Von wem werden die Ministerpräsidenten von Brandenburg und Sachsen bezahlt? Von Vattenfall? Vielleicht indirekt: Als PR-Abteilung für die schwedischen Braunkohlemanager, die jetzt mal tun darf, als würde sie im Namen des Volkes sprechen und ein Stück Landraub fordern? So jedenfalls liest sich der Brief, den die beiden Herren an den schwedischen Reichstag geschrieben haben.

“In wessen Interesse agieren Sie? Wie verträgt sich das mit Ihrem Amtseid?”, fragt auch Dr. Gerd Lippold, energiepolitischer Sprecher der Grünen-Fraktion im Landtag, den sächsischen Ministerpräsidenten Stanislaw Tillich angesichts des am Mittwoch, 25. Februar, bekannt gewordenen Briefes, den Tillich gemeinsamen mit seinem brandenburgischen Amtskollegen Dietmar Woidke (SPD) Mitte Januar an den zuständigen Ausschuss des schwedischen Parlaments gerichtet hatte.

Ein Brief, der den Vorwurf der Grünen an Ministerpräsident Stanislaw Tillich belegt, er würde unmittelbar Konzerninteressen statt die des Freistaates Sachsen und seiner Bürgerinnen und Bürger vertreten.

In dem seltsamen Brief beteuern die beiden Ministerpräsidenten, die neuen Tagebauerweiterungen Welzow Süd II (Brandenburg) und Nochten II (Sachsen) zügig durchzusetzen, um den Kaufpreis für die Braunkohlesparte zu erhöhen. “Dies würde aus unserer Sicht dazu beitragen, den Unternehmenswert von Vattenfall zu erhalten und so die Verkaufschancen für das Unternehmen und damit zusammenhängende mögliche Erlöse für den schwedischen Staat zu erhöhen”, heißt es in dem Brief.

“Tillich verspricht nichts anderes, als beispielsweise im angelaufenen bergrechtlichen Planfeststellungsverfahren für Nochten II im Sinne des maximalen Unternehmenswertes zu agieren”, kritisiert Lippold. “In einem Rechtsstaat müssen die einzigen Kriterien in diesen Verfahren die sorgfältige Prüfung aller Antragsunterlagen, Einwendungen und Risikoabschätzungen und die Güterabwägung zwischen den Interessen der Betroffenen, der Umwelt und dem Gemeinwohl der heutigen und künftigen Generationen sein.”

Beim genaueren Lesen entpuppt sich der Brief wie ein politisches Versprechen, dem Energiekonzern aus Schweden auf jeden Fall die Rendite zu sichern. Dabei schrecken sie auch vor falschen Behauptungen nicht zurück, etwa der alten Behauptung, die Energiewende würde “wegen steigender Energiekosten an Akzeptanz verlieren”. Jede Umfrage zeigt: Die Akzeptanz der Energiewende ist in der Bevölkerung deutlich höher als in politischen Führungsgremien. Und die Strompreise sinken seit einem Jahr. Was dann wieder das Kohlegeschäft für Vattenfall nicht mehr rentabel macht. Der Konzern will ja seine Kohlekraftwerke nicht verkaufen, weil es die schwedische Regierung so beschlossen hat, sondern weil sie sich nicht mehr rechnen.

Doch das blenden die beiden Bittsteller einfach aus und bieten eine zügige Erschließung neuer Tagebaue an, als könnten sie damit Vattenfall potente Käufer besorgen.

“Zügig oder nicht zügig – das darf überhaupt kein Kriterium sein. ‘Sorgfältig und verantwortungsvoll’ muss angesichts der enormen und dauerhaften Konsequenzen der Entscheidung die Maßgabe für das Verfahren heißen”, kritisiert Lippold.

Im Anhang zum Brief der Ministerpräsidenten wird für die schwedischen Parlamentarier unter anderem beschrieben, was die behaupteten Konsequenzen eines Rücktritts Vattenfalls von der Erweiterung der Tagebaue Nochten und Welzow aus Sicht der Regierungen Sachsens und Brandenburgs wären. Lippold findet eine Passage im Kapitel 3 des Briefanhangs besonders bemerkenswert: Dort heißt es, die Umsiedlungsmaßnahmen müssten dann umgehend beendet werden. Lippold: “Für die betroffenen Bürger, die eine Umsiedlung erwarten, würde dies – so der Brief der Ministerpräsidenten – eine Beeinträchtigung ihrer Lebensplanung bedeuten, wenn die Tagebaue nicht kämen!”

Nach “Peitsche” klingt für ihn der Brief, wenn für die anstehenden Genehmigungsverlängerungen der heute betriebenen Alttagebaue Nochten und Reichwalde mit potenziell teuren Plananpassungsforderungen gedroht wird, sollten die von den Ministerpräsidenten gewünschten Erweiterungsvorhaben nicht vorangetrieben werden.

Im selben Kapitel werde dann auch noch behauptet, mit dem Verzicht auf das Vorantreiben der Erweiterungsvorhaben durch Vattenfall drohe spätestens 2026 das abrupte Ende aller Braunkohlekraftwerke und sonstiger Heiz- und Industriekraftwerke in der Lausitz und damit der gesamten ökonomischen Basis als “Innovative Energieregion”.

“Dabei hat selbst die Bundesnetzagentur in ihren Planungsprämissen für das Jahr 2025 die zwei ältesten Blöcke des Kraftwerks Boxberg in Sachsen nicht mehr berücksichtigt. Eine rasche Abschaltung dieser mehr als 35 Jahre alten Kohlemeiler würde den Kohlebedarf des Kraftwerkes aus dem bestehenden Tagebau Nochten etwa halbieren. Auch ohne jede Erweiterung könnten die zwei verbleibenden Blöcke noch Jahrzehnte versorgt werden”, erläutert der Grünen-Abgeordnete. “Ein Einstieg in den Ausstieg aus der Braunkohle ist das Gebot der Stunde, der von einem geförderten Strukturwandel begleitet wird. Stattdessen erwecken Tillich und Woidke den Eindruck, es gäbe überhaupt keine Alternative zu einem Szenario, in dem alle Kraftwerke bis zum Tag X jeden Tag 24 Stunden unter Volldampf laufen und am Tag X alle gleichzeitig abgeschaltet werden.”

Es sind die alten Szenarien, die ursprünglich mal in den PR-Agenturen der Energiekonzerne ausgedacht wurden, um die Politik zu erschrecken. Wundersam tauchen sie jetzt als Argumentation zweier Ministerpräsidenten wieder auf, von denen der eine – der  sächsische – noch nicht einmal eine Strategie für den energetischen Umbau des Landes vorgelegt hat. Man hat auch die vergangenen fünf Jahre nur auf die Braunkohle als “alternative Energiequelle” gesetzt. Und damit eindeutig auf das falsche Pferd. Doch statt endlich die Strategie zu wechseln, versucht man nun mit den alten, falschen Argumenten im schwedischen Reichstag für Stimmung zu sorgen.

“All diese Überlegungen, die für die Zukunft der Tagebauerweiterungen und der von Umsiedlung betroffenen mehr als 1.600 Menschen allein in Sachsen von größter Tragweite sind, erschienen den Herren Tillich und Woidke offenbar zu komplex, um sie dem zuständigen Fachausschuss des schwedischen Parlamentes zur Kenntnis zu bringen. Wir sehen es nun als Aufgabe der Grünen Opposition in den Landtagen in Dresden und Potsdam, dies nachzuholen”, so Lippold.

Und für alle, die in den letzten Jahren vergessen haben, für wen eigentlich politische Repräsentanten in Deutschland zu agieren haben, zitieren die Grünen noch Artikel 61 der Sächsischen Verfassung, nach dem die Mitglieder der Staatsregierung beim Amtsantritt den Amtseid vor dem Landtag leisten. Er lautet: “Ich schwöre, dass ich meine Kraft dem Wohl des Volkes widmen, seinen Nutzen mehren, Schaden von ihm wenden, Verfassung und Recht wahren und verteidigen, meine Pflichten gewissenhaft erfüllen und Gerechtigkeit gegenüber allen üben werde.”

Die Frage brennt also: Wer bezahlt eigentlich die Herren Woidke und Tillich? Und wofür?

Unverständnis für den „Bettelbrief“ zeigt auch Marco Böhme, Klima- und Energiepolitischer Sprecher der Fraktion Die Linke im Sächsischen Landtag: „Tillich und Woidke bekräftigen erneut ihr Vorhaben, die Tagebauerweiterungen Nochten II und Welzow Süd zügig durchzuwinken, um den Kaufpreis für die Braunkohlesparte zu erhöhen. Die Forderung der beiden Ministerpräsidenten, diese Tagebaue unabhängig von den Verkaufsabsichten fortzuführen, ist erschreckend. Zum einem ist es nicht die Aufgabe von Regierungen, den Verkaufspreis von Energieunternehmen zu erhöhen. Zum anderen gibt es zu den Umsiedlungsverträgen zwischen den betroffenen Gemeinden und Vattenfall nur Versprechen, nichts ist bisher unterzeichnet worden. Es sind sogar Teile aus den Verträgen des laufenden Tagebaus Nochten I noch nicht erfüllt! Damit steht und fällt jedoch die gesamte Akzeptanz vor Ort, und nun stehen die Bürger ohne verbindliche Aussagen da.

Anstatt jetzt bei der schwedischen Regierung – und später beim neuen Eigentümer – um die Einhaltung der Vattenfall-Versprechen  zu betteln, sollte sich die Staatsregierung endlich ernsthafte Gedanken über einen Strukturwandel machen! Unstrittig sollte dabei der schrittweise Ausstieg aus der Kohleverstromung bis 2040 sein – das sollte dem neuen Eigentümer auch klar vor Augen geführt werden. Eine ungebremste Kohleverstromung bis 2052 in Nochten ist mit den Energiewendezielen jedenfalls unvereinbar. Mit populistischen Schnellschüssen und Flickwerk, wie diesem, wird die wichtigere Frage um die Zukunftsfähigkeit der gesamten Region völlig außer Acht gelassen.“

Der Brief von Woidke und Tillich als pdf zum Download.

Einwendung von BUND, Greenpeace und weiteren
http://www.bund-sachsen.de/fileadmin/bundgruppen/bcmslvsachsen/PDFs/Einwendung_Final_oPersonen.PDF

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Schönes Beispiel dafür, warum Politiker schon immer als Dreckspack und Verbrecher beschimpft werden.

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