Wie macht man eigentlich Bahnpolitik? So richtig klar scheint das in Sachsen nicht zu sein. Die große Revolution ist noch nicht passiert und es wirkt noch so Manches nach, was der FDP-Verkehrsminister Sven Morlok in seiner Amtszeit 2009 bis 2014 eingerührt hat. Das berührt auch ein Ewigkeits-Projekt, auf das das halbe Land wartet: die Elektrifizierung der Bahnstrecke Leipzig - Chemnitz. Im letzten Jahr entzündete sie in Leipzig einige Ängste, weil die LVZ das Projekt gleich mal als ICE-Trasse verkaufte, als das es nicht gedacht ist.

Eine Anbindung an den deutschen Fernverkehr bedeutet nicht unbedingt immer ICE. Aber um in das Fernverkehrsnetz der Deutschen Bahn eingebunden zu werden, muss die Strecke elektrifiziert werden. Das gilt aber ebenso für eine sinnvolle Einbindung ins regionale Streckennetz – auch für den von den Grünen dringendst gewünschten “Sachsen Takt”.

Den haben sie schon zu Morloks Zeiten eifrig vorgeschlagen, ohne dass sich der Verkehrsminister genötigt sah, darauf einzugehen. Denn im Kern würde es eine komplett andere Philosophie in der sächsischen Verkehrspolitik bedeuten – quasi ein Auf-die-Füße-Stellen eines auf dem Kopf stehenden Verkehrsdenkens. Denn bislang ist Sachsens Schienenpolitik auf die großen, schnellen und teuren überregionalen Schienenprojekte fixiert – auf Schnellverbindungen von Dresden nach Berlin, Schnellverbindungen nach Bayern (über Hof) oder in die Tschechische Republik (möglichst gleich durchs Elbtal nach Prag). Alles Projekte im Milliarden-Investitionsbereich.

Wie lange die Umsetzung eines solchen Projektes dauert, zeigt das ambitionierte Verkehrsprojekt Deutsche Einheit (VDE) Nr. 8, die 515 Kilometer lange ICE-Strecke von Nürnberg über Erfurt, Halle, Leipzig nach Berlin, das eigentlich im Jahr 2000 schon fertig sein sollte, aber zum größten Teil erst 2017 fertig ist. Die Kostendimension: über 9 Milliarden Euro, am Ende wohl eher zweistellig im Milliardenbereich.

Da haben viele kleinere Projekte, die leichter und schneller hätten fertiggestellt werden können, für Jahre einfach in der Sackgasse gesteckt. So wie die Strecke Leipzig – Chemnitz, die der Freistaat Sachsen immer wieder für den Bundesverkehrswegeplan angemeldet hat. In dem es – weil sich dort bundesweit die Projekte stauten – immer enger wurde und wird. Mit 250 Millionen Euro Investitionskosten gehört das Projekt dort zu den eher größeren.

Um den Stau aufzulösen, hat Sven Morlok noch 2014 versucht, einen Deal zu schmieden und die Deutsche Bahn quasi damit zu ködern, dass Sachsen anbot, die Planungskosten in Höhe von 10 Millionen Euro zu übernehmen. Wenn das Ding erst mal geplant wäre, könnte doch auch losgebaut werden … irgendwann … in nächster Zeit. Aber darüber entscheidet nicht die Bahn, darüber entscheidet der Bund, wenn er Projekte aus dem Bundesverkehrswegeplan aus der Akzeptanzphase in die Realisierungsphase hebt.

2,4 Millionen Euro hat der Freistaat schon in die Vorplanungen investiert. Am Montag, 2. Februar, nahm Morloks Nachfolger im Amt des Verkehrsministers, Martin Dulig (SPD), Stellung zum Projekt und erklärte – ein wenig deutlicher als Morlok -, wo das Ganze eigentlich klemmt und dass ein Deal mit der Bahn zwar schön und gut ist. Doch ohne die Bereitschaft des Bundes, die restlichen 240 Millionen Euro in seinen Haushalt einzustellen, geht nichts. Da hat dann Dulig zwar die 10 Millionen Euro Planungskosten in seinem Etat – aber die nützen gar nichts, wenn die Strecke nicht in absehbarer Zeit eine Chance auf Umsetzung hat. Oder mit den Formulierungen des Verkehrsministeriums: “Um die auf ca. 10 Millionen Euro geschätzten Kosten für die Entwurfsplanung auch fiskalisch zu verantworten, muss es jedoch zunächst seitens des Bundes ein klares positives Signal zum Vorhaben geben. Die Projektbewertung und damit die Positionierung des Bundes wird derzeit im Rahmen der Erstellung des Bundesverkehrswegeplan 2015 (BVWP) vorgenommen.”

Die Meldung vom Montag war also ein klares Signal an Berlin, wie wichtig Sachsen den Streckenausbau zwischen Leipzig und Chemnitz nimmt.

Martin Dulig selbst dazu: „Ich habe mich heute in Berlin mit dem Vorstandsvorsitzenden der Deutschen Bahn, Dr. Rüdiger Grube, getroffen. Unser gemeinsames Ziel ist es, dass der Ausbau und die Elektrifizierung der Strecke Leipzig – Chemnitz als Prioritätsprojekt in den Bundesverkehrswegeplan aufgenommen wird. Sowohl die Bahn als auch der Freistaat haben das Projekt bereits beim Bund für den BVWP angemeldet. Es steht außer Frage, dass das Vorhaben realisiert werden muss, um Südwestsachsen an den Fernverkehr anzubinden. Ich werde mich daher auch weiterhin mit Nachdruck sowohl beim Bund als auch gegenüber der DB AG für den Ausbau und die Elektrifizierung der Strecke einsetzen – wie auch im Koalitionsvertrag fixiert.“

Aus Sicht der sächsischen Grünen ist das freilich noch immer die alte, auf die Königsebene fixierte Verkehrspolitik. Die auch dann, wenn der Bund dem Projekt nun zustimmt, trotzdem noch Jahre auf eine Umsetzung der Strecke Chemnitz – Leipzig warten kann. Bis das Geld dafür auch tatsächlich frei ist.

Dabei läge eine zeitnahe Umorganisation des sächsischen Takt-Planes viel näher und wäre auch für deutlich weniger Geld zu haben, erklärt dazu die Landtagsabgeordnete der Grünen, Eva-Jähnigen. “Wirtschaftsminister Martin Dulig (SPD) muss seine Bahnpolitik offenlegen”, fordert sie. “Dass Minister Dulig versucht, still und leise aus der Planung der Strecke Chemnitz – Leipzig auszusteigen, ist ein schlechtes Signal für Chemnitz und Westsachsen. Diese Regierung hat im Koalitionsvertrag erstmals einen Prüfauftrag für einen Integralen Sachsentakt festgeschrieben. Warum geht Verkehrsminister Dulig nun hinter die bereits angegangenen Planungen zurück? Und warum erfährt das Parlament dies aus der Presse?”

Na gut, auch die Grünen im Landtag hätten es aus dem Informationsportal der sächsischen Regierung erfahren können. Dort hat es das Verkehrsministerium am Montagabend noch verlautbart. Und es klang nicht wirklich so, als wolle Dulig aus dem Projekt aussteigen. Nur “die Presse” liest so etwas gern aus Regierungsmeldungen heraus. Diesmal war es die “Freie Presse”, die dieses Fazit aus der Meldung zog. Aber tatsächlich hat sich nicht viel geändert, außer dass Dulig auf den Prestige-Termin mit dem Bahnchef verzichtet hat und nicht suggeriert, das Projekt sei schon in Sack und Tüten. 2016 soll der Bundestag darüber entscheiden und Morloks Ankündigung, das Ganze wäre möglicherweise schon vor 2020 zu verwirklichen, hält auch Dulig eher für zu optimistisch, er sagt lieber “vor 2025”.

Das dauert also noch und Dulig tut wohl recht daran, die Gelder vorerst für näher liegende Projekte einzusetzen.

“Die Ergebnisse der sächsischen Bahnpolitik der letzten Jahrzehnte zeigen klar: Wer die Hände in den Schoß legt und auf den Bundesverkehrswegeplan wartet, kann Ausbau und Elektrifizierung des vernachlässigten sächsischen Bahnnetzes nicht vorantreiben”, findet auch Eva Jähnigen. Und empfiehlt einen anderen Weg, die Zugverbindungen innerhalb Sachsens schnell zu verbessern: “Ich fordere Minister Dulig auf, sich mit der Verbesserung der Bahnanbindung für Chemnitz nicht von DB-Konzernchef Dr. Grube auf den St. Nimmerleinstag vertrösten zu lassen. Stattdessen muss der sächsische Verkehrsminister die Umsetzung des Integralen Taktfahrplanes als Bahnoffensive für ganz Sachsen vorbereiten. Dazu braucht der Freistaat dringend eine eigenständige Ausbauplanung für das sächsische Bahnnetz.”

Die Grünen legen Dulig ihren “Sachsentakt” wärmstens an Herz: “Der im Auftrag der Grünen-Fraktion erarbeitete Masterplan ‘Sachsentakt 21’ zeigt, dass der integrale Taktfahrplan mit einer klugen Ausbauplanung in Sachsen realisierbar ist. So werden neue Fahrgastpotenziale und Einnahmen für den sächsischen Bahnverkehr erschlossen. Und so würden Chemnitz und Westsachsen auch endlich wieder attraktiv für den Bahnfernverkehr.”

Das wäre: Zugverkehr wieder aus der regionalen Perspektive der eigentlichen Nutzer zu denken, für die sich das Angebot mit echten Vertaktungen tatsächlich verbessern würde.

Bei der großen Bahnpolitik sitzt Sachsen eindeutig am kürzeren Hebel. Und ob die schon verbratenen 2,4 Millionen Euro eigentlich schon zum Fenster rausgeschmissen sind, wollen die Grünen auch gern wissen. Eva Jähnigen: “In den letzten Jahren wurden bereits 2,4 Millionen Euro in die mit dem DB-Konzern vertraglich vereinbarten Vorplanungen der Strecke Chemnitz – Leipzig investiert.” Jähnigen kündigt eine Kleine Anfrage zum Umgang mit den Vorplanungen für die Strecke Chemnitz – Leipzig an.

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