Es ist nicht immer leicht, Banken zu verstehen. Erst recht, wenn es um Digitalisierung und Internet geht. Was nicht dasselbe ist. Aber da geht es eigentlich schon los, wenn die Commerzbank jetzt zu einer neuen Studie meldet: "Sächsischer Mittelstand setzt auf Effizienzsteigerung durch Digitalisierung". Was haben die da nur abgefragt? Und bei wem eigentlich?
Letzteres wird zumindest deutlicher, wenn man sieht, dass Mittelstand in der Definition der Commerzbank bei 2,5 Millionen Euro Jahresumsatz beginnt. Da gehören über 90 Prozent der sächsischen Unternehmen nicht dazu. Dafür haben in diesen Unternehmen in der Regel auch keine Eigentümer das Sagen, sondern angestellte Manager. Das verändert die Sicht auf die Welt. Und es erklärt eine Menge von dem, was die Studienersteller aus ihrer Befragung herausgelesen haben – mal abgesehen davon, dass Digitalisierung, Internet und Social Media bunt durcheinander gewürfelt werden.
Da kommt dann zum Beispiel so ein Satz heraus: “Die Mehrheit der Unternehmen in Sachsen hat die Chancen der Digitalisierung zwar erkannt, verhält sich aber eher abwartend”.
Wie digitalisiert sind die Unternehmen eigentlich heute schon?
Mal ganz davon zu schweigen, dass gar nicht abgefragt wurde, wie der Digitalisierungsstand in den Unternehmen heute schon ist. Man diskutiert ja nicht mehr über den simplen Internetzugang, der heute im Prinzip niemandem mehr weiterhilft, sondern über Breitbandzugänge, die schnellen und voluminösen Datenaustausch ermöglichen.
Trotzdem hat TNS Emnid dann so eine Suggestivfrage gestellt wie: “Die zunehmende Digitalisierung … steht beim Mittelstand hinreichend auf der Agenda.” 67 Prozent der 199 in Sachsen befragten Unternehmer meinte, sie stünde nicht ausreichend auf der Agenda des Mittelstandes.
Haben die verantwortlichen Manager wirklich so ein schlechtes Bild von sich? Oder schließen die 199 Befragten von sich auf Andere?
“67 Prozent der Befragten räumen durchaus selbstkritisch ein, dass der Mittelstand das Thema Digitalisierung derzeit noch eher vernachlässige. Zwei Drittel der Befragten bewegen sich nach eigenem Bekunden in Märkten, die durch ausgereifte Produkte und Dienstleistungen, starken Verdrängungswettbewerb und immer kürzere Produkt- und Innovationszyklen gekennzeichnet sind. Wichtige Herausforderungen sind aus Sicht der Unternehmer in dieser Situation eher Produktivitätssteigerung und Kostenreduktion (von 49 bzw. 48 Prozent der Befragten genannt) als die Entwicklung von Produkt- und Dienstleistungsinnovationen (36 Prozent) oder die Erschließung neuer Vertriebswege (35 Prozent)”, schlussfolgert die Commerzbank aus der Studie.
Der Blick ins Detail zeigt etwas anderes: Nämlich sehr aufmerksame Unternehmer, die ihr Marktumfeld genau beobachten (81 Prozent), aber nicht jeden Modetrend mitmachen, weil die meisten der so genannten Innovationen eben doch Flops sind, kurzfristige Moden oder reines Marketing.
Welche Innovation ist überhaupt die richtige?
Was dann sichtbar wird, wenn die Bank versucht zu definieren, was sie nun eigentlich unter Digitalisierung versteht: “Zurückhaltend agiert die Mehrheit der Unternehmen in Deutschland, wenn es um aktuell viel diskutierte Phänomene wie Big Data, Cloud Computing oder Industrie 4.0 geht, während bereits etablierten digitalen Technologien große Bedeutung zugemessen wird.”
Ja und? Nichts ist normaler. Und von Big Data profitieren einige Wenige – jene nämlich, die mit den Daten der Anderen Geld verdienen. Die meisten Unternehmen aber tun gut daran, ihre Daten erst gar nicht zu gefährden. Und “Industrie 4.0” ist ein Lieblingsprojekt der Bundesregierung, mit dem die Selbststeuerungsfähigkeit von Produktionsprozessen (Stichworte: intelligente Fabrik, aber auch das “Internet der Dinge” gehören hierher) weiter forciert werden soll. Aber nach vier Jahren Affenzirkus ist das Projekt immer noch eine bunte Blase der Bundesregierung – die Industrie hält sich da lieber zurück. Denn die Investitionskosten sind gewaltig und es ist auch noch längst nicht geklärt, dass eine noch größere Wandlungsfähigkeit der Fertigungstechnik nicht zum Bumerang wird. Mal abgesehen davon, ob diese Investition sich überhaupt rechnet. Bis jetzt tut sie das nicht. Was in Pilotprojekten funktioniert, hat noch lange nicht die Stufe der Refinanzierung erreicht. Und jedes Jahr eine neue Neuerung?
Es ist überhaupt nicht überraschend, dass die befragten 4.000 Unternehmen aus Deutschland gerade hinter die bunten Seifenblasen, mit denen jetzt wieder die Politik so tut, als könnte sie der Industrie die Zukunft zeigen, fette Fragezeichen gesetzt hat – ganz vorneweg “Industrie 4.0”, “Crowdsourcing” und “Internet der Dinge”.
Was hat Online-Marketing mit Digitalisierung zu tun?
Crowdsourcing ist nun einmal genauso wenig ein Thema für den Mittelstand (der für gewöhnlich bei verlässlichen Banken immer Kredit bekommt) wie “Share Economy”. In mancher Weise weckt die Befragung das Misstrauen: Wussten die Befrager eigentlich, wen sie da befragten? Und wussten sie überhaupt, wonach sie fragten?
Denn ein Großteil des Abgefragten wird in einem normalen Unternehmen heute unter Kommunikation abgehakt – aber ganz bestimmt nicht unter Digitalisierung.
Oder mal Ilona Schmitt, Niederlassungsleiterin Mittelstand Leipzig der Commerzbank AG zitiert, die am Dienstag, 7. Juli, die Studie „Management im Wandel: Digitaler, effizienter, flexibler!“ in Leipzig vorstellte: “Unternehmen setzen selbstverständlich auf Online-Marketing, optimieren die Administration, ermöglichen Arbeiten aus dem Home-Office oder bieten Online-Services an. Individualisierte und automatisierte Produktion oder die Vernetzung der Wertschöpfungskette sind dagegen erst bei wenigen Firmen in der Umsetzung.”
Was wohl auch einfach daran liegen könnte, dass nur ein kleiner Teil der Unternehmen auch zum produzierenden Gewerbe gehört. Heißt im Klartext: Für eine ordentliche Studie hätte es sich gehört, die befragten Branchen auch nach ihrer Branchenzugehörigkeit zu sortieren. Dann wäre wohl auch der Unfug in der Auswertung nicht passiert, der ostdeutschen Unternehmen eine Abwarteposition attestiert, als hätten sie noch gar nicht begriffen, was sich da gerade tut.
Wenn die Bundeskanzlerin auf Risiko spielt, muss das dann auch der Mittelstand?
Und die Befragten wissen augenscheinlich ganz genau, dass nicht die aktuellen Hypes und “Neuland”-Entdeckung der Bundesregierung wichtig sind. Im Gegenteil: Gerade dann werden kluge Unternehmer ganz misstrauisch.
Denn wer seine Datennetze öffnet, begibt sich in eine Situation, in der er entweder alles riskiert und sehr viel Geld in Sicherheit investieren muss.
Das zumindest hat man auch bei der Commerzbank gemerkt: “Die größten Herausforderungen für die Unternehmen liegen der Studie zufolge in der Komplexität und der Geschwindigkeit der technischen Entwicklung (52 Prozent), im hohen Investitionsbedarf (50 Prozent), in Datenschutz-Fragen (49 Prozent) und im Fehlen verlässlicher Standards (42 Prozent) – all das führt dazu, dass sich viele Unternehmen in Bezug auf die Digitalisierung erst einmal abwartend verhalten.”
Und das alles sind Sorgen, die ja nicht neu sind, sondern die Unternehmer schon seit 15 Jahren beschäftigen. Eine Vorsicht, die sich für die meisten bezahlt gemacht hat. Und die auch den Blick dafür geschärft hat, dass Digitalisierung eben meist nicht das ist, was die Bundeskanzlerin gerade dafür hält.
Ein Traumbild für Banken: Der immer schneller rotierende Unternehmer?
Aber die Commerzbank schmiedet sich aus dem Ergebnis der Befragung (die eben doch wieder keine belastbare Studie ist) die eigene Sicht auf diese seltsame Mittelständler-Welt: “Die hohe Komplexität der digitalen Transformation bewirkt, dass sich Unternehmen in Sachsen in der Breite eher reaktiv verhalten. In sich schnell verändernden Märkten kann das gefährlich sein – immerhin berichten 27 Prozent der Befragten davon, dass sich Schlüsseltechnologien in ihrer Branche im Umbruch befinden, und 20 Prozent, dass die Digitalisierung bewährte Geschäftsmodelle bedroht.”
Aber die Commerzbank möchte irgendwie so eine Art Silicon-Valley-Stimmung herbeifiltern.
“Der Einzug der digitalen Technologien bietet große Chancen, ist aber auch eine gewaltige Managementaufgabe, weil Entscheidungen schnell getroffen werden müssen und es sich heftig rächt, beim entscheidenden Trend den Anschluss zu verpassen. Mit der Komplexität des digitalen Wandels umzugehen, ist eine der wesentlichen Herausforderungen für Manager“, kommentierte Schmitt.
Auch im Osten hat man das entdeckt, was die Studie dann kess “Digitale Vorreiter” nennt: “Immerhin 42 Prozent der Unternehmen erwarten für die nächsten fünf Jahre generell substanzielles Wachstum. Bereits jedes siebte sächsische Unternehmen (14 Prozent) zählt schon heute zu den digitalen Vorreitern.”
„Das sind Unternehmen, die schon heute überdurchschnittlich stark und erfolgreich auf neue Trends der Digitalisierung setzen, zum Beispiel, um Wertschöpfungsketten zu vernetzen oder um ihre Produkte zu individualisieren. Diese Vorreiter gibt es in allen Branchen und unabhängig von der Unternehmensgröße oder dem Alter der Manager“, erklärte Ilona Schmitt.
Der Osten hat genauso viele Pioniere wie der Westen
Und dann wird’s ganz forsch: “Sie warten nicht ab, sondern setzen auf Innovation und Ausprobieren, um sich in engen Märkten einen Vorsprung zu verschaffen. Signifikant häufiger als der Durchschnitt der Unternehmen starten sie Pilotprojekte (+28 Prozentpunkte gegenüber dem Durchschnitt), analysieren das Potenzial möglicher neuer Produkte, statt sich nur am Marktumfeld zu orientieren (+26 Prozentpunkte), schaffen kreative Freiräume (+25 Prozentpunkte) und stellen technische Spezialisten ein (+24 Prozentpunkte).”
Wie gesagt: Eine Analyse zu den befragten Branchen gibt es nicht. Denn für diese Spiele – wen wundert es – braucht man Geld, frei verfügbare Kapazitäten, Forschungskapazitäten sowieso. Nur so gibt es “Pilotprojekte”, “neue Produkte”, “kreative Freiräume” und Beschäftigung für “technische Spezialisten”.
So betrachtet ist es erstaunlich, dass 14 Prozent der sächsischen Mittelständler bei der digitalen Innovation mithalten können, der Bundesdurchschnitt liegt auch nur bei 15. Und deutlich höher ist er auch nur in den Metropolen – womit auch wieder deutlich wird, welche Rolle die großen Städte als Innvovationsmotoren spielen.
„Mut zum Ausprobieren ist das beste Rezept, um den digitalen Wandel im Unternehmen erfolgreich zu managen“, meint Schmitt.
Nein, nicht wirklich. Es geht nicht um noch mehr Risiko, sondern um die schlichten Grundlagen für mehr Innovation (von der einfach schnurzegal ist, ob sie digital, analog oder komplex ist): Forschungskapazitäten, Forschungsgelder, Investitionskapital. Alles nicht so dolle reich gesät im Osten, wovon die Unternehmen, die weniger als 2,5 Millionen Euro Jahresumsatz haben, erst recht ein Lied singen können.
Keine Kommentare bisher