Eigentlich wollen sie ja: Die meisten sächsischen Unternehmen würden schon gern ab 2016 Flüchtlinge einstellen. Das bestätigt eine aktuelle Umfrage der IHKs in Sachsen. Die Beteiligung an der Umfrage im Oktober war erstaunlich hoch, stellen die Kammern fest. 2.500 Unternehmen aus Industrie, Bau, Handel, Verkehr, Gastgewerbe und Dienstleistungen haben sich beteiligt.

Rund die Hälfte der Befragten (49 %) ist davon überzeugt, dass die Zuwanderung Asylsuchender auch eine Möglichkeit ist, den demografisch bedingt drohenden Fachkräftemangel in der Region abzumildern. Gerade erst hat eine ifo-Studie, die von der Friedrich-Ebert-Stiftung veröffentlicht wurde, noch einmal deutlich gemacht, wie stark der Osten in den nächsten Jahren unter Arbeitskräftemangel leiden wird. Der eigene Nachwuchs reicht in manchen Regionen nur noch dazu, um 60 Prozent der Arbeitsplätze zu erhalten.

Trotzdem haben viele Unternehmen so ihre Bauchschmerzen mit der Einstellung von Flüchtlingen. Der Hauptgrund dafür sind die hohen bürokratischen Hürden, die die Politik errichtet hat. Denn solange der Aufenthaltsstatus nicht geklärt ist, dürfen die Asylsuchenden in der Regel nicht arbeiten.

Mehrheit der Unternehmen signalisiert hohe Einstellungsbereitschaft

Über alle Wirtschaftsbereiche hinweg signalisieren 63 % der Befragten ihre grundsätzliche Bereitschaft zur Beschäftigung von Flüchtlingen und Asylbewerbern. Mit 78 bzw. 74 % dominieren das Gastgewerbe und die Industrie, am zurückhaltendsten ist der Handel mit 50 %. Deutlich ist die Abhängigkeit der Zustimmung von der Beschäftigtenzahl. So würden Unternehmen mit weniger als 10 Mitarbeitern in 53 % der Fälle Flüchtlingen und Asylbewerbern Chancen auf Beschäftigung bzw. Ausbildung einräumen, Unternehmen mit 500 und mehr Mitarbeitern hingegen zu 89 %.

Aber die Grundbedingung ist klar: Neun von zehn Unternehmen machen ihre Einstellungsbereitschaft von einer bereits erteilten Aufenthaltserlaubnis abhängig.

Solange die bürokratischen Verfahren laufen (und mittlerweile dauern sie in vielen Fällen über 6, 9 oder sogar 12 Monate), ist an eine reguläre Beschäftigungsaufnahme nicht zu denken.

Und die etwas größere Zurückhaltung der kleineren Unternehmen ist wohl der Tatsache geschuldet, dass man in kleinen Firmen eher wenig Puffer hat, bestehende Ausbildungshandicaps zu puffern. Doch schon die Entwicklung der letzten Jahre beim eigenen sächsischen Nachwuchs hat gezeigt, dass die großen Unternehmen (mit zum Teil deutlich höherem Gehaltsniveau) kaum Schwierigkeiten haben, die besten Fachkräfte zu bekommen. Tatsächlich sind es auch jetzt schon vorrangig die kleinen Unternehmen, die mit den Engpässen des sächsischen Arbeitsmarktes als Erste zu tun bekommen. Und das wird bei der Einstellung von Bewerbern aus der aktuellen Flüchtlingszahl nicht anders sein.

Wer bietet tatsächlich freie Stellen an?

Konkrete Einstellungsperspektiven bereits für 2016 offerieren 45 % der Unternehmen, wobei auch hier das Gastgewerbe (71 %) und die Industrie (52 %) die meisten Nennungen auf sich vereinen. Über alle Wirtschaftsbereiche hinweg entfallen freilich 46 % aller Stellenangebote auf un- und angelernte Tätigkeiten, 43 % auf Tätigkeiten, die eine Berufsausbildung voraussetzen, und 11 % auf Akademiker.

Aber da müssen auch die künftigen Bewerber noch einige wichtige Voraussetzungen schaffen. Denn spätestens an der Sprachbarriere scheitert so mancher Job. Weshalb die Bundesarbeitsagentur jetzt kurzfristig noch über 1.000 Deutschkurse in ihre Finanzierung aufgenommen hat.

Auch die sächsischen Unternehmen verbinden ihre Einstellungsbereitschaft mit hohen Anforderungen an die potenziellen Bewerber. So nennen 59 % gute bis sehr gute Deutschkenntnisse und 45 bzw. 43 % eine nachweislich abgeschlossene Berufs- bzw. Schulausbildung als Mindestvoraussetzungen. Was auch die Frage nach anerkannten Berufsabschlüssen auf die Tagesordnung setzt.

Und trotzdem bleibt die Frage: Bekommen die Flüchtlinge ein Bleiberecht?

Denn gerade wenn die Unternehmen noch in Ausbildung und Qualifikation investieren müssen, macht es wenig Sinn, wenn die Eingestellten dann trotzdem damit rechnen müssen, dass sie ein bürokratischer Entscheid wieder außer Landes schickt.

Wenn es um die Bereitschaft zur Berufsausbildung geht, liegt der Befragungswert naturgemäß unter dem der Beschäftigungsmöglichkeiten, da allein 35 % der Befragten nicht über eine Ausbildungsberechtigung verfügen. Weitere 40 % Prozent der Unternehmen sind grundsätzlich bereit, Flüchtlinge und Asylbewerber auszubilden, wobei 78 % der genannten Ausbildungsrichtungen auf gewerblich-technische und 22 % auf kaufmännische Berufe entfallen.

Im Kontext der Berufsausbildung kommt aber der Bleibeperspektive der jungen Leute eine besondere Bedeutung zu. So würden fast zwei Drittel der Firmen (64 %) ein Ausbildungsengagement daran knüpfen, dass der Aufenthalt ihrer Auszubildenden – zumindest temporär – auch nach Abschluss der Ausbildung gesichert ist. 36 % könnten sich eine Ausbildung auch dann vorstellen, wenn das Bleiberecht zumindest bis zur Beendigung der Ausbildung gewährleistet werden kann.

Das sind noch nicht alle Einstellungshürden, die Sachsens Unternehmen benennen.

Für Beschäftigung und Ausbildung gleichermaßen bedarf es aus Sicht der Unternehmen des Abbaus einer ganzen Reihe von Hürden. Mit jeweils 55 % werden hierbei am häufigsten die undurchschaubare Rechtslage und Unsicherheiten über das Qualifikationsniveau genannt. Es folgen mit 42 bzw. 38 % die großen kulturellen Unterschiede und hohe bürokratische Hürden. Die Höhe des Mindestlohns wird von 28 % der Unternehmen als Einstellungshemmnis angesehen, nachdem das in den letzten Tagen von übereifrigen Politikern immer wieder thematisiert wurde. So manches Unternehmen würde doch gern wieder Arbeitskräfte zum Billigtarif bekommen, obwohl alle Beteiligten wissen, dass erst mit dem Mindestlohn ein eigenständig finanziertes Leben möglich ist.

Die letzten Zahlen vom sächsischen Arbeitsmarkt deuten darauf hin, dass gerade den Unternehmen, die bislang auf marginale und prekäre Beschäftigungsmodelle gesetzt haben, die Arbeitskräfte verloren gehen. Augenscheinlich sehen viele von ihnen in den sächsischen Neuankömmlingen die Chance, wieder zum alten Modell zurückzukehren, das aber eben nicht nur die Sozialkassen belastet hat, sondern auch zu deutlich gedämpften Steuereinnahmen geführt hat.

Was können die IHKs tun?

Die Kammervertreter wiesen im Rahmen der Vorstellung der Umfrageergebnisse noch einmal auf ihre Unterstützungsmöglichkeiten hin. Dazu gehören die Information und Beratung ihrer Mitgliedsunternehmen zu Fragen rund um die berufliche Integration; die Beratung zur Anerkennung und Gleichstellung von im Ausland erworbenen beruflichen Qualifikationen im IHK-Bereich; die Unterstützung der Agenturen für Arbeit und Integrationsinstitutionen bei der Berufsorientierung; die Eingliederung in aufnahmebereite Unternehmen mittels Einstiegsqualifizierungen (EQ); Kompetenzfeststellungen und Ergänzung der beruflichen Vorkenntnisse durch Teilqualifizierungen (TQ) gemeinsam mit Bildungsträgern; die Vermittlung in Ausbildung durch das Projekt „Passgenaue Besetzung“; Kursangebote für eine verbesserte interkulturelle Kompetenz von Mitarbeitern und Unternehmen sowie die Beratung von angehenden Existenzgründern.

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Keine Kommentare bisher

Guter Beitrag.
Wenn die Politiker und Beamten sich mit diesen Zahlen richtig beschäftigen, könnten sie
a) so reden, dass die Leute ihnen wieder glauben;
b) Entscheidungen so treffen, dass auch den Einwanderern geholfen ist.

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