Da haben die vereinigten Landesverwalter von Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen wohl eine ganze Menge falsche Weichen gestellt in den letzten 25 Jahren. Jetzt fällt es der Region auf die Füße, dass die Provinzkönige der 1990er Jahre von tollen Superschnellstrecken träumten, die nachhaltigen Schienenstrukturen in der Region aber hintanstellten. Grund genug für die Metropolregion Mitteldeutschland, aufs Höchste alarmiert zu sein.
Am Donnerstag, 10. Dezember, trafen sich rund 150 Multiplikatoren aus Politik, Verwaltung, Unternehmen und Wissenschaft aus der Metropolregion Mitteldeutschland im Technikmuseum „Hugo Junkers“ in Dessau-Roßlau und diskutierten über ein brandheißes Thema: die „Mobilität der Zukunft in Mitteldeutschland“.
Im Mittelpunkt der diesjährigen Jahreskonferenz der Europäischen Metropolregion Mitteldeutschland standen dabei neue Lösungen für den Öffentlichen Personenschienenverkehr in der Region. Und es brennt. Eigentlich überall. Die Zuweisungen für die Finanzierung des regionalen Schienenverkehrs drohen drastisch knapp zu werden. Daran sind die ostdeutschen Landesregierungen, die einen Großteil dieser Gelder immer gern umgelenkt haben zur Finanzierung landeseigener Nahverkehrsprojekte, nicht ganz unschuldig.
Und statt alle wichtigen regionalen Schienenverbindungen in den letzten 20 Jahren zu modernisieren, wurden Milliarden an Investitionsmitteln in den Ausbau der teuren ICE-Verbindungen investiert. Am Mittwoch, 9. Dezember, wurde ja eines dieser Prestigeprojekte feierlich eröffnet: Die ICE-Verbindung zwischen Erfurt und Leipzig / Halle. Gefeiert von allerlei politischen Schwergewichten.
Und trotzdem gab es Kritik.
Marco Böhme, Sprecher für Klimaschutz und Mobilität der Linksfraktion im Sächsischen Landtag, kommentierte die falsche Gewichtung im mitteldeutschen Zugrevier so: “Nach langer Verzögerung wird ab 13. Dezember 2015 die 120 km lange ICE-Neubaustrecke Leipzig-Erfurt in Betrieb gehen und damit die Fahrtzeit um eine halbe Stunde auf nur noch 43 Minuten verkürzt. Dies ist ein Gewinn für die Region und bietet eine Alternative zum Auto, das rund 100 Minuten benötigt. Dennoch bleiben viele Wermutstropfen übrig. So sollte die Strecke bereits zur Fußball-WM 2006 fertiggestellt sein und bringt eben erst jetzt die genannten Verbesserungen.”
Aber was nutzen schnelle Züge, wenn sie zu selten fahren? Dann animieren sie ganz gewiss nicht zu Gewohnheitsänderungen.
Marco Böhme: “Weiterhin wurden nicht alle Potenziale ausgenutzt, um Autofahrer oder Flugpendler auf die Schiene zu lenken und damit CO2 einzusparen. Der einzige relevante Vorteil für diese Zielgruppen ist die Geschwindigkeit! Wenn man aber nur jede Stunde einsteigen kann, ist man im Zweifel leider trotzdem schneller und flexibler mit dem Auto als mit dem ICE. Daher wurde die Neubaustrecke für Geschwindigkeiten bis zu 300 km/h ausgebaut, doch die nötigen Züge fehlen! Die Deutsche Bahn hat keine entsprechenden ICE-Züge bestellt, wie sie beispielsweise zwischen Köln und Frankfurt verkehren, und hat dies für den Osten auch nicht vorgesehen.”
Sein Fazit: “Hochgeschwindigkeitsverkehr im 21. Jahrhundert sieht anders aus! So verkehren die ICE-Züge mit nur maximal 230 km/h durch wenige Streckenabschnitte im Osten. In Sachsen verbessert sich im Grunde gar nichts. Hier braucht der ICE weiterhin über eine Stunde zwischen Dresden und Leipzig und verkehrt nur alle 2 Stunden (vor 6 Jahren gab es da noch einen regelmäßigen Stundentakt nach Frankfurt). Im Gegenteil: Der für Pendler wichtige und sehr gut ausgelastete 06:26 Uhr-Montags-ICE von Leipzig nach Dresden wurde zum Beispiel eingestellt und fährt das erste Mal erst wieder 08:31 Uhr.”
Und das passt dann eben nicht mehr zusammen mit dem drohenden Mittelschwund im Regionalverkehr.
“Zusammen mit den drohenden Kürzungen im Regionalverkehr für den Osten, der die kommenden Jahre mit erheblich weniger Regionalisierungsmitteln auskommen muss, sieht das Bild für den Bahnverkehr im Osten nicht mehr rosig aus. Bis zu 30 % der Regionalverkehrsverbindungen stehen zur Disposition”, mahnt der linke Abgeordnete an. “Und auch andere Fernverkehrsprojekte wie der Ausbau von Dresden nach Berlin könnten zwar erhebliche Fahrtzeitverbesserungen mit sich bringen, doch die Bahn hat für 2018 lediglich eine Fahrtzeitverkürzung von 18 Minuten auf 1h 45min angekündigt. Diesen Zustand hatten wir bereits zum Anfang der 90er Jahre erreicht. Hochgeschwindigkeitsverkehr sieht anders aus und braucht regelmäßige Verbindungen zu allen Großstädten sowie eine attraktive Anbindung an die Region – gerade letzteres steht auf dem Abstellgleis und passt zum stiefmütterlichen Umgang mit dem Osten.”
Und dass nicht nur die linken Zugnutzer die Entwicklung höchst besorgt sehen, zeigt auch die Diskussion innerhalb des Städteverbundes Metropolregion Mitteldeutschland. Denn dort merkt man schon lange, dass im Verkehr zwischen den Knotenpunkten der Region Vieles schiefläuft, Schmalhans Küchenmeister ist und die verantwortlichen Minister nicht wirklich strukturell gedacht haben.
“Derzeit werden die infrastrukturellen und finanziellen Weichen für die Zukunft des Öffentlichen Schienenpersonenverkehrs in Mitteldeutschland neu gestellt. Angesichts seiner zentralen Rolle für die Attraktivität und Wettbewerbsfähigkeit des Standortes müssen alle beteiligten Akteure in einen intensiven Dialog treten, um gemeinsam neue Ansätze für eine moderne, umweltfreundliche und finanzierbare Mobilität zu entwickeln“, betonte im Rahmen der Konferenz Jörn-Heinrich Tobaben, Geschäftsführer der Metropolregion Mitteldeutschland Management GmbH. “Die Europäische Metropolregion Mitteldeutschland biete eine ideale Plattform für diesen Prozess und wolle den Dialog mit neuen Impulsen wie dem vorgelegten Schienenpersonenverkehrskonzept für Mitteldeutschland voranbringen.”
Die Machbarkeitsstudie sieht unter anderem die Einführung eines Integralen Taktfahrplans, eines einheitlichen Tarifmodells sowie länderübergreifendes Organisationsmodell für den Öffentlichen Personenverkehr in Mitteldeutschland vor.
Im Konzept wird die Kritik noch viel deutlicher. Da kann man zum Beispiel lesen: “Aufgrund dieser Situation wird aktuell ein bedeutender Teil des vorhandenen Nachfragepotenzials zur Nutzung des Verkehrsträgers Bahn in Mitteldeutschland nicht ausgeschöpft. Gleichzeitig wirkt sich die eingeschränkte oder ganz fehlende Anbindung an den Schienenpersonenfernverkehr negativ auf die wirtschaftliche und touristische Entwicklung vieler Städte und ländlichen Räume in der Region aus.”
Etwas anders gelesen, ist das eine Ohrfeige für alle in der Vergangenheit tätigen Verkehrsminister in der Region: Sie haben auf den falschen Zug gesetzt und die Vertaktung der regionalen Zugverkehre sträflichst vernachlässigt. Und nachdem in Sachsen bislang Städte wie Chemnitz erfahren haben, was das heißt, abgehängt zu werden, erwischt es nun auch Jena.
Dabei gab es ja sogar ein paar Projekte, in denen man tatsächlich in die Zukunft dachte – auch wenn man, wie beim Leipziger Citytunnel, anfangs den Bürgern wieder das alte Märchen erzählte: Man brauche den Tunnel für bessere ICE-Verbindungen.
Hier hat sich zum Glück neben der Sparsamkeit die Vernunft durchgesetzt, denn ein funktionierendes S-Bahn-Netz für die Region Leipzig war eindeutig das Wichtigere. Es ist in seiner ersten, 2013 gezündeten Stufe, schon längst viel zu klein.
Ab dem 13. Dezember wächst es ja wieder ein bisschen, dann sind auch die sachsen-anhaltinische Landeshauptstadt Magdeburg und die Städte Dessau-Roßlau, Bitterfeld-Wolfen, Lutherstadt Wittenberg sowie der Nahverkehrsraum Leipzig/Halle miteinander verbunden.
Gleichzeitig wird zwar mit der Verbindung Leipzig/Halle – Erfurt ein weiterer Teilabschnitt der Hochgeschwindigkeitsstrecke Berlin – Halle/Leipzig – Erfurt – Nürnberg eröffnet. Mit der für Ende 2017 geplanten Fertigstellung des Verkehrsprojektes Deutsche Einheit (VDE) 8 geht aber eine weitere Konzentration des Schienenpersonenfernverkehrs in Mitteldeutschland einher, stellt auch die Metropolregion mit Sorge fest: Während sich dadurch für die Bahnknoten Dresden, Erfurt, Halle (Saale) und Leipzig deutliche Angebotsverbesserungen ergeben, werden mit Weimar und Jena weitere mitteldeutsche Städte ihren Fernverkehrsanschluss verlieren.
Und dass die Eiertänzerei mit den Regionalisierungsmitteln jetzt für die ostdeutschen Sparexperten in die Hose zu gehen droht, hat man auch im Städtenetzwerk gemerkt: Jetzt drohen den ostdeutschen Aufgabenträgern im regionalen Schienenpersonennahverkehr durch die Ende September durch Bund und Länder beschlossene Neuverteilung der Regionalisierungsmittel in den kommenden Jahren erhebliche finanzielle Einbußen. Nach Angaben des Zweckverbandes für den Nahverkehrsraum Leipzig (ZVNL) würden allein für die fünf Zweckverbände in Sachsen – bei weiter steigenden Kosten für Energie, Personal sowie Trassen- und Stationsgebühren – im Zeitraum 2016 bis 2030 fast 900 Millionen Euro weniger zur Verfügung stehen.
Doch das Netzwerk versucht mit seinem Schienenpersonenverkehrskonzept wenigstens eine Alternative zu setzen und einen Weg zu zeigen, die Region jetzt endlich besser zu vernetzen. Und so fordern nun auch die Kommunen, was etwa die sächsischen Grünen für Sachsen schon lange verlangen: einen integralen Fahrplan für die gesamte Region Mitteldeutschland, in dem alle Angebote passgenau vertaktet sind.
Selbst der einheitliche Tarif für diese Flickenteppichlandschaft aus unterschiedlichen Verkehrsverbünden wird vorgeschlagen. Und sie fordern das, was den drei Landesregierungen so schwer fällt: Länderkooperation, Verbundkooperation. Und den Mut, auch wieder ertragsschwächere Linien ins Netz zu nehmen, damit alle drei Bundesländer ein dichtes und sinnvolles Netz bekommen. Und damit der Mehraufwand bezahlt werden kann, soll es einen Ausgleich im gesamten System geben, bei dem die nachfragestarken Linien die schwächeren mit tragen.
Wobei das Konzept auch deutlich formuliert, dass ein solches integriertes Netz natürlich mehr Fahrgäste generiert. Das ist fast zwangsläufig, denn wenn Züge wieder vernünftige Anschlüsse haben und in sinnvoll dichten Takten fahren, dann gewinnt man auch wieder Fahrgäste, die in den letzten Jahren frustriert ausgestiegen sind.
Das Schienenpersonenverkehrskonzept für Mitteldeutschland.
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Naja, nicht nur die ostdeutschen Verkehrsminister, die auf “den ICE” gesetzt haben, sind schuld, sondern auch mal der “gemeine Ossi”, der nämlich grundsätzlich auf sein Westauto setzte und damit das Fahrgastaufkommen ab Mitte der 1990er rapide in den Keller hat fallen lassen. Unterdessen stiegen “drüben” die Leute verstärkt wieder auf Bahn und öffentlichen Stadtverkehr um.
Mäße man in Sachsen die Nutzerzahlen im Regionalbahnverkehr an westdeutschen Verhältnissen, so wäre sogar die Strecke Leipzig-Dresden von einer Stilllegung bedroht.
Es muss sich auch etwas in ganz vielen, vor allem älteren Köpfen der eingeborenen Bevölkerung ändern. Kann ja nicht sein, dass bloß nur die Nachwendegeborenen und die so abschätzig genannten “Zugezogenen” für frischen Wind im ÖPV sorgen sollen. Das wird nicht reichen.