Dass Bernward Rothe (Halle) und Roland Mey (Leipzig) mit ihrem Antrag auf ein Volksbegehren Mitteldeutschland an einem arbeitsunwilligen Bundesinnenministerium abgeprallt sind, darüber haben wir schon berichtet. Ein wenig hat Bernward Rothe, Rechtsanwalt von Beruf, auch selbst es den Bürokraten im BMI erleichtert, die Sache abzublocken. Sein Problem ist: Er weiß zu viel und hat sich viel zu gründlich mit der Misere Mitteldeutschlands beschäftigt.
Das sorgt dafür, dass seine Schreiben an Behörden meist viel zu lang sind. Die Erfahrung wird jeder schon einmal gemacht haben, der sich mit deutschen Behörden schriftlich auseinandergesetzt hat: Je mehr Argumente man liefert, um sein Anliegen zu bestärken, umso leichter fällt es arbeitsunwilligen Sachbearbeitern, einen Paragraphen zu finden, der auf eins der vorgebrachten Argumente passt und damit alle anderen einfach zunichte macht.
Vor Weihnachten hat Bernward Rothe nun noch einmal eine große Briefsendung ins mitteldeutsche Land geschickt, in der erläutert wird, was die beiden Initiatoren des Volksbegehrens nun 2016 anstellen wollen. Das behandeln wir noch extra.
Aber er hat sich auch noch einmal die Mühe gemacht, ein paar Zahlen zusammenzutragen, die das Anliegen bekräftigen, ein paar Bundesländer zusammenzulegen. In der Hoffnung, die Beamten lassen sich vielleicht mit Kosten und Personalstellen verblüffen. Immerhin gaben die 16 Bundesländer im Jahr 2014 insgesamt 114,4 Milliarden Euro für ihr Personal aus. Und das waren immer (noch) 2,07 Millionen Beschäftigte. Das “noch” haben wir selbst im Klammern gesetzt, denn nicht nur Sachsen verblüfft ja die Welt seit Jahren mit hektischen Sparrunden beim Personal. Und das auch nicht erst seit 2010, als CDU und FDP sich auf rigorose Sparprogramme geeinigt hatten. Auch die Regierungen Biedenkopf und Milbradt hatten ja zuvor schon umfassende Abbauprogramme für das Landespersonal.
Es verblüffte dann eher, dass CDU und FDP 2009 noch mehr Möglichkeiten zum Kürzen und Sparen gefunden zu haben glaubten. In allen Begründungen tauchte immer wieder ein geheimnisvolles vorbildliches Bundesland im Westen auf, ohne dass es je genannt wurde. Vielleicht war Bayern damit gemeint. Vielleicht auch nicht.
Denn um herauszubekommen, was wirklich vorbildlich ist, muss man wissen, welche Arbeit Landesbedienstete tatsächlich leisten müssen, damit der Laden läuft. Man denke nur an die sächsische Polizei, zu der alle professionellen Kritiker schon 2011 anmerkten, als Innenminister Markus Ulbig (CDU) seine “Polizeireform 2020” vorstellte, dass eigentlich kein Einsparpotenzial existierte. Was ja nun im Dezember 2015 die eingesetzte Evaluations-Kommission bestätigte: Tatsächlich hat Sachsen 1.000 Polizisten zu wenig.
Denn das Problem ist: Es gibt kein Vorbild-Bundesland. Alle 16 Bundesländer haben völlig unterschiedliche Bedingungen, gehen auch völlig unterschiedlich um mit Hochschulen, Krankenhäusern, Polizeiaufgaben. Manche lagern alles aus, was nicht niet- und nagelfest ist, andere schaffen große Bereiche prekärer Beschäftigung und blähen so die Personalzahlen auf, andere versuchen ihre Lehrer in Altersteilzeit zu drücken oder behalten gleich mal Weihnachtsgelder ein. Wieder andere – wie die drei Stadtstaaten – haben damit zu kämpfen, dass sich Landes- und Kommunalaufgaben überlagern.
Das wird in der Zahlensammelei von Bernward Rothe sehr deutlich. Er hat erst einmal etwas Wichtiges gemacht: Er hat die ganzen Malocher aus der Statistik genommen: die Beschäftigten bei Polizei, im Bildungswesen, in den Hochschulen, in Kultur und Krankenhäusern. Das sind zwar alles Bereiche, in denen die CDU/FDP-Regierung in Sachsen glaubte, noch wild drauflos kürzen zu können – aber tatsächlich hat man dadurch erst eine Krisenstimmung erzeugt, die mittlerweile das ganze Land in Unruhe versetzt hat.
Rothe hat sich auf das reine Verwaltungs- und politische Personal beschränkt. Und sofort fallen natürlich die drei Stadtstaaten Bremen, Hamburg und Berlin auf, die hier auf einen Schnitt von 25 Beschäftigten je 1.000 Einwohner kommen. Der einzige der drei Stadtstaaten, der mit dieser Belastung überhaupt einigermaßen zurechtkommt, ist das reiche Hamburg. Bremen und Berlin gelten mittlerweile als die notleidenden unter den deutschen Bundesländern. Sie überhaupt noch als eigenständige Bundesländer zu erhalten, ist nicht nur verwaltungstechnisch, sondern auch finanziell nicht begründbar.
Dass nicht nur Deutschland mit den kleinteiligen Verwaltungsstrukturen hadert, sähe man in Frankreich, betont Rothe. Dort werden per 1. Januar 2016 aus 22 offiziellen Regionen nur noch 13.
Und was auf die Stadtstaaten zutrifft, trifft – mit Abstrichen – auch auf die bevölkerungsärmsten Flächenbundesländer zu. Das wird sichtbar, wenn man das Verwaltungspersonal der Länder vergleicht. Sachsen kommt dabei übrigens auch mit den Zahlen von 2014 auf einen ganz normalen Schnitt von 8,44 Landesbedienstete auf 1.000 Einwohner. Natürlich ist das eine Zahl, die sich verändert, wenn etwa die Bevölkerung weiter abnimmt. Was sie ja nicht tut.
Hessen zum Beispiel kommt auf 8,42 Landesbedienstete auf 1.000 Einwohner. Rheinland-Pfalz kommt auf 8,60. Werte um 8 bis 8,5 sind der normale Schnitt in den deutschen Flächenländern.
Wirklich drunter kommen nur die drei bevölkerungsstärksten Länder Bayern, Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen. Sie kommen auf rund 6 Landesbedienstete pro 1.000 Einwohner. Das heißt: Sie kommen im Schnitt mit weniger Landespersonal aus, weil sie mehr Bevölkerung auf vergleichbarer Fläche verwalten können.
Was aber würde in Mitteldeutschland zum Tragen kommen? Hier trifft man dann auf ein sehr ostdeutsches Phänomen: Einige Länder sind hier schon so bevölkerungsarm, dass mittlerweile im Schnitt 10 Landesbedienstete auf 1.000 Einwohner kommen. Sachsen-Anhalt gehört dazu mit 10,05, Thüringen kommt auf 9,51.
Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern liegen mit 9,94 und 10,66 in einer ähnlichen Region.
Hauptgrund für die vergleichsweise hohen Zahlen ist schlicht der permanente Bevölkerungsrückgang. Aber die ostdeutschen Bundesländer haben im Grund alle die Grenzen der Einsparmöglichkeiten erreicht. Noch weniger Landespersonal macht die Abarbeitung der ganz normalen Verwaltungsaufgaben fast unmöglich. Deswegen kann man auch keine wirklich belastbaren Prognosen abgeben, was eine Zusammenlegung der drei Bundesländer Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen als Ersparnis bringen könnte. Denn dafür müsste man die notwendige Landesverwaltung noch einmal von den rein politischen Führungsaufgaben trennen. Denn vor allem dort käme es zu Synergieeffekten: Aus drei Landtagen würde einer, einige Stiftungen, Bildungseinrichtungen und vor allem die Ministerien würden zusammengelegt. Und bei einigen ist das eigentlich längst überfällig. Denn noch mehr Geld, als für die Parallelstrukturen drauf geht, wird ja in fehlenden Abstimmungsprozessen, Konkurrenzdenken und fehlenden Strategien für die gesamte Wirtschaftsregion verschwendet.
Mittelfristig ist ein durchschnittlicher Besatz mit Landesbediensteten von 8,50 für ein neues Bundesland Mitteldeutschland durchaus denkbar. Und dann würden auch die Gelder frei, die dort fehlen, wo gerade Sachsen in den letzten Jahren auf rücksichtslose Art bespart wird: für eine angemessene Polizeipräsenz etwa, wie Bernward Rothe betont.
Ob diese Einsparungseffekte freilich die Beamten im Bundesinnenministerium überzeugen, ist fraglich. Was kümmern mögliche Milliarden-Einspareffekte am Ende, wenn man im ersten Schritt erst mal Arbeit im Wert von 10.000 Euro von seinem Tisch hat?
Und noch etwas bringt so eine Effekt-Statistik nicht zum Vorschein: Was passiert eigentlich, wenn eine politische Landesverwaltung nicht nur ein kleines Bundesland mit 2 oder 4 Millionen Einwohnern gestalten kann, sondern eines mit 8,3 Millionen (der derzeitigen Bewohnerzahl von Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen) und einem komplett umfassten Wirtschaftsraum?
Rothe rechnet mit einer Kostenersparnis allein durch die Bildung eines gemeinsamen Bundeslandes von 1,5 Milliarden Euro im Jahr. Das wären, rein faktisch, 1,5 Milliarden Euro, die für notwendige Investitionen – auch in Köpfe – zur Verfügung stünden.
Denn es geht ja nicht nur um eine langweilige Länderfusion. Es geht darum, für die ganze Region endlich aus dem Mustopp der Vergreisung, Entvölkerung und demografischen Depression herauszukommen und wieder Visionen für eine lebendige Zukunft zu entwickeln.
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