Wie bekommt man die gewünschten Veränderungen, wenn man sie sachlich nicht begründen kann? Man baut eine Drohkulisse auf, macht denen, denen man ordentlich Geld wegnehmen will, gehörig Angst, indem man das ganze System infrage stellt und so lange pokert, bis die Betroffenen im Moment der Entscheidung auch noch dem wildesten Kompromiss zustimmen. So passiert am 24. September, als die ostdeutschen Bundesländer mal wieder richtig über den Löffel balbiert wurden.

Das war der Tag, an dem sich Bund und Land auf die künftige Verteilung der Regionalisierungsmittel geeinigt haben. Der Bund hatte vorher immer mal wieder deutlich gemacht, dass er sich bei diesem Thema gern ein wenig zurückgezogen hätte. Der Bundesfinanzminister will sparen. Aber andererseits hat er die Länder mit den Regionalisierungsmitteln in die Pflicht genommen, den regionalen Schienenverkehr zu finanzieren. Früher war das die Aufgabe der Deutschen Bahn. Heute sorgen Zweckverbände dafür, den regionalen Zugverkehr zu organisieren.

Die Mittel wurden in der Vergangenheit nicht immer so verteilt, wie das mal gedacht war. Gerade der Freistaat Sachsen zeigte da eine Menge Kreativität, den regionalen Zweckverbänden die Mittel knapp zu halten. Das ist dann sozusagen schon einmal der Vorgeschmack auf das gewesen, was jetzt auf sie zukommt.

Auch wenn der Deutsche Bahnkundenverband am 25. September fast schon in einen Jubelschrei ausbrach: “Wenn man bedenkt, was hätte passieren können, so ist ein großes Aufatmen über die gestrigen Ergebnisse zwischen Bund und Ländern über die Regionalisierungsmittel angebracht.”

Die Drohkulisse hat gewirkt. Und so lasen denn augenscheinlich die Entsandten der Länder nicht mehr das Kleingedruckte. Und das wird heftig. Denn ein cleverer SPD-Mann aus Schleswig-Holstein hat dafür gesorgt, dass die Regionalisierungsmittel jetzt zu einer gewaltigen Umverteilungsmaschine von Ost nach West werden: Er hat den Kieler Schlüssel erfunden.

Reinhard Meyer heißt der Mann, ist Wirtschaftminister in Schleswig-Holstein und war 2014 Vorsitzender der Verkehrsministerkonferenz, als dort der Kieler Schlüssel beschlossen wurde. Der umfasst nicht nur – wie der Königsteiner Schlüssel – die Bevölkerungszahl in den einzelnen Bundesländern als Berechnungsgröße, sondern auch die bestellten Zugkilometer. Gewollt haben diesen Schlüssel die bevölkerungsreichen Bundesländer des Westens, die sich auch hier wieder mal benachteiligt fühlten.

Was für ein heimtückisches Instrument der Kieler Schlüssel ist, ist auf Wikipedia säuberlich vorgerechnet. Auch Schleswig-Holstein kommt dabei auf steigende Prozentzahlen in den nächsten Jahren. Im Grunde wächst für alle westlichen Bundesländer der Anteil am Kuchen Regionalisierungsmittel in den nächsten Jahren deutlich – für die ostdeutschen Bundesländer sinkt er. Und zwar nicht nur prozentual. Trotz steigender Bundeszuweisungen wird ein Bundesland wie Sachsen ab 2018 regelrecht Geld verlieren.

Der Satz, auf den sich Bund und Länder am Donnerstagabend einigten, lautet: “Die Regionalisierungsmittel werden in 2016 auf acht Mrd. Euro erhöht und in den Folgejahren jährlich mit einer Rate von 1,8 Prozent dynamisiert. Bund und Länder vereinbaren, die Mittel des Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetzes (GVFG) im Rahmen der Neuregelung der Bund-Länder Finanzbeziehungen ungekürzt über 2019 hinaus fortzuführen. Die Regionalisierungsmittel werden entsprechend des Vorschlages der Länder zeitlich verlängert und nach ihrem Vorschlag (Kieler Schlüssel) auf die Länder verteilt. Bund und Länder werden die Dynamik des Anstiegs der Trassenpreise begrenzen.”

Hier steht eindeutig, dass die Länder den Kieler Schlüssel vorgeschlagen haben. Völlig ohne Not. Denn wenn sich die Zuweisungen für alle erhöhen, bekommen ja auch alle mehr.

Aber nicht, wenn sich auf einmal der Berechnungsschlüssel ändert. “Ausgehend vom heutigen Verteilungsschlüssel wird schrittweise ein Zielschlüssel gebildet, der sich je zur Hälfte aus den Einwohnern (Stand 2012) und den bestellten Zugkilometern (Anmeldungen 2015) zusammensetzt”, lautete die Formel zum Kieler Schlüssel, die die Verkehrsminister im Oktober 2014 beschlossen. Aber unter völlig anderen Vorausetzungen: Sie hatten nicht nur 1,8 Prozent Dynamisierung zugrunde gelegt, sondern 2,0 Prozent. Da hätten die bevölkerungsreichen Bundesländer richtig viel Geld zusätzlich bekommen. In NRW wären die Zuweisungen zum Beispiel von 1,15 auf 1,86 Milliarden Euro bis 2022 gestiegen. Die ostdeutschen Bundesländer hätten eher mit konstanten und nur leicht wachsenden Zuschüssen rechnen können – in Sachsen zum Beispiel wären die Zuweisungen von 523 auf 604 Millionen Euro gestiegen.

Doch Bundesfinanzminister Schäuble hat die Entscheidung über die Regionalisierungsmittel am Donnerstag, 24. September, einfach mit in die noch viel heftigere Diskussion um die Gelder für die Flüchtlingsunterbringung gepackt. Vielleicht haben die anwesenden Landesvertreter die Kröte gar nicht mehr wahrgenommen, die er ihnen mitverkaufte, als er aus 2,0 Prozent einfach 1,8 Prozent Dynamisierung machte und den Grundbetrag absenkte.

Die Länder hatten zuvor 8,5 Milliarden Euro als Ausgangsbasis gefordert. Geworden sind es jetzt 8 Milliarden.

Und das Ergebnis ist für Sachsen sogar eine Schlechterstellung gegenüber dem Status Quo. Zwar gibt es statt 523 Millionen Euro wie 2014 und 530 Millionen 2015 im Jahr 2016 nach Kieler Schlüssel schon mal 558 Millionen und 2017 dann 553 Millionen. Aber danach sind die Mittel für Sachsen rasant im Sinkflug, würden 2018 nur noch 547 Millionen betragen und 2020 nur noch 535 Millionen. Denn nichts anderes heißt ja der Kieler Schlüssel: Sowohl die Bevölkerungszahl als auch die bestellten Zugkilometer fallen ins Gewicht – der Grundwert der bevölkerungsreichen Bundesländer verdoppelt sich also. Was ihre Prozentzahlen permanent ansteigen lässt.

Der Grund kann nur sein: Die ostdeutschen Verkehrsminister haben 2014 entweder alle gepennt oder durch Abwesenheit geglänzt. Denn die Verzerrung war auch schon in der Berechnung der Verkehrsministerkonferenz sichtbar: Die Prozentwerte für die westlichen Bundesländer wachsen rasant. Dafür schmilzt das ursprüngliche Zugeständnis an die ostdeutschen Bundesländer, die ja bewusst etwas höhere Anteile bekommen hatten, um ihr Struktur- und Bevölkerungsdefizit auszugleichen, rasant ab. Das Gegenteil dessen, was die Verlautbarung vom Donnerstag aussprach, ist also der Fall: Den bevölkerungsschwächeren Regionen werden jetzt die Mittel wieder weggenommen, die ihnen den Erhalt einer vernünftigen Regionalvernetzung ermöglicht haben.

Und das Herabsetzen des Ausgangsbetrages und der Dynamisierung durch Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble hat die Regelung für die ostdeutschen Bundesländer endgültig zum Negativgeschäft gemacht.

Bleibt natürlich die Frage, ob der Kieler Schlüssel, so wie ihn die Verkehrsminister 2014 beschlossen haben, auch bis zum bitteren  Ende 2030 Bestand hat, auch wenn sich die Bevölkerung anders entwickelt. Wenn das so ist, war der Beschluss der Verkehrsminister vom 1. / 2. Oktober 2014 wohl das faulste Ei, das sich die ostdeutschen Verkehrsminister legen konnten.

Leiden wird der regionale Zugverkehr. Nur zum Vergleich, wie sich die Regionalisierungsmittel für Sachsen entwickelt hätten, wenn man das aktuelle Verfahren beibehalten hätte: Sie wären zwar langsamer gestiegen, hätten aber 2018 mit 554 Millionen Euro schon mal deutlich über den Zuweisungen nach Kieler Schlüssel gelegen (547 Millionen), hätten 2010 die 563 Millionen erreicht und wären 2020 auf 589 Millionen angestiegen. Nach Kieler Schlüssel aber wird’s dann nur noch 530 Millionen für Sachsen geben – über 66 Millionen Euro weniger.

Die Zahlen bis 2030 betrachten wir gar nicht erst näher (2030 läge die Differenz bei 554 zu 673 Millionen), weil das eh schon auf Kante genähte sächsische Regionalnetz schon 2019 / 2020 heftige Finanzierungsprobleme bekommen wird.

Der Beschluss der Verkehrsministerkonferenz von 2014.

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