklung moderate Zuwächse erwarten. Zwar lassen die demografische Entwicklung und die teilweise schwere Verfügbarkeit von Fachkräften zuerst auf die Beibehaltung der Personalbestände orientieren – 71 Prozent der Betriebe wollen ihre Personalbestände nicht verändern (Jahresbeginn 2015: 68 Prozent). Jedoch planen 18 Prozent, Neueinstellungen vorzunehmen (Jahresbeginn 2015: 17 Prozent). Von einer erforderlichen Personalreduzierung gehen 11 Prozent der Befragten aus (Jahresbeginn 2015: 15 Prozent).

Die IHK fragen auch regelmäßig ab, wovor sich Unternehmer am meisten fürchten. Risikoradar nennt sich das.

Da erinnert man sich schon an die Ängste vor zwei Jahren: Bis zum Jahresbeginn 2014 dominierten die Energie- und Kraftstoffpreise das Risikoradar der sächsischen Wirtschaft. Angesichts der anhaltend rückläufigen Preisentwicklung haben diese Kostenfaktoren massiv an Bedeutung verloren. Die Sorge um die Energiepreise sank von Jahresbeginn 2014, als es 48 Prozent waren, auf 21 Prozent zum Jahresbeginn 2016.

Genauso ist es bei den Kraftstoffpreisen: Jahresbeginn 2014: 39 Prozent; Jahresbeginn 2016: 13 Prozent.

Das größte Geschäftsrisiko werde, so die IHK, mit 46 Prozent, wie auch schon 2015, in den Arbeitskosten gesehen. Aber der Blick in die Statistik zeigt auch: Auch dieser Wert ist deutlich gefallen. Vor einem Jahr lag er bei 53 Prozent. Die Furcht, der Mindestlohn  könnte zahlreichen sächsischen Unternehmen die Füße wegreißen, hat sich nicht erfüllt.

Man darf auch nicht vergessen: Die Löhne im einen Unternehmen sind in der Regel die Umsätze in anderen. Geld fließt. Und die gute Geschäftslage auch in Dienstleistung (58 Prozent) und Einzelhandel (34 Prozent) deutet eben darauf hin, dass der Mindestlohn gerade in diesen Branchen gut weggesteckt wurde und tatsächlich zu einer Verbesserung der Umsätze beigetragen hat.

Interessanter sind ganz andere Aussagen. Etwa diese: Zu den am häufigsten genannten Risiken zählen zudem die Inlandsnachfrage (44 Prozent) und die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen (42 Prozent). Der Kummerwert für die Inlandsnachfrage steigt seit einiger Zeit permanent an und es ist absehbar, dass dieses Thema bald die Spitze in der Liste übernehmen wird. Das zielt eindeutig auf ein Staatsverständnis, das die Infrastrukturen im Land kaputtspart und augenscheinlich auch nicht gewillt scheint, wieder in Zukunft zu investieren (der verklemmte Umgang mit der Flüchtlingsunterbringung gehört ebenfalls in dieses Thema).

Hemmnisse seien – so interpretiert es die IHK – dabei einerseits zunehmende Bürokratie und Neuregelungen (Mindestlohn, Rente mit 63, Bestellerprinzip) sowie Gesetzesvorhaben (Zeitarbeit und Werkverträge, Insolvenzanfechtung u. a.), andererseits aber auch Folgen der Flüchtlingskrise für Deutschland und Europa, der Integration und des Standortimages. Ebenso bereiten die Wirtschaftsentwicklung weltweit, die Embargopolitik gegenüber Russland und internationale Krisenherde zunehmend Sorgen.

Das ruft eigentlich wieder nach Politikern, die bereit sind, eine handfeste Wirtschafts- und Informationspolitik zu machen.

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