Man kann eigentlich jetzt schon Wetten darauf abschließen, dass Sachsens Finanzminister auch 2015 und 2016 mit breiter Brust erklären wird, dass er sich bei der letzten Steuerschätzung wieder gründlich verrechnet hat. Nach unten, wie gehabt. Und es werden ein paar hundert Millionen Euro mehr auf der Einnahmeseite stehen, als er es ein halbes Jahr zuvor noch vermeldet hat. Sachsens Wirtschaft ist seit 2011 im Aufwind.
Und im sächsischen Landesamt für Statistik bringt das regelmäßig solche Meldungen zu Tage: “Konjunktur in Sachsen 2014: 55,0 Milliarden Euro Industrieumsatz – Arbeitslosenquote 8,8 Prozent – Jahresteuerungsrate 0,9 Prozent”.
Der Normalsterbliche kann mit solchen Zahlen natürlich wenig anfangen, außer dass er sieht, dass die Arbeitslosenquote relativ niedrig ist, wenn man bedenkt, dass das auch sachsenweit mal über 10 und 15 Prozent waren. Oder dass die Teuerungsrate mit 0,9 Prozent recht niedrig ist. Was aber vor allem am niedrigen Ölpreis lag.
Aber was bedeutet so eine Aussage: “Rund 55,0 Milliarden Euro Gesamtumsatz hat die Industrie im Jahr 2014 erbracht, das waren 6,2 Prozent mehr als ein Jahr zuvor. Das Inlandsgeschäft legte dabei um 3,5 Prozent zu, die Exporte stiegen um 10,4 Prozent. Die Exportquote, d.h. der Anteil des Auslandsumsatzes am Gesamtumsatz, kletterte auf 40,0 Prozent (Vorjahr: 38,5 Prozent). Das Bauhauptgewerbe wies im Jahresvergleich 2014/2013 eine leichte Zunahme des Gesamtumsatzes von 0,8 Prozent auf 4,2 Milliarden Euro aus. Dabei erhöhte sich das Ergebnis im Hochbau um 1,1 Prozent und im Tiefbau um 0,3 Prozent.”
Industriezahlen melden die Landesstatistiker besonders gern. Das ist noch immer die Vorzeigebranche, wenn der Freistaat sich als innovativ und wettbewerbsfähig darstellen will.
Aber was bedeuten 55 Milliarden Euro Umsatz eigentlich?
Erst einmal ist es nur eine Menge Geld. Und der starke Anstieg um 6,2 Prozent bei der Industrie hat wahrscheinlich eine Menge mit dem niedrigen Wechselkurs des Euro zu tun. Die Finanzmarktkrise im Allgemeinen und die Griechenlandkrise und die Politik der EZB im Besonderen haben Folgen: Sie sorgen dafür, dass die Exporterlöse der deutschen Industrie auf den Weltmärkten nominal steigen. Dafür steht auch der besonders starke Anstieg bei den Exporterlösen um 10,4 Prozent. Auch Sachsens Wirtschaft profitiert vom niedrigen Wechselkurs des Euro.
Was übrigens ein Grund dafür ist, dass der deutsche Finanzminister so besessen ist vom sogenannten “Rettungspaket” für die Griechen, das ja bekanntlich keines ist, sondern ein Strangulationsprogramm für die griechische Wirtschaft. Es sind nicht mal die Populisten in Europa, die als Erste angefangen haben, wieder nationalistisch kleinkariert zu denken – es sind die Finanzminister.
Dumm nur, dass diese Strategie mittelfristig die Auslandsmärkte zerstört
Worauf ja das sächsische Landesamt für Statistik am 4. März schon einmal gar nicht so beiläufig hinwies: “Dabei konzentrieren sich die Firmen des Freistaates immer mehr in den asiatischen Raum. Während sich die Exporte nach Europa um acht Prozent erhöhten, nahmen die Lieferungen nach Asien um 30 Prozent zu. Noch geht etwas mehr als die Hälfte aller Exporte in europäische Länder (18,8 Milliarden Euro), aber der Anteil Asiens beträgt inzwischen fast ein Drittel (11,6 Milliarden Euro). China ist seit sechs Jahren der weltweit größte Handelspartner Sachsens mit einem Exportvolumen von 6,4 Milliarden Euro im Jahr 2014 (Anstieg um 36 Prozent).” Und mit Europa ist dabei nicht der Süden Europas gemeint, sondern vorrangig der benachbarte europäische Osten.
Die Rolle der sächsischen Dienstleistungsunternehmen
Aber auch die Fixierung auf die Industrie allein schafft kein klares Bild. Sie ist ja nur der kleine, derzeit gerade leistungsstarke Motor des Ganzen.
Die eigentlich tragende Wirtschaft des Freistaats ist die Dienstleistung.
“So betrug der Anteil der Dienstleistungsbereiche an der gesamten Bruttowertschöpfung (in jeweiligen Preisen) Sachsens im Jahre 2013 erneut 68,3 Prozent”, schrieben die Statistiker in Kamenz in der Auswertung des Wirtschaftsjahres 2013. Das hat sich 2014 nicht geändert.
Die Bruttowertschöpfung betrug übrigens 99 Milliarden Euro. Nicht zu verwechseln mit Umsatz: Der Umsatz liegt in der Regel doppelt so hoch.
Das ist das, was übrig bleibt, wenn man die Vorleistungen (alles, was man kaufen und bezahlen musste, um überhaupt erst mal arbeiten zu können) vom Gesamtumsatz abzieht. Die 55 Milliarden Euro Umsatz in der Industrie entsprechen also rund 29 Milliarden Euro Bruttowertschöpfung.
Zum Vergleich: Die Dienstleistung hat 2013 über 60 Milliarden Euro an Bruttowertschöpfung erzielt. Der Handel wird mit zur Dienstleistung gezählt, schafft aber mit 15 Milliarden Euro Bruttowertschöpfung nur etwa halb so viel wie die Industrie.
Welche Rolle der öffentliche Dienst (samt Gesundheitswesen) als Wirtschaftsbereich spielt, wird sichtbar, wenn man die dort erwirtschafteten 25 Milliarden Euro sieht. Das ist ein Viertel der sächsischen Wirtschaftsleistung. Man kann den Staat und seine Dienstleistungen aus modernen Nationalwirtschaften nicht herausoperieren oder auch nur Stücke herausschneiden, wie es die Troika in Griechenland praktiziert, wenn man nicht das ganze System in Grund und Boden fahren will. Dazu sind auch die Verknüpfungen der staatlichen Dienstleistungen mit allen anderen Wirtschaftsbereichen viel zu eng: Alles ist mit Allem aufs Engste vernetzt.
Noch profitiert Sachsen von dieser sturen und kleinkarierten Haltung der europäischen Finanzelite.
Aber schon der Hinweis auf China zeigt, dass sich die Auswahl der Absatzmärkte für sächsische Unternehmen deutlich eingeengt hat, seit es in Südeuropa und in der Ukraine derart ans Eingemachte geht und auch wichtige Abnehmerländer wie Frankreich und Italien in der Krise stecken. Die Art, wie die Finanzminister Europas gerade Feuerwehr spielen, ist nicht nur hochriskant, sie ist auch unseriös.
Dem sächsischen Finanzminister wird das freilich erst einmal höhere Steuereinnahmen im dreistelligen Bereich bescheren. Denn insbesondere der Dienstleistungssektor war in den letzten Jahren noch stärker auf Wachstumskurs als die Industrie. Und man kann nur hoffen, dass die Mehreinnahmen auch in die richtigen Infrastrukturprojekte investiert werden.
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