Sachsen träumt weiter. Von Großprojekten, die auf Jahrzehnte Mittel binden, die für viele kleine, viel wichtigere Projekte fehlen. Die Neubaustrecke zwischen Dresden und Prag ist kein neues Projekt. Davon hat schon der damalige Verkehrsminister Sven Morlok (FDP) geträumt. Jetzt ist die von ihm bestellte Studie zu dem Milliarden-Projekt fertig. Sein Nachfolger hat sie am Donnerstag, 14. Januar, vorgestellt.
Und bei den Grünen schüttelt man nur wieder den Kopf. Denn wirklich geändert hat sich ja seit 2014 nichts. Der Regionalverkehr im Land läuft auf Sparflamme. Wichtige Nahverbindungen sind nicht elektrifiziert, geschweige denn auf vernünftigen Takt gebracht. Doch Sachsens Regierung betreibt unbeirrt die Planung für Großprojekte, die Gelder binden, die eigentlich auch in den Investitionsprogrammen des Bundes nicht darstellbar sind.
“Die Vorstellung der Studie zur geplanten Neubaustrecke Dresden–Prag beinhaltet keine wirklichen Neuigkeiten. Offenbar ist Minister Dulig bemüht, sich vor der Veröffentlichung des Entwurfs des neuen Bundesverkehrswegeplans noch einmal mediale Aufmerksamkeit zu verschaffen. Er sollte sich lieber um die Brot-und-Butter-Themen der sächsischen Bahnpolitik kümmern”, erklären Katja Meier, verkehrspolitische Sprecherin der Grünen-Fraktion im Sächsischen Landtag, und Stephan Kühn, verkehrspolitischer Sprecher der Grünen-Bundestagsfraktion.
Und der Verkehrsminister will ja nicht nur in die Planungen für die neue Zugverbindung samt 26-Kilometer-Tunnel einsteigen. Er führt ja auch die Straßenbau-Großprojekte seines Vorgängers fort.
“Seine Konzentration auf den achtstreifigen Ausbau der Autobahn A 4 und die Neubaustrecke nach Tschechien ist verkehrspolitisch bedenklich. Wenn das die künftigen Schwerpunkte in der Infrastrukturpolitik der Staatsregierung sind, dann gehören weite Teile des Freistaats zu den Verlierern. Sachsen braucht dringend die Elektrifizierung der Strecken Leipzig–Chemnitz und Dresden–Görlitz, aber auch den elektrischen Lückenschluss auf der Sachsen-Franken-Magistrale”, benennt Meier die eigentlich wichtigen und zeitnah umzusetzenden Projekte im Schienennetz.
Die Strecke zwischen Dresden und Prag trage “die Hauptlast des internationalen Güterverkehrs zwischen Nord- und Südosteuropa und ist aufgrund der Topographie nicht ausbaufähig”, erklärte das Verkehrsministerium am Donnerstag. Daher sei der Neubau einer leistungsfähigen Eisenbahnverbindung notwendig.
“Angesichts der steigenden Gütermengen spielt der Verkehrsträger Schiene in Zukunft eine immer bedeutendere Rolle“, betonte Verkehrsminister Martin Dulig. “Ein leistungsfähiges Schienennetz zwischen Dresden und Prag ist unabdingbarer Bestandteil für eine zukunftsfähige Verkehrsinfrastruktur. Deshalb machen wir uns für eine bessere Anbindung Sachsens an das europäische Hochgeschwindigkeits- und Güterverkehrsnetz stark.“
Unabdingbar klingt zwar gut, hat aber nichts mit den finanziellen Realitäten zu tun, wie Stephan Kühn feststellt: “Die Neubaustrecke nach Prag ist ein sehr langfristiges Projekt für die Zeit nach dem Jahr 2030. Minister Dulig blendet offenbar aus, dass bundesweit allein 12 Milliarden Euro für Bahnprojekte gebunden sind, die im Bundesverkehrswegeplan gesetzt, aber bisher nicht finanziell gedeckt sind. Hinzu kommen milliardenschwere Vorhaben, die zwar noch nicht fest eingeplant, aber mit Nachbarstaaten vertraglich fixiert sind wie beispielsweise Abschnitte der Oberrheinstrecke und die Hinterlandanbindung des Fehmarnbelttunnels.”
Was das vom Zeithorizont her bedeutet, zeigen diese Zahlen: Derzeit stehen für den Neu- und Ausbau von Bahnprojekten jährlich nur 1,2 Milliarden Euro im Bundeshaushalt zur Verfügung. Allein die vom Bund zugesagten, aber noch nicht mit konkreten Finanzen untersetzten Projekte binden also die bereitgestellten Gelder für zehn Jahre. Und dabei sind Strecken wie die Ausbaustrecke Leipzig – Chemnitz noch nicht einmal aufgenommen und damit auch finanziell noch nicht berücksichtigt. Und damit auch vor 2026 nicht zu erwarten.
Dasselbe gilt für die Neubaustrecke Dresden-Prag, die allein aufgrund ihres Finanzvolumens eher ein Projekt ist, das weit in die 2030er Jahre rückt. Die Kalkulationen für die Strecke schwanken derzeit zwischen 2 und 3 Milliarden Euro
“Das sagt alles”, sagt Kühn.
Aber die eigentlichen hydrologischen und geologischen Untersuchungen sollen ja jetzt erst beginnen, sagte Dulig. Vielleicht rechnet er mit europäischen Fördermitteln größerer Dimension, auch die Studie zum möglichen Streckenverlauf wurde ja mit EU-Geldern ermöglicht. Aber selbst dann muss die Bundesrepublik die ergänzenden Finanzmittel erst einmal aufbringen. Wobei ein Tunnelprojekt immer die Gefahr in sich birgt, dass sich die Kosten für den Bau noch deutlich erhöhen.
Echte Zukunftsmusik also.
“Die neue Hochgeschwindigkeitsstrecke Dresden – Prag ist ein langfristiges und zukunftsweisendes Projekt innerhalb des Transeuropäischen Verkehrsnetzes”, versucht denn auch Dulig zumindest anzudeuten, was für ein Brocken das eigentlich ist. “Gerade deshalb ist es wichtig, frühzeitig mit den Planungen zu beginnen. Außerdem zeigen die bisherigen Erfahrungen gerade bei Großprojekten, dass eine frühzeitige Einbeziehung aller Beteiligten und größtmögliche Transparenz im Hinblick auf Verständnis und Akzeptanz für das Vorhaben ungemein wichtig sind.”
Nachtrag:
Einen etwas anderen Aspekt spricht Andreas Nowak, der verkehrspolitische Sprecher der CDU-Fraktion im Sächsischen Landtag, an, wenn er erklärt: “Die Neubaustrecke muss her. Ansonsten wird die Schnellzug-Verbindung über Regensburg gebaut und wir schauen in die Röhre. Ich würde mir wünschen, dass das auch die Grünen begreifen.“
Es ist eben nicht die einzige Verbindung vom Norden Europas in den Südosten. Tatsächlich eifern hier zwei Bundesländer – Bayern und Sachsen – miteinander, wer das Großprojekt bekommt. Aber Andreas Nowak hat so sein eigenes Verhältnis zu Zahlen. Der Opposition wirft er gar ein “Argumentieren ohne Sinn und Verstand” vor. “Dass die Grünen die jährlichen Investitionsmittel des Bundes (1,2 Milliarden Euro) mit den Gesamtkosten des Neubaus (2 Milliarden Euro) ins Verhältnis setzen, ist lächerlich. Natürlich wird so ein Megaprojekt nicht in zwei Jahren gebaut. Wenn wir es aber nicht jetzt im Bundesverkehrswegeplan unterbringen, wird Sachsen vom schnellen Personen- und vom langlaufenden Güterverkehr abgehängt.”
Was an den zeitlichen Dimensionen gar nichts ändert. Und an der Entscheidung, welche Strecke günstiger wäre, auch nicht. Die Frage ist eher: Geht die künftige Hauptstrecke über Dresden und Prag oder über Regensburg und Wien? Das nennt man dann das nicht immer ganz öffentliche Ringen um ein europäisches Verkehrsprojekt der künftigen Jahrzehnte. “Das tschechische Verkehrsministerium steht bereit!”, sagt Nowak. “Die CDU hat am Montag einen Termin in der Konzernzentrale der Deutschen Bahn. Wir wollen diese Strecke!“
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