Dass sich Sachsens Wirtschaft stabilisiert hat und damit auch die Beschäftigungssituation, zeigt eine neue Grafik des Landesamtes für Statistik. Natürlich ist Sachsen keine Insel. Und seit 2006 nimmt der Freistaat sichtlich auch Anteil an der gesamtdeutschen Wirtschaftsentwicklung und dem damit verbundenen Beschäftigungsaufbau. Seit 2013 ist aber auch da eine spürbare Veränderung eingetreten: Es gibt erstmals weniger Auspendler.
“Insgesamt 2,053 Millionen Einwohner des Freistaates Sachsen gingen im Jahresdurchschnitt 2013 einer Erwerbstätigkeit nach – entweder an einem Arbeitsplatz in Sachsen oder in anderen Ländern innerhalb Deutschlands”, versuchen die Landesstatistiker den Trend in Worte zu fassen. Immerhin hat Sachsen seit zehn Jahren wieder wachsende Beschäftigtenzahlen. Viele nutzten die Chance, auch in anderen Bundesländern Arbeitsangebote anzunehmen. Das ließ seit 2006 die Zahl der sächsischen Auspendler deutlich ansteigen. Was die Grafik natütlich nicht verrät: Wieviele dieser Auspendler waren mit einem der heutigen “flexiblen” Arbeitsmodelle unterwegs? Als Leiharbeiter zum Beispiel?
Die Statistiker in Kamenz setzen die Marke etwas später, wenn sie schreiben: “Dabei verringerte sich erstmals seit 2009 die Zahl der Auspendler, also der Erwerbstätigen mit Wohnort in Sachsen und Arbeitsplatz außerhalb (143.000 Personen), und zwar um 1,2 Prozent.”
2009 gab es eine kleine Delle in der Kurve – nachdem die Zahlen seit 2006 kräftig angestiegen waren. Wahrscheinlich ist die Vermutung nicht so abwegig, diesen leichten Rückgang 2009 mit den Folgen der Finanzkrise in Verbindung zu bringen, die sich in Deutschland ja bekanntlich mit etwas Verspätung erst so richtig auswirkte und 2008/2009 zum Tragen kam.
Aber das Phänomen von 2013 hat natürlich nicht mit einer neuen Welle der Finanzkrise zu tun (auch wenn die europäische Staatsschuldenkrise dank einer wirklich undurchdachten “Rettungspolitik” bis heute schwelt und auch noch weiter schwelen wird), sondern mit der Tatsache, dass die deutsche Wirtschaft nach wie vor stabil läuft und damit auch die Auftragslage sächsischer Unternehmen gut ist. Sie können selbst wieder Arbeitsplätze schaffen – und schreien mittlerweile recht laut nach Arbeitskräften.
Was den Effekt hat, dass viele Auspendler jetzt daheim bleiben und in Sachsen wieder Arbeit finden können. Da braucht sich nicht mal ein Minister mit Schampus an die Autobahnraststätte stellen. Arbeit in der eigenen Heimat ist für die meisten Sachsen allein schon viel zugkräftiger. Und da viele der Unternehmen im Freistaat, wenn sie denn volle Auftragsbücher haben, auch attraktiv sind für Arbeitsuchende aus der Nachbarschaft, steigen die Einpendlerzahlen.
Das Ergebnis mit den Worten der Statistiker: “Im Gegensatz dazu stieg die Zahl der nach Sachsen einpendelnden Erwerbstätigen (rund 100 000 Personen) weiter deutlich an – aktuell um 2,9 Prozent und im Vergleich zum Jahr 2010 um fast acht Prozent. Im Jahr 2013 lag damit für Sachsen ein Auspendlerüberschuss in Höhe von rund 43.000 Erwerbstätigen vor. Dieser Pendlersaldo war auf dem niedrigsten Stand seit der Jahrtausendwende.”
Und das hat natürlich mit dem stabilisierten Arbeitsmarkt in Sachsen zu tun. “Die Zahl der erwerbstätigen Inländer 2013 war in Sachsen um 0,3 Prozent höher als im Vorjahr”, schreiben die Statistiker. Und tun dann so, als müssten sie unbedingt in die Klagegesänge einer Regierung einstimmen, die sich von der Schwarzmalerei der eigenen Lage einfach nicht verabschieden mag: “Mit dieser Entwicklung blieb der Freistaat allerdings etwas unter der bundesweiten Tendenz, denn in Deutschland erhöhte sich die Erwerbstätigenzahl nach dem Inländerkonzept um
0,6 Prozent.”
Was einfach völlig egal ist. Denn die exportorientierte Wirtschaft sitzt nun einmal zum allergrößten Teil in Westdeutschland. Da brummt der Motor, der auch schon mal ins Stottern gerät, wenn die Weltmärkte kriseln. Wenn aber die Nachfrage steigt, ist der westdeutsche Arbeitsmarkt wesentlich aufnahmefähiger als der ostdeutsche – und er ist auch für qualifizierte Arbeitskräfte aus ganz Europa attraktiv. Was der sächsische noch lange nicht ist. Stichwort: Lohnniveau.
Also sind die Unternehmen in den ostdeutschen Bundesländern viel stärker darauf angewiesen, ihr Personal im eigenen Land zu rekrutieren. Was seit 2010 zunehmend schwieriger geworden ist. Doch trotz halbierter Ausbildungsjahrgänge schaffte Sachsen es, doch mehr Beschäftigung auf die Beine zu kriegen.
“Im Vergleich der fünf neuen Länder war Sachsen das einzige Land, das gegenüber 2012 einen Zuwachs verbuchen konnte”, so das Landesamt für Statistik. “Alle neuen Länder hatten auch 2013 einen Überschuss an Auspendlern, d. h. die Zahl der Erwerbstätigen mit einem Arbeitsplatz in einem anderen Land war größer als die Zahl der jeweiligen Einpendler. Der Auspendlerüberschuss in Sachsen war im Niveau der geringste unter den fünf neuen Ländern.”
Die Trendwende von 2013 aber deutet etwas an, was auch in der demografischen Entwicklung des Freistaats eine Rolle spielen wird. Erstens wird das nicht aufhören, dass viele ehemalige Auspendler jetzt die Chance ergreifen, im eigenen Land Arbeit zu suchen. Zweitens werden die Berufsanfänger verstärkt dableiben und eben nicht mehr in der Größenordnung 13.000 bis 17.000 in den Westen abwandern. Der Freistaat wird sein “Demografieproblem” zu einem Teil abpuffern, weil ihm die jungen Menschen nicht mehr verloren gehen. Und er ist gut beraten, den jungen Menschen auch gute Bedingungen zur Familiengründung (mit ausreichender finanzieller Basis und einer familiengerechten Arbeitsgestaltung) zu bieten.
Absehbar ist natürlich auch, dass in wenigen Jahren aus dem sächsischen Auspendlerüberschuss wohl ein Einpendlerüberschuss werden wird. Denn der gestiegene Fachkräftebedarf im Land wird die Einpendlerzahlen weiter steigen lassen. Die Frage ist dann eher, woher die Leute einpendeln – ob nur aus den benachbarten Bundesländern, oder verstärkt aus Polen, Tschechien oder gar Ungarn.
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