Bestell dir die richtige Studie, dann kannst du auch alles begründen. Wassertourismus in Mitteldeutschland? Alles machbar. Man muss nur erstmal alle Puzzle-Teile zusammen haben, dann kommt auch der Elster-Saale-Kanal. Im Dezember 2013 wurde ganz offiziell der Startschuss gegeben für das "Tourismuswirtschaftliche Gesamtkonzept für die Gewässerlandschaft im Mitteldeutschen Raum". Jetzt liegt das Papierchen vor. Und der Elster-Saale-Kanal steht als Krönung mit drin.

Finanziert wurde das Papierchen von der Stadt Leipzig (als Vertreterin des Grünen Rings) und der Wirtschaftsförderungsgesellschaft Anhalt-Bitterfeld | Dessau | Wittenberg mbH mit zusammen rund 110.000 Euro. Auf dem Seenlandkongress zur “Beach & Boat” wurde das Werk vorgestellt. Und es steht drin, was zu erwarten war: Nichts Neues. Oder besser: Was die Besteller sich bestellt hatten: Ein Grundsatzpapier, das hinfort alle Pläne zum touristischen Ausbau der Gewässerlandschaft begründen soll. Denn wenn man jetzt so ein Papier hat, das begründet, dass ein großer Bedarf besteht, dann muss man den Bedarf ja abdecken. Oder nicht?

Dass das Papier zum größten Teil auf Orakeln aufgebaut ist, das findet nur heraus, wer es auch liest. Denn die Auftragnehmer vom bgmr, BTE und DIW ECON haben sich an den Auftrag gehalten, den sie bekommen haben. Und der war sehr klar gefasst: “Die Stadt Leipzig (in Vertretung des Grünen Ringes Leipzig) und die Wirtschaftsförderungsgesellschaft Anhalt-Bitterfeld | Dessau | Wittenberg mbH (für die Landkreise Anhalt-Bitterfeld, Burgenlandkreis, Saalekreis und Wittenberg sowie die Stadt Halle (Saale)) beauftragten BTE | bgmr mit der Erstellung eines Tourismuswirtschaftlichen Gesamtkonzeptes für die Gewässerlandschaft im mitteldeutschen Raum (TWGK). Zielstellung war und ist es, die Entwicklung der Gewässerlandschaft in ihrem unmittelbaren Zusammenwirken mit den räumlichen und kulturellen Gegebenheiten an Land im interkommunalen länderübergreifenden Verbund voranzutreiben. Mithilfe dieses Konzeptes und im Zuge der weiteren Entwicklung des Planungsraumes sollen so die gefluteten Tagebauseen sowie die Fließgewässer in der Region ideell und soweit möglich auch räumlich und funktional miteinander verknüpft werden. Unterstützt durch diverse Infrastrukturprojekte werden so positive Rahmenbedingungen für Freizeit und Tourismus entstehen, welche den Wirtschafts- und Lebensstandort Mitteldeutschland langfristig hervorheben werden.”

Die beiden Bundesländer Sachsen und Sachsen-Anhalt hatten den Braten also schon richtig gerochen, als sie befürchteten, das 110.000-Euro-Papier mit seinen über 300 Seiten und über 100 Abbildungen würde künftig verwendet werden, um die Notwendigkeit des Ausbaus des Elster-Saale-Kanals zu begründen. Es stand ja im Antrag. Und es steht im Papier – als “Leuchtturmprojekt Nr. 7”.

Nur dass dieses Papier jetzt die Arbeitsschritte umdreht. Vorher sollte die hohe touristische Attraktion der Region Leipzig die Begründung dafür sein, den Kanal für Motorbootfahrer saaleaufwärts nach Leipzig zu vollenden. Die neue Volte heißt: Die touristischen Angebote in Leipzig und Halle sollen noch attraktiver werden, damit der Kanal als wassertouristische Verbindung Sinn bekommt.

Und um den Wassertourismus als Motor für diese Entwicklung zu begründen, haben die Studienersteller mal alles zusammengerechnet, was in der Region so alles an Tourismus passiert. Auch mit der eigentlich erhellenden Feststellung zum Einstieg: “Während traditionelle Wassertourismusaktivitäten teils stagnieren oder nur noch geringe Wachstumsraten aufweisen, entwickeln sich manche Trendsportangebote dynamisch und haben das Potenzial, sich als Breitenangebot zu etablieren. Positive Prognosen bei traditionellen Wassertourismusaktivitäten werden vor allem für die Fahrgastschifffahrt gegeben. Voraussetzung: eine moderne Flotte und zeitgemäße Angebote. Die Entwicklung im Motorboottourismus wiederum lautet kurz ‘Bootscharter vor Bootsbesitz’.”

Nur zur Erinnerung: Um die kalkulierten Ausbaukosten für den Elster-Saale-Kanal zu rechtfertigen, wurde in der “Touristischen Potenzialanalyse Anbindung Saale-Elster-Kanal an die Saale” als notwendige Grundlage die Entstehung von rund 3.000 neuen Bootsbesitzern in der Region Leipzig / Halle als Voraussetzung errechnet. Jetzt also Charter statt Besitz? Und das als sichtbarer deutschlandweiter Trend?

“Entsprechend wird eine Halbierung der Bootseigner innerhalb von zwanzig Jahren prognostiziert. Grundsätzlich ist jedoch davon auszugehen, dass Nachholbedarf hinsichtlich der Anzahl von Bootsliegeplätzen in der Region besteht”, heißt es in der Kurzfassung des Papiers, das die Ersteller einfach mal zum “Masterplan” erklärt haben. Ãœbersetzt heißt das schlicht: Das soll jetzt die Leitplanung für die ganze Region sein. Von niemandem beschlossen. Aber man kann sicher sein, dass das teure Papier jetzt genauso eifrig als Grundlage aller möglichen Planungen beschworen wird wie seit 2006 das “Wassertouristische Nutzungskonzept” (WTNK), das im Leipziger Teil des “Masterplans” natürlich durchschimmert in all seiner unvergänglichen Pracht.

Und das steckt auch in dem Traum, dem die Ersteller des Papiers jetzt ihren Lobgesang widmen: “Und vor dem Hintergrund des demografischen Wandels ist Barrierefreiheit eine generelle Voraussetzung für alle wassertouristischen Angebote. Im Ãœbernachtungstourismus ist – aufgrund der bisherigen Gesamtentwicklung der Ãœbernachtungszahlen – in den nächsten zehn bis zwanzig Jahren mit Steigerungsraten zwischen 50 und 100 % zu rechnen.”

So schnell geht das: Hier wird vom Gesamttourismus gesprochen, von dem Tourismus mit Wasser drumherum nur ein kleiner Teil ist. So ist dann auch zu lesen: “Diese antizipierte Entwicklung ist allerdings nur teilweise auf die Umsetzung wassertouristischer Projekte zurückzuführen: Es wird ein Anteil von ca. 30 % an den erwarteten Erfolgssteigerungen angenommen.”

Das wurde einfach so angenommen. Oder soll man sagen: Da wurde es dann richtig frech?

Nachzulesen ab Seite 119, wo es heißt: “Die im Rahmen des vorliegenden Gutachtens entworfenen und skizzierten Projekte konzentrieren sich auf den Bereich ‘Wassertourismus’ und damit nur auf ein Segment der touristischen Attraktivität der Region. Der von den Gutachtern auf Basis der zurückliegenden Gesamtentwicklung erwartete Gesamteffekt mit Steigerungsraten zwischen 50 und 100 % in den nächsten 10 bis 20 Jahren darf daher nur teilweise auf die wassertouristischen Initiativen und Projekte zurückgeführt werden; kulturtouristische und weitere naturtouristische Angebote werden auch ihren Beitrag leisten (müssen). Vor diesem Hintergrund darf das künftige Wachstum nur zu ca. einem Drittel mit wassertouristischem Erfolg begründet werden; für die vorsichtige Abschätzung wird ein Anteil von rd. 30 % an den erwarteten Erfolgssteigerungen angesetzt.”

Doch genau diese 30 Prozent werden nirgendwo begründet.  BTE rechnet einfach so: Wenn Leipzig seine Übernachtungszahlen von 2,5 Millionen auf 3,7 Millionen steigert, dann sind von den zusätzlichen 1,2 Millionen satte 372.000 durch Wassertourismus induziert. Insgesamt glauben die Rechner tatsächlich, über 1 Million neuer Besucher mit Wassertourismus in die Region locken zu können. Wobei es sich dabei zum größten Teil um Tagesausflügler handeln wird, die im Grunde selbst aus der Region kommen.

Aber auch mit diesen Zahlen wird die Öffentlichkeit in den nächsten Jahren immer wieder konfrontiert werden. Frei nach dem Motto: Steht doch im Gutachten.

Errechnet ist es nicht. Und auch das Wörtchen “Wassertourismus” wird eher diffus gebraucht und entpuppt sich bei näherer Betrachtung als ein Sammelsurium von Freizeitgestaltung auf und am Wasser, von dem das Allerwenigste Tourismus ist.

Nachzulesen auf Seite 23: “Der Begriff Wassertourismus meint in erster Linie die unmittelbar auf und in den Gewässern stattfindenden touristischen Nutzungen. Er umfasst in der erweiterten Sicht auch touristische Nutzungen an bzw. im direkten Umfeld von Gewässern sowie mit dem Wassertourismus verbundene Segmente.”

Das Cover des "Tourismuswirtschaftlichen Gesamtkonzepts".
Das Cover des “Tourismuswirtschaftlichen Gesamtkonzepts”.

Im “weiteren Sinne” gehören dann auch “Strand- und Badetourismus”, “Strandsport”, “Tret- und Ruderbootverleih” dazu, im “engeren Sinne” sogar Angeln, Fischen, Tauchen, Kanufahren, Segeln – also all die Dinge, die die Bewohner des Neuseenlandes selbst an den Gewässern tun und die eindeutig kein Tourismus sind.

Tourismus ist es erst, wenn Menschen wegen dieser Angebote aus anderen Regionen angereist kommen.

Haben wir es schon erwähnt? – Diese Zahlen kommen im ganzen 300-Seiten-Papier nicht vor. Dazu hätte man nämlich Feldstudien machen müssen. Das ist aber nicht geschehen.

Nur indirekt – in der Abschätzung auf Seite 148, auf der einmal abgeschätzt wird, aus welchem Umkreis die Besucher der Gewässer in Mitteldeutschland eigentlich kommen: “Aus der Einwohnerschaft der näheren Umgebung (bis 30 Min. Fahrzeit) ergeben sich 43 bis 50 % der Nachfrage. Der relativ geringe Anteil der Besuche von Ãœbernachtungsgästen (21 bis 27 %) ist darin begründet, dass die Tourismusintensität (Ãœbernachtungsgäste pro 100 Einwohner) in der Region relativ niedrig ist.”

Das ist der Punkt, aus dem heraus dann begründet wird, dass erst einmal die “Tourismusintensität” gesteigert werden muss. Die einzige Stadt in diesem Gebiet, die tatsächlich eine höhere Attraktion von Reisenden hat, die mehr als 1 Stunde Anreiseweg haben, ist – Ãœberraschung – Leipzig. Und hier generieren sich die Besucherzahlen aus den Kulturangeboten der Stadt, eindeutig nicht aus dem Wassersport.

Aber da spielen die Ersteller des Gutachtens selbst gleich mal Orakel: “Die Anzahl der Besuche durch Ãœbernachtungsgäste wird steigen, wenn die wassertouristische Initiative zum Erfolg und zu einer Steigerung im Ãœbernachtungstourismus führt (vgl. Kap. 9.1).” Im Kapitel 9.1 findet man die erwähnten 30 Prozent. Einfach mal so behauptet. Womit sich die Katze einfach in den Schwanz beißt.

Und damit die Planer jetzt alle wissen, wie sie dahin kommen sollen (“wassertouristische Initiative zum Erfolg” führen), gibt es die “Leuchtturmprojekte” im Tourismuswirtschaftlichen Gesamtkonzept (neue Abkürzug: TWGK) alle aufgelistet: zehn Stück an der Zahl. Mittendrin der gute alte Bekannte: der Elster-Saale-Kanal. Den die Gutachter jetzt zwar in eine etwas fernere Zukunft schieben, weil ja erst mal die “wassertouristische Initiative zum Erfolg” geführt werden soll, aber sie haben ja 1.) begründet, dass der Tourismus zunehmen wird, dass 2.) der Wassertourismus mächtig zulegen wird und deshalb 3.) irgendwann der Tag kommt, wo man die beiden Wassersportreviere Leipzig und Halle verkoppeln und verkuppeln muss. In Worten: “Insbesondere für die Umsetzung der Verbund-Leuchtturmprojekte sowie der Aktivitäten und Events mit Leuchtturmcharakter sind interkommunale und länderübergreifende Kooperationen von Städten und Landkreisen, Fachbehörden und -planern, kommunalen Zweck- und Verwaltungsverbänden sowie von Betreibergesellschaften und Leistungsträgern erforderlich.”

Was ja im Klartext heißt: Die Auftraggeber des ganzen Werks haben sich damit eine Begründung besorgt, dass sie künftig jede Menge Zeit, (Steuer-)Geld und Kraft in diese “länderübergreifenden Kooperationen” investieren müssen.

Dafür 110.000 Euro Steuergelder auszugeben, das ist schon ein starkes Stück.

Und die neue Reihenfolge in der Abarbeitung des selbstgestellten Arbeitsprogramms ist beim Leuchtturm Nr. 7 dann skizziert: “Die Städte Halle (Saale) und Leipzig durch einen schiffbaren Kanal zu verbinden und die mitteldeutsche Gewässerlandschaft an die Elbe anzubinden, gilt als langfristige Entwicklungsperspektive. Insofern wird auch der Ausbau des Saale-Elster-Kanals als langfristiges Projekt eingestuft. Alle anderen Leuchtturmprojekte zur Herstellung von Gewässerverbindungen sollen in näherer Zukunft umgesetzt werden, um der gesamten Region mehr wassertouristische Zugkraft zu verleihen. Umso mehr Antriebskraft erhält dann die Anbindung des Saale-Elster-Kanals. Vor allem der weitere Ausbau der Stadt-Gewässer-Verbünde Halle (Saale) und Leipzig spielt in diesem Kontext eine entscheidende Rolle.”

Das muss man dann nicht mehr kommentieren.

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