So langsam werden einige Akteure in der sächsischen Braunkohlepolitik nervös. Zumindest ganz unten in der Rede-Hierarchie, da, wo man sofort spürt, wenn etwas nicht stimmt - in den Kommunen. Es sind zuerst die Kommunen in der Lausitz, die Alarm melden, denn die Gewerbesteuereinnahmen gehen drastisch zurück. Grund ist das schlechte Geschäftsergebnis des wichtigsten Steuerzahlers: Vattenfall.
Boxberg geht davon aus, dass die Stadt 8 bis 9 Millionen Euro Gewerbesteuer zurückzahlen muss, in Weißwasser sind es mehr als vier Millionen. Ein Teil wird wohl 2015 noch fällig, der größere Batzen 2016. Auch im benachbarten Brandenburg – in Cottbus und Spremberg – geht man von Millionenrückzahlungen aus. Deftiger als erwartet. Denn eigentlich hatte man sich ja an zurückgehende Gewerbesteuereinnahmen aus der Kohleverstromung gewöhnt. Seit Jahren schon gehen die Gewinne des schwedischen Energiekonzerns Vattenfall zurück. 2014 hat gerade das Geschäft mit der Braunkohle ein Minus in der Bilanz bewirkt.
Was zu erwarten war, was auch Vattenfall so erwartet hatte. Nicht ohne Grund versucht man ja, seinen Kraftwerkspark samt Tagebauen in der Lausitz zu verkaufen. Als Brandenburg den Neuaufschluss des Tagebaus Welzow-Süd II beschloss, versprach es sich jährliche Steuereinnahmen von 40 Millionen Euro. So ähnlich dachte auch die sächsische Landesregierung, als sie Nochten II genehmigte – ein neues Tagebaufeld, das Vattenfall auf keinen Fall mehr aufschließen wird. Der Konzern hat die Umsiedlungsvorbereitungen gestoppt. Mit großer Sicherheit auch mit Gedanken an die Folgekosten – denn für jeden neuen Tagebauaufschluss müssen auch neue Rücklagen gebildet werden. Die Tagebaubetreiber sind gesetzlich verpflichtet, solche Rücklagen zu bilden.
Aber jetzt bezweifelt Dr. Jana Pinka, Sprecherin für Umwelt- und Ressourcenpolitik der Fraktion Die Linke im Sächsischen Landtag, dass Vattenfall überhaupt genügend Rückstellungen gebildet hat. Zumindest findet sie es seltsam, dass das zuständige sächsische Energieministerium keine Kontrolle hat über diese Gelder, die dringend für die Sanierung gebraucht werden, wenn die Tagebaue ausgekohlt sind.
Rückstellungen tatsächlich greifbar?
Jana Pinka hätte schon gern gewusst, ob das Geld tatsächlich da ist und nicht nur in den Sachanlagen der Vattenfall-Kraftwerke steckt. 2013 hatte sie schon einmal nachgefragt.
“Vattenfall muss für die späteren Sanierungskosten der Tagebaue einschließlich der übrigen Folgeschäden Geld zurücklegen. Dass diese sogenannten ‘Rückstellungen’ nicht sicher, sondern nur ‘Passivposten in der Bilanz des Unternehmens’ sind, wussten wir schon. Die sicherere Variante, sogenannte ‘Sicherheitsleistungen’, die für jede Ton- oder Sandgrube in Sachsen in Form von Bankbürgschaften oder Versicherungsbürgschaften Pflicht sind, müssen Braunkohletagebaue in Sachsen nicht leisten”, versucht Pinka das Problem zu umreißen. Und so recht mag sie nicht glauben, dass die von Vattenfall für Juni 2015 gemeldeten 1,375 Milliarden Euro an Rückstellungen tatsächlich greifbar sind. “Die Staatsregierung gibt sich zudem damit zufrieden, dass Wirtschaftsprüfer die gebildeten Rückstellungen bestätigen. Eine Diskussion über deren Verlässlichkeit findet nicht statt und wird von der Staatsregierung nach eigenem Bekunden weder angeregt noch angestellt”, sagt sie.
Was sie skeptisch macht, sind Sätze aus der Regierungsantwort wie dieser: “Von der Festlegung einer Sicherheitsleistung für die Braunkohletagebaue wurde bislang aufgrund der erfolgten Rückstellungen abgesehen.”
Und sie hat da so ihre Vermutungen, wo das Geld eigentlich steckt: “Frappierend ist, dass die Rückstellungen des Unternehmens sich nach jüngster Auskunft einer Kontrolle der Staatsregierung komplett entziehen – obwohl die Finanzverwaltung das Unternehmen mit einer ‘lückenlosen Betriebsprüfung’ überzieht. Geheimhalten will die Staatsregierung, was jeder weiß: die Rückstellungen für die Braunkohletagebaue sind die eigenen Kraftwerke und sonstigen Anlagen von Vattenfall. Die nichts mehr wert sind, wenn sie nicht mehr arbeiten – dann werden die ‘bilanziellen Rückstellungen’ zu ‘Luftbuchungen’. Nicht eingerechnet sind zudem die umweltschädlichen Subventionen für die Braunkohle, die die Erträge der Braunkohlesparte derzeit komplett verzerren.”
Und sie bezweifelt auch, dass die Höhe der Rückstellungen ausreicht, um die Tagebaurestlöcher zu sichern und für Nachnutzungen wieder instand zu setzen.
“Auch bezüglich der Höhe der Rückstellungen wurde die Staatsregierung nicht aktiv – obwohl die Sanierungskosten angesichts nicht in den Griff zu bekommender Rutschungsprobleme und Wasserqualitätsprobleme in die Höhe schnellen und auf nicht absehbare Zeit anfallen werden”, sagt Pinka. Dafür sprechen zumindest die deutlich steigenden Summen der Inanspruchnahme der Rücklagen, die Vattenfall angibt. Sie stiegen seit 2013 kontinuierlich an und sollen 2015 schon 142,7 Millionen Euro betragen. Gleichzeitig hat Vattenfall die Zuführungen für die Rücklage 2013 / 2014 deutlich erhöht.
Reales Geld – Reale Risiken
Was zumindest vermuten lässt, dass es sich eben doch um reales Geld handelt, mit dem auch reale Risiken abgefedert werden. “Der Bergbautreibende hat nun selbst die Rückstellungen erhöht, weil der Druck zu groß geworden ist”, kommentiert das Jana Pinka. “Doch hier schließt sich der Zirkel: Unsichere Rückstellungen sind auch in erhöhtem Umfang nicht sicherer und ein womöglich nicht einlösbares Versprechen. Planungssicherheit und Verlässlichkeit brauchen nicht nur die Beschäftigten in der Braunkohle und die Bergbaubetroffenen, sondern auch die öffentliche Hand – will sie nicht später auf den Kosten sitzen bleiben. Es führt kein Weg an einem geplanten und schrittweisen Ausstieg aus der Kohle vorbei.”
Die MIBRAG hat übrigens für ihren Tagebau im Leipziger Südraum Rückstellungen von knapp 130 Millionen Euro gebildet.
Der energiepolitische Sprecher der grünen Landtagsfraktion, Dr. Gerd Lippold, hatte im Juni darauf hingewiesen, dass die jetzigen Rückstellungen der beiden Bergbaukonzerne nur einen Bruchteil der künftig zu erwartenden Sanierungskosten für die Tagebaue ausmachen. Und das Problem ist eher, dass beide Regierungen – die in Sachsen und die in Brandenburg – sich immer noch weigern, ein baldiges Ende des Kohlebergbaus in der Region auch nur in Erwägung zu ziehen und die nötigen Vorkehrungen zu treffen. Der Verlust von Arbeitsplätzen und Steuereinnahmen für die Kommunen ist nur ein Teil dieser Entwicklung. Noch viel wichtiger wird die Frage: Sind die Folgekosten tatsächlich finanziell gesichert, wenn die Meiler vom Netz gehen und die Bagger verstummen?
Das kann 2040 passieren, das kann aber auch viel früher der Fall sein. Denn es wird mit jedem Jahr schwieriger, mit Kohlestrom überhaupt noch Gewinn zu erwirtschaften.
Kleine Anfrage von Jana Pinka zu Tagebau-Rückstellungen 2015.
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