Die Geschichte um den Lärmschutz am Flughafen Leipzig/Halle wird so langsam zur ewigen Legende. Seit 2004 laufen die Bürgerinitiativen rund um den Flughafen Sturm, um einigermaßen verträgliche Lärmschutzstandards zu bekommen. Ein paar - wie die gleichmäßige Bahnverteilung - wurden ihnen im Planfeststellungsbeschluss zugesagt - und dann doch nicht eingehalten. Da hilft nur noch ein Nachtflugverbot, fanden die sächsischen Grünen.
Im Mai haben sie einen solchen Gesetzesantrag im Landtag vorgelegt. Am 6. November war nun endlich die Anhörung dazu, in der sich die Grünen bestätigt sahen – und die Regierungskoalition reagierte wie gewohnt: Man habe den Flughafen eben extra fürs Frachtgeschäft ausgebaut – eine Beschränkung sei indiskutabel.
Womit dann Andreas Heinz, Vorsitzender des Arbeitskreises für den ländlichen Raum, Umwelt und Landwirtschaft der CDU-Landtagsfraktion, noch einmal deutlich machte, wo das eigentliche Problem liegt: Es gibt nicht mal den Versuch eines Verständigungsprozesses der Flughafeneigentümer (mehrheitlich das Land Sachsen) mit den betroffenen Anwohnern. Und man klaubt sich die Argumente für den unbeschränkten Nachtflugbetrieb zusammen, wo man sie findet.
Heinz jedenfalls sah nach der Sachverständigenanhörung keine belastbaren Argumente für die Einführung eines Nachtflugverbotes am Flughafen Leipzig.
“Die Lärmbelastung der Anwohner ist zweifellos gegeben”, gesteht er gnädig zu, “ihr wird jedoch durch aktiven und passiven Schallschutz entgegengewirkt. Durch das Wirken der Fluglärmkommission wurde in vielen Fällen zur Behebung von Problemen beigetragen. Auch das um den Flughafen festgelegte Nachtschutzgebiet ist um ein mehrfaches höher als gesetzlich gefordert.”
Dumm nur, dass genau das nicht passiert ist: Die uralten russischen Frachtflieger, die DHL schon längst außer Betrieb hatte nehmen wollen, fliegen noch immer. Die Bahnverteilung wird nicht eingehalten. Die Klage gegen die “kurze Südabkurvung” ist noch immer vor Gericht anhängig. Und erst im Februar hatte sich herausgestellt, dass nach sieben Jahren gerade mal die Hälfte des passiven Schallschutzes abgearbeitet war. Tatsächlich agieren die Flughafeneigentümer so, als müssten sie überhaupt keine Rücksicht auf die Anwohner nehmen und als würde nicht gerade die nächtliche Frachtflugerlaubnis ein echtes Entgegenkommen bei den aktiven und passiven Schallschutzmaßnahmen erzwingen.
Aber auch nach der Auffassung von Andreas Heinz würde die Festsetzung eines Nachtflugverbotes am Flughafen Halle-Leipzig den Bestand des Flughafens und insbesondere seine Funktion als Frachtdrehkreuz grundlegend gefährden.
Ganz aus vogtländischer Perspektive erklärt er: “Der Flughafen ist von Anfang an für den Frachtverkehr mit Nachtflugbetrieb konzipiert worden. Die Genehmigungsverfahren haben die Fragen des Lärmschutzes für die Anwohner angemessen berücksichtigt. Von Willkürlichkeit oder gar Missachtung des Gesundheitsschutzes zu sprechen, ist deshalb völlig unangemessen.”
Das werden möglicherweise einige Gerichtsentscheidungen der nächsten Zeit anders bewerten. Im Antrag der Grünen wird insbesondere das Nachtflugverbot am Flughafen Frankfurt als Grund für eine entsprechende Regelung auch in Leipzig herangezogen.
“Den Flughafen Leipzig mit anderen Flughäfen wie Frankfurt am Main zu vergleichen, ist irreführend. Dieser Flughafen hat ein völlig anderes Konzept”, meint Heinz. Als wenn nicht in Frankfurt dieselben Diskussionen laufen würden, die die Flughafenbetreiber mittlerweile zur Diskussion mit den Betroffenen zwingen. “Im Übrigen sind in mehreren Gerichtsverfahren bis hin zum Europäischen Gerichtshof für Menschrechte die in Leipzig geltenden Regelungen geprüft und bestätigt worden. Ungeachtet der fehlenden Begründung für ein Nachflugverbot in Leipzig werden wir uns auch weiterhin für Maßnahmen einsetzen, die dem aktiven und passiven Lärmschutz dienen. Dabei werden wir wirksamen freiwilligen Lösungen den Vorrang vor Verboten geben.”
Natürlich wurde sich in der Sachverständigenanhörung gründlich gestritten. Das kann auch Wolfram Günther, umweltpolitischer Sprecher der Grünen-Landtagsfraktion, bestätigen: “Nach der lebhaften und von unterschiedlichen Standpunkten geprägten Experten-Anhörung halten wir an unserem Anliegen, den Lärmschutz für die Bewohnerinnen und Bewohner in der Nähe des Flughafens Leipzig-Halle deutlich zu verbessern, fest. Die wesentlichen Forderungen unseres Antrages entsprechen den Erkenntnissen eines aktuellen Gutachtens des Sachverständigenrates für Umweltfragen SRU zum Thema Lärmschutz. Mehrere Experten der heutigen Anhörung unterstützten die Umsetzung dieser Forderungen sehr deutlich.”
Eigentlich Grund genug auch für die Regierungskoalition, endlich selbst aktiv zu werden bei der Lärmminderung am Flughafen Leipzig/Halle. Den Verweis auf gescheiterte Gerichtsverfahren und ein ausreichendes Schallschutzprogramm können die Betroffenen im Leipziger Nordwesten nicht mehr hören. Das Lied hören sie jetzt seit elf Jahren als Ergänzung zur nächtlichen Frachtfliegerei, die zum Teil mit uraltem und besonders schwerem Fluggerät vollzogen wird.
Was da eigentlich 2004 passiert ist, das benennt Matthias Zimmermann, Sprecher der Bürgerinitiativen “Gegen die neue Flugroute” und “Gegen Flug- und Bodenlärm”, sehr offenherzig: “Die Wahrheit liegt ganz woanders. Damit die stadtnahe Start- und Landebahn Süd seinerzeit ‘geräuschlos’ über die Bühne gehen konnte, wurde die Bevölkerung durch die Politik bewusst betrogen. Nach dem Motto ‘Diese Freiheit nehm ich mir’ wurde der Planfeststellungsbeschluss bürgerfreundlich formuliert, während zeitgleich der Freistaat Sachsen in einer Patronatserklärung der DHL zusicherte, dass ‘zu allen Zeiten mindestens (…) alle Bewegungen der für oder im Namen der DHL tätigen Luftfahrtunternehmen auf der südlichen Start- und Landebahn bis zu einer Maximalauslastung von 40 Flugbewegungen pro Stunde betrieben werden können.’ Der Gegenwind mündiger Bürger ist nun so groß geworden, dass händeringend nach Argumenten zur Nichtmachbarkeit der gleichmäßigen Bahnverteilung gesucht wird.”
Man ahnt die Not der Politik, gerade im wirtschaftlich gebeutelten Sachsen, unbedingt auch neue Arbeitsplätze an einem funktionierenden Frachtflughafen zu schaffen und erhalten zu müssen. Aber gerade das müsste auch mit nachvollziehbaren Anstrengungen im Schallschutz begleitet werden. Doch das passiert nicht.
“Weiteres Wegducken von CDU und SPD beim Thema nächtlicher Fluglärm wäre peinlich. Jahrelange massive Proteste von betroffenen Bürgerinnen und Bürgern vor Ort machen zudem deutlich, dass die bisherige Flugverkehrspolitik der Staatsregierung den Interessen der Menschen vor Ort zu wenig Beachtung schenkt, sondern wirtschaftliche Einzelinteressen höher gewichtet”, kommentiert das Wolfram Günther. “Hier lohnt ein Blick zum Frankfurter Flughafen. Hier hat das Nachtflugverbot von immerhin sechs Stunden zu erheblichen Erleichterungen der Bevölkerung geführt. Dies zeigt, dass die Staatsregierung handeln kann, wenn sie denn will.”
In Teilen hat Leipzig von der Frankfurter Regelung profitiert: Ein Teil des nächtlichen Frachtflugverkehrs ist nach Schkeuditz gewechselt – aber deutlich weniger, als von den Flughafenbetreibern erwartet. Stattdessen zeigt gerade Fraport, dass der größte Teil des Frachtgutes auch außerhalb der Nachtkernzeit geflogen werden kann. Und Frankfurt ist nach wie vor unangefochten der deutsche Frachtflughafen Nr. 1.
Aber was kann man tun, wenn Flughafenbetreiber und Landesregierung beim Schallschutz mauern?
“Mit unserem Antrag wollen wir ein Nachtflugverbot zwischen 22 und 6 Uhr für den Flughafen Leipzig-Halle festsetzen. Dazu ist der Freistaat Sachsen als Hauptgesellschafter der Mitteldeutschen Flughafen AG in der Lage”, meint Wolfram Günther. “Wir sehen die Staatsregierung in der Pflicht, endlich im Interesse zehntausender lärmgeplagter Bürgerinnen und Bürger zu handeln. Durch den derzeitigen Nachtbetrieb des Flughafens Leipzig/Halle nimmt die Gesundheit zehntausender Betroffener, darunter tausender Kinder, zugunsten einzelner Unternehmen wie DHL einen enormen Schaden. Das in der Anhörung genannte Interesse von DHL, eine möglichst schnelle Expressfrachtgutabwicklung nachts zu organisieren, steht dem Interesse des Gesundheitsschutzes der betroffenen Anwohner gegenüber.”
Und wo Andreas Heinz Studien sah, die sowohl die gesundheitliche Schädigung belegen, als auch solche, die das Problem nicht feststellten, konzentriert sich Günther auf das, was auch die Fluglärmkommission Frankfurt als Arbeitsgrundlage betrachtet. Für diese sprach am 6. November Anja Wollert, die sich näher mit der NORAH-Studie beschäftigte.
“Die Anhörung hat bestätigt: Fluglärm ab einem Dauerschallpegel von 40 Dezibel (dBa) in der Nacht kann Schlafstörungen, Stress, Herz-Kreislauf-Erkrankungen wie Schlaganfall oder Herzinfarkt verursachen. Nächtliche Lärmbelastungen führen zu signifikantem Mehrverbrauch an Medikamenten gegen Schlafstörungen mit allen Nebenwirkungen”, zieht Günther für sich das Fazit. “Die WHO empfiehlt deshalb einen mittleren nächtlichen Lärmpegel von nur 40 dBa. Ungestörter Schlaf ist ein Menschenrecht.”
Fluglärm wird laut der aktuell veröffentlichten, weltweit größten Studie zu Lärmbelästigungen (NORAH) mit großem Abstand zu anderen Lärmquellen von der Bevölkerung als besonders störend wahrgenommen. Anja Wollert hatte in ihrer Vorstellung der NORAH-Studie explizit darauf hingewiesen, dass allein die Gefahr, an Brustkrebs und Depressionen zu erkranken, signifikant bei nächtlichen Lärmbelästigungen zunimmt. Der Körper erlebt in der Zeit, in der er sich eigentlich regenerieren soll, immer neuen Stress, besonders verschärft, wenn wieder die besonders schweren und lauten Frachtflieger mit Lärmspitzen von über 70 und 80 dB(A) über die Landschaft dröhnen.
“Wir fordern in unserem Antrag deutlich verschärfte lärm- und verbrauchsabhängige Start- und Landeentgelte am Flughafen Leipzig-Halle als finanziellen Anreiz”, benennt Günther ein Steuerungsmittel, das auf dem Frachtflughafen in dieser Art noch lange nicht greift. “Diese Einschätzung teilt auch Thomas Myck, wissenschaftlicher Direktor des Umweltbundesamtes. Vorbild ist hier der Flughafen Zürich, der sehr stark gespreizte lärmabhängige Start- und Landeentgelte hat. Der Flughafen Leipzig/Halle hat aktuell sehr niedrige Start- und Landegebühren, speziell für Nachtflüge. Wenn das nicht verändert wird, bleibt Leipzig im bundesweiten Flughafendumpingwettbewerb ‘der billige Jakob’.”
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