Sachsens Landwirtschaftsminister sind schon seit Längerem in der Defensive. Das wissen sie auch - aber wohl nicht, wie sie das ändern sollen. Das Ergebnis: Sie gehen auch schon bei Mitteilungen über Stallbesuche in die Knie. Überschrift: "Tierproduktion sachlich beurteilen. Moderne Ställe garantieren tier- und umweltgerechte Haltung". So geschehen nach einer Bauernhofbesichtigung von Landwirtschaftsminister Thomas Schmidt am Mittwoch, 5. August.

“Die Tiere stehen heute in modernisierten oder neuen, hellen Ställen mit optimaler Lüftung“, sagte der Minister beim Besuch mehrerer landwirtschaftlicher Betriebe im Raum Chemnitz. „Die Viehwirtschaft in Sachsen ist modern und gleichzeitig tier- und umweltgerecht. Sie baut auf traditionellen Erfahrungen und aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnissen auf. 365 Tage im Jahr sorgen sich die Landwirte um das Wohl der Tiere, um deren Leistungsfähigkeit und Gesundheit zu erhalten. Unsere Landwirte handeln jeden Tag nach der Devise: Nur mit gesunden Tieren kann man hochwertige Nahrungsmittel erzeugen“.

Aber nicht nur gegen Kritiker, die die Bedingungen in der Massentierhaltung kritisieren, muss sich das Ministerium verteidigen

Augenscheinlich ist die Landwirtschaft auch eine Black Box. Die heutigen Sachsen wissen gar nicht, wie ihre Nahrung hergestellt wird. Die Leistungen der Landwirte seien in der Bevölkerung weitgehend unbekannt, erklärte Schmidt am Mittwoch. „Viele kennen die Landwirtschaft meist nur aus Negativmeldungen in den Medien oder von Bürgerinitiativen gegen neue Ställe. Unerwähnt bleibt oft, dass unsere Tierhalter sowohl beim Bau als auch beim Betrieb ihrer Ställe zahlreiche Vorschriften einhalten, die den Tier- und Umweltschutz sowie eine ordnungsgemäße Produktion von Lebensmitteln garantieren. Deren Einhaltung unterliegt der Kontrolle durch die zuständigen Behörden.“

Dass diese Kontrollen aber recht löchrig sind, das war immer wieder Thema bei den “Negativmeldungen” über einzelne Landwirtschaftsbetriebe. Ein Thema, auf das postwendend die Grünen eingingen, als sie die Schmidtsche Verteidigungsmeldung am Donnerstag lasen.

“Landwirtschaftsminister Thomas Schmidt zeigt der Presse Vorzeigebetriebe  – gerade in der Rinderhaltung”, kommentiert Wolfram Günther, landwirtschaftspolitischer Sprecher der Grünen-Fraktion , die Pressereise des Ministers. “Doch auch in Sachsen herrschen Tierhaltungsbedingungen, die dringend verändert werden müssen”, fordert der Abgeordnete. “Das geht auch aus der Antwort von Verbraucherschutzministerin Barbara Klepsch (CDU) auf meine Kleine Anfrage ‘Fachübergreifendes Kontrollkonzept für Schweine in sächsischen Großbetrieben’ hervor.”

Das passte schon gut zusammen, denn die Antwort auf seine Anfrage bekam Wolfram Günther just am 3. August. Es sind diese kleinen Anfragen an die Regierung, die das zu Tage bringen, was auch Schmidts Vorgänger bei Landwirtschaftsbesuchen eher nicht pressewirksam zeigen wollte.

“Warum zeigt der Staatsminister der Presse keine Schweine- und Geflügelanlagen, in denen kritische Bedingungen herrschen. Das würde zur ganzen Wahrheit zwingend dazugehören”, findet Günther. “Laut Antwort der für Tierschutz zuständigen Ministerin Klepsch deckte allein eine stichprobenartige Überprüfung nach dem neuen verbesserten Kontrollsystem an drei Tagen im März und April in den Landkreisen Zwickau, Nordsachsen und Vogtlandkreis zahlreiche Missstände auf.”

So heißt es in der Antwort von Ministerin Klepsch auf Frage 4 wörtlich: “Bei allen Kontrollen wurden Verstöße festgestellt. Es wurden Anordnungsbescheide erlassen, Ordnungswidrigkeitsverfahren durchgeführt und Bußgeldbescheide erlassen, außerdem wurde eine Strafanzeige aufgrund einer nicht ausreichenden Betäubung bei einer Ferkeltötung gestellt. (…) Angeordnet wurden Umbaumaßnahmen aufgrund zu enger Kastenstände in Besamungsställen und zerschlissener Spaltenböden und um Vorgaben zur Gruppenhaltung zu erfüllen. In einer Anlage wurde die Weiternutzung eines Großteils derzeit leer stehender Stallanlagen untersagt. Außerdem wurden Anordnungen getroffen, damit kranke und verletzte Tiere ordnungsgemäß versorgt werden. (…) Bei allen Betrieben wurden mehrere Nachkontrollen durch die Lebensmittelüberwachungs- und Veterinärämter durchgeführt. Der Großteil der Mängel wurde bereits abgestellt. Die erforderlichen Baumaßnahmen werden derzeit durchgeführt. Weitere Nachkontrollen sind geplant. (…) Ergebnis der Auswertung dieser Kontrollen ist, dass bei Betrieben mit einer hohen Risikobewertung eine erweiterte Teamkontrolle erforderlich ist, um die Verstöße gerichtsfest dokumentieren zu können.”

Natürlich ist Schmidt eigentlich in Erklärungsnot und versucht die Landwirtschaftspolitik des Freistaats zu begründen

Der Freistaat Sachsen hat die sächsischen Tierhalter zwischen 2007 und 2013 über die Förderrichtlinie „Land- und Ernährungswirtschaft“ mit rund 241 Millionen Euro bei Investitionen unterstützt. Mehr als 1.200 Maßnahmen in den Betrieben mit einem Zuschussvolumen von insgesamt 191 Millionen Euro hätten der Modernisierung oder dem Neubau von Ställen gedient.

„In allen Fällen haben sich die Bedingungen verbessert, für die Tiere und für die Umwelt. Das ist eine Voraussetzung für die Förderung“, sagte Thomas Schmidt am Mittwoch. Der Großteil der Fördermittel floss in die Rinderhaltung (47 Prozent). Etwa ein Fünftel erhielten Geflügelhalter – unter anderem im Zusammenhang mit der Aufgabe der Käfighaltung – und elf Prozent ging in die Schweinehaltung. „Die landwirtschaftlichen Betriebe sollen auch in Zukunft konkurrenzfähig sein und gesunde Lebensmittel produzieren“, bezeichnet Schmidt den Spagat, auch wenn er ihn so nicht benennt. Denn gesunde Lebensmittel sind nicht immer konkurrenzfähig, konkurrenzfähige Lebensmittel nicht immer gesund.

Nur hat der Freistaat dafür noch keine Balance gefunden und fördert weiter den Ausbau der Massentierhaltung: „Deshalb werden wir unsere Tierhalter auch weiterhin bei der Investition in moderne Ställe unterstützen.“ 36 Millionen Euro stünden dafür in diesem Jahr bereit, so Schmidt, bis 2020 seien es insgesamt 202 Millionen Euro. Das ist eine Politik, die nicht auf eine Veränderung drängt, obwohl sie selbst wirtschaftlich auf der Tagesordnung steht, denn auch die sächsischen Milchviehhalter tragen mit ihrer forcierten Erhöhung der Milchproduktion zum ruinösen Wettbewerb in der europäischen Milchwirtschaft bei.

Rund zwei Drittel der landwirtschaftlichen Betriebe in Sachsen halten Tiere. Im Bundesvergleich sei der Viehbestand niedrig, rechnet das Ministerium vor. So liege der Viehbesatz bezogen auf die landwirtschaftliche Nutzfläche in Sachsen bei 0,56 Großvieheinheiten pro Hektar, deutschlandweit seien es etwa 0,8.

Und Sachsen sei sogar Importland für landwirtschaftliche Produkte: Der Selbstversorgungsgrad mit Schweinefleisch in Sachsen liege bei etwa 40 Prozent, bei Rindfleisch sind es 66 Prozent. Das heißt: Nur ein reichliches Drittel des Schweinefleisches und rund zwei Drittel des Rindfleisches, das die Sachsen verbrauchen, werden rein rechnerisch auch in Sachsen erzeugt. Der Rest käme aus anderen Bundesländern oder dem Ausland.

Natürlich ist Sachsen nicht als großes Fleischzuchtland bekannt

Das weiß man eigentlich im Ministerium auch. Sachsens Agrarbetriebe haben sich vielmehr auf die Erzeugung von Milch und Eiern spezialisiert. Und da ist Sachsen eindeutig Exportland.

In Sachsen erzeugen rund 190.000 Milchkühe in knapp 1.400 Haltungen pro Jahr etwa 1,7 Millionen Tonnen Milch. Die Leistung der sächsischen Kühe betrug 2014 nach den Ergebnissen der Milchleistungsprüfung 9.271 Kilogramm Milch je Kuh und Jahr. Damit gehören die sächsischen Kühe zu den leistungsfähigsten in Deutschland.

1,7 Millionen Tonnen Milch, das sind ungefähr 1.700.000.000 Liter Milch – 419 Liter pro Einwohner. Jeder Sachse müsste also jeden Tag 1,5 Liter Milch in flüssiger oder verarbeiteter Form verbrauchen. Ein Unding. Der Durchschnittsverbrauch der Bundesbürger beträgt rund 120 Liter Milch und Milchprodukte pro Jahr.

In gewisser Weise ist es schon irreführend, die niedrigeren Schlachteraten und in Sachen Milch nur die reine Produktionsmenge zu nennen, ohne Sachsen als wichtiges Milchexportland sichtbar zu machen.

Und auch mit der Fleischerzeugung ist das nicht ganz so einfach, wie es das Ministerium darstellt

Denn auch hier haben sich die Züchter spezialisiert: Mehr als 900 landwirtschaftliche Betriebe halten gegenwärtig rund 679.000 Schweine. Einen hohen Stellenwert hat dabei in Sachsen die Ferkelerzeugung, betont selbst das Ministerium, das heißt: Die Halter ziehen im Rekordtempo Ferkel groß, die dann nach Erreichung des Mindestgewichts an die Mastbetriebe in anderen Bundesländern abgegeben werden. Die Tiere werden also größtenteils nicht in Sachsen geschlachtet, sondern für Mast und Schlachtung nur aufgezogen. Womit sich die nach Bundesländern geführte Landwirtschaftsstatistik geradezu ad absurdum führt und auch zu absurden Aussagen führt.

Und dass auch schon in der Ferkelhaltung Probleme auftauchen, fassen die Grünen so zusammen: “Für Mastschweine mit einem Körpergewicht von über 50 bis 110 kg ist eine Mindestbodenfläche von lediglich 0,75 Quadratmeter pro Schwein vorgesehen, für Schweine mit einem Gewicht von über 110 kg eine Fläche von einem Quadratmeter. Enge führt aber zu Bewegungsmangel und einem geschwächten Immunsystem. Daher wird routinemäßig Antibiotika verabreicht, um das Infektionsrisiko zu senken. Diese gelangen über Nahrungsmittel und Grundwasser auch zum Menschen. Weitere Folge auch des häufigen Fehlens von veränderbaren und wechselnden Beschäftigungsmaterialien sind Verhaltensstörungen wie Schwanz- und Ohrenbeißen, die sich bis hin zum Kannibalismus entwickeln können. Als prophylaktische Gegenmaßnahme werden den Schweinen im Ferkelalter ohne Betäubung die Schwänze gekürzt. Muttersauen werden in Kastenständen gehalten, die nur knapp größer sind, als sie selbst. Sauen haben im Wurf oft mehr Ferkel, als sie selber säugen können. Überzählige werden getötet, der Vorwurf steht im Raum, dass sie zum Teil ohne Betäubung einfach im Stall erschlagen werden.”

Verständlich also, wenn Wolfram Günther mehr und bessere Kontrollen in der sächsischen Tierhaltung fordert.

Antwort von Verbraucherschutzministerin Barbara Klepsch (CDU) auf die Kleine Anfrage des Abgeordneten Wolfram Günther “Fachübergreifendes Kontrollkonzept für Schweine in sächsischen Großbetrieben” (Drs 6/2159).

So können Sie die Berichterstattung der Leipziger Zeitung unterstützen:

Ralf Julke über einen freien Förderbetrag senden.
oder

Keine Kommentare bisher

Schreiben Sie einen Kommentar