Die Nachricht war zu erwarten und sie dürfte all den Strategen in den Managements der deutschen Energiekonzerne gar nicht gefallen: Die EU-Kommission hat erhebliche Bedenken gegen den im Juli vereinbarten Reserveplan der Bundesrepublik für alte Kohlekraftwerke. Vier Jahre, so haben es die Kraftwerksbetreiber mit der Bundesregierung vereinbart, sollen die alten Meiler zwar vom Netz genommen, aber als "Kapazitätsreserve" erhalten bleiben.
Erst dann werden sie wirklich abgewrackt. – Es war ein Kompromiss, der zustande kam, nachdem die Kraftwerksbetreiber im Verein mit der IG BCE, die gleich mal zur Demo in Berlin aufrief, und Politikern, die mit aller Stimmgewalt gegen die von Bundeswirtschaftsminister Gabriel vorgebrachte Klimaabgabe vorgegangen waren, die „Klimaabgabe“ sturmreif geschossen hatten. Eine durchaus konzertierte Aktion. Die Erfinder dieses Deals werden sich die Hände gerieben haben, denn dadurch hatten sie die Kohlekraftwerke nicht nur genau dort, wo im ursprünglichen Bauplan der Energiewende die wesentlich umweltfreundlicheren Gaskraftwerke ihren Platz finden sollten.
Denn Kapazitätsreserve bedeutet eigentlich, dass in Zeiten, da Wind und Sonne nicht genug Strom erzeugen und Stromengpässe drohen, binnen weniger Minuten die Reservekraftwerke hochgefahren werden und die Lücke füllen. Technisch geeignet sind dafür nur die Gaskraftwerke. Kohlekraftwerke kann man nicht in wenigen Minuten auf volle Leistung bringen, erst recht nicht, wenn sie kalt sind und erst befeuert werden müssen.
Und da sie diese Funktion nicht erfüllen können, ist das Verschieben alter Kohlemeiler in die „Kapazitätsreserve“ zwar ein cleverer Schachzug, um ihren endgültigen Abriss zu verschieben, aber, da sich die Kraftwerksbetreiber diese Stilllegung mit hunderten Millionen Euro versüßen lassen wollen, wertet die EU-Kommission das folgerichtig als Beihilfe. Eine Beihilfe, die genehmigt werden muss. Die aber wenig Chancen auf eine Genehmigung hat, denn hier wird keine kurzfristige wirtschaftliche Notlage überbrückt und auch keine notwendige Startinvestition unterstützt. Hier soll das Auslaufen einer veralteten Technologie, die nicht mehr marktfähig ist, hinausgezögert werden.
Wahrscheinlich werden wir das Wort marktfähig noch öfter betonen müssen an der Stelle. Jeder Blick auf die Bilanzen der Kohlekraftwerksbetreiber zeigt, dass die Kraftwerke an der Grenze ihrer Rentabilität angekommen sind. Das wissen auch die Betreiber. Doch sie haben kein funktionierendes Ausstiegsszenario. Tatsächlich sitzen sie alle da und belauern sich gegenseitig: Wer wird als erster schwach und nimmt die ersten Blöcke vom Netz?
Mit seiner „Klimaabgabe“ hat Sigmar Gabriel diesen Ausstieg aus der Kohle steuern wollen. Die Abgabe wäre zuerst nur auf die ältesten und ineffizientesten Blöcke fällig geworden. Ein echter politischer Wink mit dem Zaunpfahl: Nehmt die alten, längst abgeschriebenen Blöcke vom Netz, dann ist weniger Grundlast in den Netzen und der Strompreis kann sogar wieder steigen.
Denn, dass sich die Stromerzeugung aus Kohle nicht mehr rechnet, hat mit den Preisen zu tun, die für die freien Kapazitäten an der Strombörse erzielt werden können. Wo sie übrigens – das wird gern vergessen – mit den Strommengen aus der alternativen Stromproduktion konkurrieren. Der schwedische Stromkonzern Vattenfall veröffentlicht zwar seine Gesamtkonzernergebnisse und wies bei den letzten Veröffentlichungen auch stets darauf hin, dass insbesondere die ostdeutsche Braunkohlesparte zum negativen Betriebsergebnis beigetragen hat.
Wie sich das im Einzelnen berechnet, das teilt der Konzern freilich nicht mit. Man möchte ja die Kraftwerke und Tagebaue noch verkaufen. Seit einem Jahr bemüht man sich darum.
Aber auch der Käufer wird auf die Zahlen schauen. Und die besagen recht eindeutig, dass bei den gegenwärtigen Strompreisen an der Börse nicht wirklich mit Gewinn gerechnet werden kann.
Da kann man die neuesten Zahlen der Leipziger Strombörse EEX aufrufen, wann man will, der Strompreis pendelt zwischen 30 und 34 Euro je Megawattstunde. Im Durchschnitt kann man 31 Euro je MWh erzielen.
Ein Vergleich ist aber möglich, denn der Kraftwerksbetreiber EnBW, der den Block S im Kraftwerk Lippendorf betreibt (den anderen betreibt Vattenfall), veröffentlicht genauere Zahlen zu seiner Tochter EnBW Kraftwerk Lippendorf Beteiligungsgesellschaft mbH. Und aus denen ergibt sich, dass allein der Brennstoffpreis, der sich für die im Tagebau Vereinigtes Schleenhain geförderte Braunkohle bezieht, auf 14,62 Euro pro MWh beläuft (Zahlen für 2014). Dazu kommen noch die ganzen Personal- und Betriebskosten und die Abschreibungen. Wenn man die auf die verkaufte Strommenge umrechnet, kommt man ziemlich genau auf einen Preis von 30,7 Euro je Megawattstunde für das Jahr 2014.
Noch 2011 konnten die Betreiber der Kohlekraftwerke an der Börse Preise von 55 bis 60 Euro je Megawattstunde erzielen. Der Preis hat sich also innerhalb von drei Jahren fast halbiert. Gleichzeitig geht die Strommenge zurück, die die Kraftwerksbetreiber überhaupt noch am Markt losschlagen können.
Im Bundeswirtschaftsministerium hat man das wenigstens schon erkannt. In Sachsen und Brandenburg aber scheint man die harten Marktdaten einfach zu ignorieren und tut so, als könne man mit Appellen und Einsprüchen das Abschalten der Kohlekraftwerke verhindern und damit Arbeitsplätze retten.
Da die EU-Kommission den zusammengebastelten Reserveplan als Beihilfe zu werten scheint, ist der Plan der Kraftwerksbetreiber, sich den Ausstieg mit Geld versüßen zu lassen, wohl Makulatur. Und man steht wieder genau da, wo man im Frühjahr stand: Wer gibt jetzt die klare Linie vor, welche Blöcke als erste vom Netz gehen? Und was müssen die Landesregierungen tun, um den unausweichlichen Strukturumbruch zu bewältigen?
Die bessere Variante ist ein geordneter Ausstieg, bei dem die ältesten Blöcke zuerst vom Netz gehen. Die andere Variante ist ein unvorbereitetes Aus. Und dann hat man genau das, was man mit der massiven Kampagne gegen die „Klimaabgabe“ behauptet hat, verhindern zu wollen.
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