Es war wieder derselbe alte Reflex, mit dem der Vorsitzende der IG BCE, Michael Vassiliadis, am Mittwoch, 13. Januar, sofort auf das vom energiepolitischen Think Tank "Agora Energiewende" in Berlin vorgelegte Programm für einen Ausstieg Deutschlands aus der Kohleverstromung bis zum Jahr 2040 reagierte. Motto wie immer: "Wasch mir den Pelz, aber mach mich nicht nass."

Kaum eine Gewerkschaft schwelgt so in Wirklichkeitsverweigerung wie die IG BCE. Nach den Worten von Vassiliadis versäume es „Agora Energiewende“, die zentralen Themen der Weltklimakonferenz aufzugreifen. Und die sieht er hier: “In Paris hat man vor allem nach Möglichkeiten gesucht, die größten CO2-Emittenten und internationalen Hauptverursacher des Klimawandels in die Verantwortung zu nehmen. Deutschland sollte dazu einen Beitrag mit technologischer Innovation liefern und zeigen, dass eine Energiewende ohne soziale und wirtschaftliche Verwerfungen möglich ist. Das wäre ein motivierendes Beispiel, dem andere folgen könnten.“

Dabei betont Vassiliadis, dass Kohleregionen wie die Lausitz eine Entwicklungsstrategie brauchen. Und die fordert Vassiliadis auch: “Jetzt ist es Aufgabe der Politik zu liefern, damit nicht ganze Landstriche Deutschlands sozial und wirtschaftlich abgehängt werden.“

Aber es kann keinen Strukturwandel geben, wenn sich diese Regionen nicht auf das Ende des Kohlezeitalters einstellen. Und das “Agora”-Papier geht deutlich über ein bloßes Ausschalten der Kraftwerke hinaus. Was dann wieder einer wie Dr. Gerd Lippold fordert, Landtagsabgeordneter der Grünen in Sachsen und nun seit Monaten bemüht, der sächsischen Regierung den Ernst der Lage klar zu machen.

“Der Agora-Plan ist viel mehr als ein Abschaltplan für Kohlekraftwerke bis 2040”, betont Dr. Gerd Lippold, der bei den Grünen auch energiepolitischer Sprecher ist. “Der Plan enthält durchgerechnete Konzepte. So ist eine Nachsorge-Abgabe von 2,50 Euro je erzeugter Megawattstunde Strom für die verlässliche Finanzierung von Milliardenhilfen für den Strukturwandel in den Kohlerevieren vorgesehen. Somit wird der Ausstieg für Betreiber, Investoren, Arbeitnehmer, Kommunen und Steuerzahler berechenbar. – Genau diese komplexen Antworten muss ein Plan geben, der als Basis für einen breiten nationalen Konsens zum Abschied von der Kohle dienen soll. Auch wenn ich der Überzeugung bin, dass der Kohleausstieg schneller gehen kann und ich nicht mit jedem Ansatz im Agora-Plan zufrieden bin, so definiert er doch Säulen für ein Bundesgesetz zum Kohleausstieg in Analogie zum Atomausstieg bzw. zum Ausstieg aus dem Steinkohlebergbau. Dies stellt in seinem Konsensansatz eine neue Qualität dar.”

Titelblatt: "Agora Energiewende": Elf Eckpunkte für einen Kohlekonsens.
Titelblatt: “Agora Energiewende”: Elf Eckpunkte für einen Kohlekonsens.

Wer aber keinen Plan hat, der kommt unweigerlich in eine chaotische Situation, in der nichts mehr zueinander passt. Und der Rahmen ist mit den nationalen Klimaschutzzielen der Bundesrepublik eigentlich auch längst gesetzt (auch wenn Gewerkschafter, Politiker und Konzerne selbst gegen das von Bundesumweltministerin klar benannte Ziel 2040 ebenso heftig zu Felde gezogen sind). Mit dem “Agora”-Konzept könne der Kohleausstieg in den nächsten 25 Jahren realistisch bewältigt werden, schätzt Lippold ein. Der Plan basiert auf einem durchgerechneten Pfad, der die Versorgungssicherheit zu jedem Zeitpunkt gewährleistet.

Nach dem vorgelegten Plan sollen in Sachsen die Blöcke Boxberg N und P ab dem Jahr 2021 vom Netz gehen. Das Kraftwerk Lippendorf soll vor 2035 vom Netz sein, wie auch der Block Q des Kraftwerks Boxberg. Im Konsens-Szenario der Agora geht spätestens im Jahr 2038 mit der Abschaltung des jüngsten Blockes Boxberg R in Sachsen das Zeitalter der Braunkohleverstromung zu Ende.

“Es wird höchste Zeit, dass auch in Sachsen die verantwortungslose Realitätsverweigerung in der Energie- und Klimapolitik beendet wird. Die Staatsregierung muss sich endlich an der Erarbeitung von Lösungen insbesondere für die vom Kohleausstieg betroffenen Regionen – in Sachsen die Lausitz und das mitteldeutsche Revier – beteiligen, anstatt aus dem Abseits mit Blockaden und Abwehrkämpfen zu reagieren. Eine solide Diskussionsbasis hat ‘Agora Energiewende’ auf den Tisch gelegt”, fordert Lippold. “Offenbar setzt vereinzelt auch in der Staatsregierung Nachdenken ein. So ließ Staatskanzleichef Dr. Fritz Jaeckel bei der Dezembersitzung des Sächsischen Landtags mit der Einschätzung aufhorchen, die Braunkohle würde in Sachsen wohl noch für 15 bis 20 Jahre eine Rolle spielen. Das steht auffällig in Übereinstimmung mit den Annahmen des Agora-Konzeptes für die sächsische Braunkohle.”

Aber neben Realisten sitzen auch echte Wirklichkeitsverweigerer im sächsischen Landtag, die sich mit einem unbequemen Thema wie der Gestaltung des Kohleausstiegs überhaupt nicht beschäftigen wollen.

“Die CDU-Landtagsfraktion hingegen geht in ihrem jüngsten Positionspapier noch fest davon aus, dass der Freistaat das gesamte 21. Jahrhundert auf die Braunkohle setzt. Offiziell klammert sich die Staatsregierung weiter an Pläne für neue Tagebaue und hofiert neue Investoren, um ihre Braunkohlestrategie über viele Jahrzehnte fortzusetzen”, kritisiert Lippold. “Ein Kohleausstieg per Bundesgesetz jedoch lässt keinen Raum für eine sächsische Rolle als ‘gallisches Dorf’ gegen die Energiewende. Entweder Sachsen steigt selbstbestimmt mit aus oder Sachsen wird ausgestiegen. In der sächsischen Regierungskoalition wird nun die Zeit knapp, gesichtswahrend als Gestalter in Erscheinung zu treten, anstatt sich unter Protest vom toten Pferd zerren zu lassen.”

“Agora Energiewende”: Elf Eckpunkte für einen Kohlekonsens – Konzept zur schrittweisen Dekarbonisierung des deutschen Stromsektors (Langfassung)

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