Eigentlich hat Dr. Gerd Lippold fünf einfache Fragen zu den Kohletransporten aus dem Tagebau Vereinigtes Schleenhain gestellt. Nachvollziehbar, nachdem er in den Vormonaten schon mehrmals nach den seltsamen Kohletransporten Richtung Tschechien gefragt hatte. Aber der zuständige Wirtschaftsminister Martin Dulig (SPD) antwortete dem Grünen-Angeordneten denkbar knapp.
“Dem Sächsischen Oberbergamt liegen keine Genehmigungsanträge vor, welche einen Bahnanschluss bzw. Einrichtung zur Bahnverladung von Braunkohle aus dem Tagebau Vereinigtes Schleenhain am Kraftwerk Lippendorf oder am Kohlemisch- und Stapelplatz Peres betreffen.”
Dabei pfeifen es die Spatzen von den Dächern, dass die Mibrag mit der Kohle aus dem Leipziger Südraum schon lange auch die tschechischen Kohlekraftwerke der Muttergesellschaft beliefert.
Seit 2009 exportiert die Mibrag Jahr für Jahr mehr Braunkohle an ihre tschechische Schwestergesellschaft EP Coal Trading. Bis 2014 verfünffachte sich der Export auf mehr als 1,4 Millionen Tonnen und damit auf rund 13 Prozent der Fördermenge aus dem Tagebau Vereinigtes Schleenhain. Das sind Zahlen, die der BUND Sachsen nennt, der die Entwicklung mit einigem Unverständnis beobachtet. Denn als die Tagebaue eröffnet und die Abbaufelder genehmigt wurden, war von einem Export mitteldeutscher Braunkohle in andere Länder keine Rede. Im Gegenteil: Die Härten für die Bevölkerung, die oft genug ihre Heimatorte verlassen musste, wurden damit begründet, dass die Kohlevorräte unter den Dörfern zum Betrieb der hiesigen Kohlekraftwerke dringend benötigt würden.
Der exemplarische Fall dafür war Heuersdorf, ein Dorf, für das schon vor 15 Jahren die Frage stand, ob die darunter liegenden Kohlevorräte überhaupt gebraucht würden, um das Kraftwerk Lippendorf in Betrieb zu halten. Ein erstes Gesetz, das die Beräumung und Devastierung von Heuersdorf begründen sollte, hielt nicht mal vor Gericht stand. Ein zweites Heuersdorf-Gesetz konnte dann relativ reibungslos umgesetzt werden, weil der Großteil der ehemaligen Bewohner von Heuersdorf schon resigniert und die Umsiedlungsangebote der Mibrag angenommen hatte. Aber auch das Heuersdorf-Gesetz wurde damit begründet, dass die Kohlevorräte unter der Dorfflur für Lippendorf unbedingt gebraucht wurden.
Im Heuersdorf-Gesetz von 2004 wurde der Bedarf im Hinblick auf den Tagebau Vereinigtes Schleenhain wie folgt begründet: „Eine 40-jährige Betriebszeit ist bei Braunkohlenkraftwerken der technisch und betriebswirtschaftlich übliche Zeitrahmen. Die Betreiberin des Kraftwerks Lippendorf ist von diesem Zeitrahmen als Voraussetzung und Bedingung für ihre Investitionsentscheidung ausgegangen. Nur die Sicherstellung einer kontinuierlichen Braunkohlenbelieferung mit durchschnittlich 10 Millionen Tonnen über 40 Jahre gewährleistet diese Betriebszeit.”
Das zitiert die Rechtsanwaltskanzlei Günther aus Hamburg in einem Gutachten zu “Verwendungsbeschränkungen von Braunkohle aus laufenden und neuen Tagebauen auf Grundlage von Raumordnungs- bzw. Bergrecht: Die Notwendigkeit des Ausschlusses von Braunkohleexporten”.
Das Gutachten wurde im Auftrag der Klima-Allianz Deutschland erstellt, die mit Sorge auch die Entwicklung in der Lausitz betrachtet, wo ja bekanntlich der schwedische Energiekonzern Vattenfall nicht nur seine Kraftwerke, sondern auch die dazugehörigen Tagebaue verkaufen will. Und die einzigen bislang bekannt gewordenen Interessenten (außer Greenpeace) kommen alle aus Tschechien. Was Gründe hat, denn in der Tschechischen Republik hat sich die Bevölkerung gegen den Aufschluss neuer Tagebaue ausgesprochen. Um die dortigen Kohlekraftwerke weiter betreiben zu können, wären die Betreiber also auf Kohleimporte aus der Nachbarschaft angewiesen.
Die Frage für die Klima-Allianz aber war: Darf Kohle aus mitteldeutschen Tagebauen überhaupt exportiert werden?
Schon das Heuersdorfgesetz verneint das im Grunde.
“Das gesamte Gesetz und dessen Begründung sowie auch die zugrunde liegenden Expertengutachten machen deutlich: Der Tagebau Schleenhain mit der Inanspruchnahme des Dorfes Heuersdorf war zum Zeitpunkt des Erlasses des Gesetzes (und so auch schon zum Zeitpunkt des Erlasses des ersten Heuersdorf-Gesetzes von 1998) ausschließlich deswegen für notwendig befunden worden, um das Kraftwerk Lippendorf über 40 Jahre mit Braunkohle zu versorgen”, kommentieren die Hamburger Anwälte die Gesetzeslage. Den Heuersdorfern wurde der Kohlebedarf für Lippendorf als einziger zwingender Grund benannt. Nichts anderes.
Für den BUND Sachsen liest sich das als rechtswidriger Eingriff in Umwelt- und Eigentumsrechte, wenn die Kohle, für die hunderte Menschen ihre Dörfer aufgeben mussten, nun auf einmal einfach per Lkw oder Zug ins Ausland exportiert wird. Und während die Landesregierungen in Dresden und Potsdam so tun, als würden sie einen wichtigen Wirtschaftszweig retten, wenn sie die Kohleindustrie in der Lausitz verteidigen, sieht der BUND Sachsen längst eine andere Entwicklung: “Mit einem Kauf der Vattenfall-Braunkohle wollen tschechische Bieter auch die Versorgung ihrer eigenen Braunkohlekraftwerke sichern.” Und er verknüpft es mit der Feststellung: “Durch ein Verbot von Zwangsumsiedlungen und starke gesetzliche Einschränkungen bei der Erweiterung von Tagebauen sind die Möglichkeiten zur Braunkohleförderung in Tschechien erheblich eingeschränkt.”
Denn das Problem ist: Als die diversen Landesentwicklungspläne und Raumordnungen für die Tagebaue in Sachen erlassen wurden, kam kein Mensch auf die Idee, die Kohle zu exportieren. Jede Plangenehmigung beruhte auf der Annahme, dass ein Tagebau mit einer bestimmten Fördermenge die Betriebsicherheit eines ganz konkreten, meist direkt angrenzenden Kohlekraftwerks über die Zeit seiner Betriebslaufzeit sichert. Nur das gab Gründe genug, um Menschen in diesem Raum ein Verlassen von Grund und Boden zuzumuten.
Doch im Leipziger Südraum ist das schon seit 2009 ein ganzes Stück anders. Und das setzt ein paar dicke Fragezeichen über die geplante Abbaggerung weiterer Dörfer wie Pödelwitz.
“Es ist nicht zu verantworten, dass Menschen enteignet und ganze Dörfer abgebaggert werden, um Braunkohle nach Tschechien zu exportieren. Die Landesregierungen in Brandenburg, Sachsen und Sachsen Anhalt müssen diese Praxis dringend unterbinden“, sagt Professor Dr. Felix Ekardt, Vorsitzender des BUND Sachsen.
Aber das Gutachten aus Hamburg merkt auch an, dass eine Festschreibung, die Kohle nur in einem konkreten Kraftwerk zu verbrennen, bislang fehlt. Was ja logisch ist: Als die Braunkohlepläne in den 1990er Jahren geschrieben wurden, dachte niemand an Kohle-Export.
Selbst im Landesentwicklungsplan Sachsen wurde 2003 noch durch Ziel 7.3 bestimmt, dass „die landesweit bedeutsamen Braunkohlenlagerstätten in den Tagebaubereichen Vereinigtes Schleenhain, Profen sowie Nochten und Reichwalde … durch die Ausweisung von Vorranggebieten für den Braunkohlenabbau durch die Träger der Regionalplanung zu sichern (sind)“.
Und die Kanzlei Günther merkt dazu an: “In der dortigen Begründung wurde im Hinblick auf den Tagebau Vereinigtes Schleenhain auf die ‘planerische Sicherung der Versorgung bis ca. 2040 (des) bestehenden Braunkohlenkraftwerks Lippendorf’ ausdrücklich verwiesen.”
Egal also, wer all diese Pläne las oder sich an der öffentlichen Diskussion beteiligte: Beim Tagebau Vereinigte Schleenhain ging es immer nur um die Versorgung des Kraftwerks Lippendorf. Die Bürger mussten also davon ausgehen können, dass nur das gilt und nichts anderes.
Ebenso im Fall des Kraftwerks Boxberg in der Lausitz. Die Kanzlei Günther dazu: “In ähnlicher Weise wie für den Tagebau Vereinigte Schleenhain wird die Fortführung des Tagebau Nochten in den Abbaubereich 2 begründet – nämlich mit der Versorgung des Kraftwerks Boxberg bis mindestens 2040. Hierfür ist ein neuer Braunkohleplan Nochten 2014 erlassen worden, der gerichtlich vor dem OVG Sachsen angegriffen wurde.”
Das heißt: Ein Abbau der Kohle für den Export wird nirgendwo erwähnt.
Aber die Hamburger Rechtsanwälte gehen auch auf die Lücke ein, die sich auftut, gerade weil diese Erwähnung oder eine deutliche Einschränkung fehlen.
“Keiner der hier betrachteten Braunkohlepläne enthält eine konkrete Planaussage zur örtlichen Verwendung der Kohle oder zur Beschränkung von Transporten. Ob eine raumordnerische Vorgabe die Qualität eines Ziels hat, hängt zwar nicht von der Bezeichnung ab, sondern richtet sich nach dem materiellen Gehalt der Planaussage selbst.”
Für den BUND Sachsen heißt das: Demnach hätten die Landesregierungen festschreiben müssen, in welchen Kraftwerken die geförderte Braunkohle verwendet werden darf.
“Wird der Export nicht unterbunden, kann ein Verkauf der Vattenfall-Braunkohle an CEZ oder EPH dazu führen, dass künftig auch Lausitzer für Kohleexporte ihre Heimat verlassen müssen, während in Tschechien Zwangsumsiedlungen verboten sind“, warnt Axel Kruschat, Geschäftsführer des BUND Brandenburg.
Vor diesem Hintergrund darf die jüngste Nicht-Auskunft des sächsischen Wirtschaftsministers durchaus für Besorgnis sorgen, denn damit wird deutlich, dass die sächsische Regierung die Entwicklung ganz bewusst ignoriert (denn auch Duligs Vorgänger im Amt, Sven Morlok (FDP) wurde ja von den Grünen immer wieder zu den Kohletransporten der Mibrag befragt) und augenscheinlich billigend in Kauf nimmt, dass die Kohle auch aus den Lausitzer Tagebauen künftig nach Tschechien exportiert wird.
Lesetipp: “Heuersdorf. Geschichte und Abschied eines mitteldeutschen Dorfes”, Pro Leipzig, Leipzig 2009
Die Antwort von Wirtschaftsminister Martin Dulig auf die Anfrage von Gerd Lippold.
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