Seit Monaten tobt nun der Kampf gegen die von Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel geplante Klimaabgabe für alte Kohlekraftwerke. Ein Kampf, der besonders heftig geführt wird, weil nicht nur einzelne Kraftwerksbetreiber und die Gewerkschaft IG BCE miteinander auf Schulterschluss sind. Auch der finanzstarke Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) mischt mit. Gemeinsam mit der IG BCE hat er jetzt eine Studie beauftragt - in London.
Frontier Economics Ltd. heißt das Beratungsunternehmen, das sich auf Seiten von Geschäftskunden genauso gern umtut wie auf der von Behörden. BDI und IG BCE haben die Beraterfirma speziell beauftragt, die Kosten der Gabrielschen Klimaabgabe zu berechnen und gleiches für die alternativen Vorschläge eines Ausbaus der Kraft-Wärme-Kopplung (KWK) und der mittlerweile heiß diskutierten Kraftwerksreserve zu tun. Der Vorschlag der IG BCE liegt ja seit ein paar Wochen auf dem Tisch: Statt die alten Kohlemeiler abzuschalten, sollen sie in eine nationale Kraftwerksreserve überführt werden und quasi zur Wiederaufnahme des Betriebs bereit stehen, falls die erneuerbaren Energien das Projekt Energiewende doch nicht schaffen.
Das gibt es aber nicht für Nasse, denn auch ein Kraftwerk in Reserve muss gewartet werden. Das kostet Geld. Und das ist ganz gewiss der Pluspunkt an der Analyse, die Frontier Economics jetzt vorgenommen hat: Jetzt stehen ein paar Zahlen im Raum, was der Vorschlag einer (Kohle-)Kraftwerksreserve eigentlich kosten würde.
„Die Ergebnisse zeigen, dass effektiver Klimaschutz Verbraucher und Wirtschaft nicht unnötig belasten muss“, meint BDI-Präsident Ulrich Grillo. „Die Umsetzung der Vorschläge der IG BCE verhindert, anders als der Klimabeitrag, kostspielige Strukturbrüche und den Abbau von Arbeitsplätzen.“
„Unsere Vorschläge sorgen für Transparenz und Planungssicherheit für die Beschäftigten, die Unternehmen und die Regionen“, findet auch Michael Vassiliadis, Vorsitzender der IG BCE. Das stehe nicht im Widerspruch, sondern sei eine Bedingung für nachhaltigen Klimaschutz. „Ziel muss sein, CO2-Emissionen möglichst effektiv, kosteneffizient und sozialverträglich für Beschäftige wie Industrie zu senken.“
Gabriels Klimaabgabe mal berechnet – mit großen Auslassungen
Aber das ist mutig gesagt. Denn die scheinbar niedrigeren Zahlen ergeben sich nur, wenn man die Grundannahmen zu den Kosten der Klimaabgabe so akzeptiert, wie sie Frontier Economics angenommen hat. Immerhin satte 4,3 Milliarden Euro.
In der Einschätzung der Gewerkschaft BCE liest sich das so: “Die Gutachter haben ausgerechnet, dass das politische Minderungsziel um weitere 22 Millionen Tonnen CO2 durch alternative Maßnahmen zu Kosten von rund 1,1 Milliarden Euro im Jahr 2020 möglich wäre. Dagegen würde der Klimabeitrag des Ministeriums für die Verbraucher Mehrkosten von 4,3 Milliarden Euro 2020 bedeuten – und wäre damit fast viermal so teuer. Die Maßnahmen, eine Kapazitätsreserve für Versorgungssicherheit und Klimaschutz einzuführen sowie die Kraft-Wärme-Kopplung stärker auszubauen, hatte die IG BCE vorgeschlagen.”
Stimmen aber die 4,3 Milliarden Euro? – Da wird es schwierig.
Denn in ihrer speziellen Untersuchung gehen die Rechner von Frontier Economics von zwei unterschiedlichen Marktmodellen aus – und vermengen sie einfach. Das eine ist ein in sich geschlossener deutscher Markt, in dem die Strompreise sofort anziehen würden, wenn man auf einen Schlag Kohlekraftwerke in der Größenordnung von 11,2 Gigawatt vom Netz nehmen würde. Die Klimaabgabe würde dazu führen, dass die meisten Braunkohlekraftwerke in der Lausitz und in NRW die Produktionskosten so weit überschreiten würden, dass man sie aus rationalen Gründen vom Netz nehmen müsste. Auch Frontier Ecomocis benennt dabei den in letzter Zeit oft beschworenen “Dominoeffekt”: Wenn weniger Kraftwerke an einem Tagebau hängen, müssen sie die Festkosten der Kohleförderung übernehmen – ihre Produktionskosten steigen und auch sie werden unwirtschaftlich.
Das Rechenmodell ist voller Löcher
Schwierig wird es, wenn Frontiers Economics einfach behauptet: “Kommt es durch die Klimaabgabe zu Stilllegungen von ca. 11,2 GW an Braunkohlekapazität, erwarten wir auf Basis unserer Strommarktmodellierung durch das neue Klimainstrument einen Strompreisauftrieb von bis zu 10,5 €/MWh im Vergleich zu den simulierten Strompreisen in der Referenz im Jahr 2020 – dies entspricht einem Aufschlag von rund 30% auf den heutigen Großhandelspreis.”
Unter anderem führen die Autoren den Verlust von Erzeugerkapazitäten als Grund dafür an: “Erzeugungseinschränkungen und Stilllegung bei Braunkohlekraftwerken. An Stelle dieser Anlagen nimmt die Stromerzeugung aus teurerer Steinkohle und aus teurerem Erdgas (im In- und Ausland) zu und wird häufiger relevant für die Preissetzung.”
Das ist die Stelle, an der man einfach negiert, dass nicht nur Deutschland, Österreich, die Niederlande und Frankreich einen eng verflochtenen Strommarkt haben. Der gesamte freie Strom aus Europa wird längst an der Strombörse gehandelt. Nicht die Entstehungskosten für Strom in Steinkohle- und anderen Kraftwerken bilden dort die Grundlage für die Preisbildung, sondern die verfügbaren Mengen an Strom – egal, woher sie kommen. Die Stromerlöse an der Börse dienen auch zur Finanzierung der EEG-Vergütung. Was in Deutschland zu dem Effekt führt, dass die EEG-Umlage für die Bürger steigt, wenn der Strompreis an der Börse sinkt.
Der Zertifikatehandel existiert praktisch nicht
Auf die EEG-Umlage sind aber die Rechner von Frontier Analytics gar nicht eingegangen. Auf die fehlende Anpassung der CO2-Kontingente schon – denn nicht nur der BDI hat ja in Deutschland heftig Politik gegen eine Beschränkung der CO2-Emissionsrechte gemacht. Andere Wirtschaftsverbände haben das Projekt ebenso ausgebremst, was tatsächlich dazu geführt hat, dass die Bundesrepublik mit der Energiewende ganz allein da steht in Europa. Denn warum sollten andere Länder ihre Energieerzeugung modernisieren, wenn es CO2-Zertifikate für einen Apfel und ein Ei gibt und in Masse?
Und ebenso von Frontier Economocs nicht berücksichtigt ist der weitere Ausbau der erneuerbaren Energien in Deutschland. Selbst Vattenfall, das ja derzeit in der Lausitz unter Beschuss steht, investiert seit ein paar Jahren verstärkt in KwK-Anlagen und Windparks. Tatsächlich könnten die ersten Kohlekraftwerke wirklich vom Netz gehen. Aber das möchten sich die Kraftwerksbetreiber gern versüßen lassen – oder abfedern – indem ein Teil der Kraftwerke in den nächsten Jahren in eine Reserve verwandelt wird – und zwar im ersten Schritt in keine, die aus dem Markt verschwindet. Sie sollen sogar weiterarbeiten: Die Erfinder dieses Modells stellen sich vor, dass die Kraftwerke quasi für den regionalen Bedarf produzieren, aber ihren Strom nicht (mehr) an der Strombörse verkaufen dürfen.
Wie das getrennt werden soll, ist ein Rätsel, denn wenn ein Kraftwerk läuft, füllt es das Netz mit Strom. Was dann andere Anbieter dazu zwingt, ihren Strom nicht in der Region zu verkaufen, sondern an der Strombörse.
Das wäre dann so eine Art Absatzgarantie. Die Marktwirtschaft lässt grüßen.
Klimabeitrag als Störfaktor?
Der Vorschlag, den BDI und IG BCE hier vorlegen, ist noch viel vertrackter als der Vorschlag des Wirtschaftsministers. In gewisser Weise verschafft er einigen Kraftwerken (ungefähr der Hälfte) bis 2020 noch so eine Art Sicherheit, weil praktisch der Staat (und damit der Steuerzahler) mit 878 Millionen bis zu 1,6 Milliarden Euro pro Jahr die vorgehaltene Kraftwerksreserve finanziert (und damit indirekt Strom aus Kohle subventioniert – das Wort darf an dieser Stelle nicht fehlen).
Wenn man die sehr fragwürdige Berechnung der Kosten der Klimaabgabe dagegen stellt, klingt das wenig.
Aber die Folgekostenabschätzung von 4,3 Milliarden Euro für die Klimaabgabe ist – siehe oben – sehr fragwürdig.
Und ebenso fragwürdig ist, was dann auch noch BDI-Präsident Ulrich Grillo meint: “Der Klimabeitrag würde Investoren verunsichern und zum dauerhaften Störfaktor des Europäischen Emissionshandels.”
Der Europäische Emissionshandel ist quasi nichtexistent. Die Preise für die CO2-Zertifikate sind im Keller. Die Leipziger Stadtwerke sitzen auf Bergen von Zertifikaten seit 2008 – und veranschlagen sie nur noch mit einem Nennwert von 1 Euro je Tonne.
Das Modell der deutschen Energiewende wurde von allen Seiten zerschossen. Wären die Preise für CO2 da, wo sie nach den ursprünglichen Vorstellungen der EU eigentlich längst hätten sein müssen, dann wären die Kraftwerke, die Gabriel jetzt vom Netz haben möchte, schon lange Geschichte.
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