Die große Umverteilung ist im Gang. Der FachkrÀftemangel in Sachsen sorgt im Jahr 4 seines Beginns dafÃŒr, dass sich die Arbeitslandschaft im Freistaat fÃŒr eine stattliche Anzahl von Menschen Àndert. Nicht nur die Jugendarbeitslosigkeit ist im vergangenen Jahr um stattliche 20 Prozent gesunken. Die WerktÀtigenzahl stieg insgesamt auf 2,024 Millionen ErwerbstÀtige. Und Sachsens Statistiker wundern sich trotzdem, warum das nicht besser geht.

Denn die einfache Steigerung der WerktÀtigenzahl ist ja schön. Im Vergleich aber landet Sachsen damit auf Platz 9 im innerdeutschen Vergleich – ein Plus von 0,7 Prozent bedeutet aber auch im Osten nur Platz 2 hinter Berlin, das mit einem Zuwachs von 1,7 Prozent derzeit die ostdeutsche Jobmaschine ist. Was ist da los?

In Kamenz grÃŒbeln die sÀchsischen Statistiker und kommen nicht so recht auf den Punkt: “Mit dem Anstieg im Vergleich zum Vorjahr lag Sachsen etwas unter der bundesweiten Entwicklung, denn in Deutschland erhöhte sich die ErwerbstÀtigenzahl im Jahresdurchschnitt um 0,9 Prozent. WÀhrend die fÃŒnf neuen LÀnder ein Plus der ErwerbstÀtigenzahl um 0,3 Prozent verzeichneten, entsprach der Anstieg in den alten LÀndern (ohne Berlin) der Bundesentwicklung.”

Immerhin: Im Unterschied zu anderen Instituten rechnet das sÀchsische Landesamt fÌr Statistik Berlin mit in den Osten hinein, wo es auch hingehört. Hier ist es wirtschaftlich verflochten und verankert. Und hier entwickelt es sich seit rund fÌnf Jahren Ìberdurchschnittlich, eben weil es Berlin ist: die wohl typischste deutsche Metropole. Und es sind die Metropolen, die wirtschaftlich prosperieren. Auch Leipzig ist dafÌr ein Beispiel.

WÀhrend die lÀndlichen RÀume sogar Arbeitsplatzverluste erleben. Das erlebt derzeit insbesondere Sachsen-Anhalt, wo die GesamterwerbstÀtigenzahl sogar insgesamt sank.

Warum, kann man fragen? Machen da die Unternehmen dicht?

Machen sie nicht. Aber auch dort sind gerade die jungen Arbeitnehmer flexibel und mobil. Und auch dort packen sie ihre Sachen, wenn sie merken, dass anderswo die Post abgeht. Die ErwerbstÀtigen stört keine Landesgrenze – anders als die Unternehmen.

Und wie ist das mit Sachsen? Woher kommen die benötigten ArbeitskrÀfte, wenn der BeschÀftigungsaufbau nur lÃŒtte 14.000 VollzeitarbeitsplÀtze betrÀgt? – Auch in Kamenz hat man gemerkt: Da wird jetzt krÀftig umverteilt. Die Sachsen sind ja nicht blöd. Wer einen Mini-Job gegen einen Vollzeit-Job eintauschen kann, wechselt die Firma. Wer eine gerade so zum Hungern ausreichende Ein-Mann-Firma (gern auch als “SelbststÀndiger” bezeichnet) gegen einen ordentlich bezahlten Vollzeit-Job eintauschen kann (mit Renten- und Arbeitslosenversicherung!), der macht seine Ein-Mann-Bude zu und wechselt. Die große Zeit der windigen Mini-Jobs hat zumindest einen Kratzer bekommen.

Und so schreiben auch die Kamenzer Statistiker: “In Sachsen war die aktuelle Entwicklung wie bereits in den Vorjahren von einem deutlichen Anstieg der Zahl der Arbeitnehmer ohne marginal BeschÀftigte geprÀgt. Diesem Anstieg stand ein weiterer RÃŒckgang bei den marginal BeschÀftigten gegenÃŒber, die zuletzt rund zehn Prozent aller ErwerbstÀtigen reprÀsentierten.”

Es wundert gar nicht, dass just aus den Branchen, in denen die so genannten Arbeitgeber besonders eifrig Niedriglohn- und Mini-Jobs geschaffen haben, jetzt zum Thema Mindestlohn das größte Gezeter kommt.

Die sÀchsischen Statistiker haben auch mal geschaut, in welchen Branchen eigentlich die neuen, die eher als Vollzeitjobs zu bezeichnenden TÀtigkeiten entstehen: “Nach Branchen zeigt die aktuelle Entwicklung einen Anstieg der ErwerbstÀtigenzahl um ein Prozent (5.400 Personen) im Produzierenden Gewerbe und um 0,6 Prozent (9.100 Personen) im Dienstleistungsbereich. Ein Vergleich mit dem Jahr 2010 zeigt in Sachsen einen Gewinn von fast 50.000 ErwerbstÀtigen, wobei allein im Verarbeitenden Gewerbe fast 30.000 Personen (+9,2 Prozent) mehr beschÀftigt waren. Die Dienstleistungsbereiche legten in diesem Zeitraum insgesamt um 1,6 Prozent bzw. rund 23.000 ErwerbstÀtige zu.”

Heißt im Klartext: Die Industrie hat gleich in zwei Bereichen neue VollzeitarbeitsplÀtze geschaffen – direkt im produzierenden Gewerbe und parallel in einer Dienstleistungsbranche, die man landlÀufig Zeitarbeit nennt. Die HÀlfte der Jobs sichern die Unternehmen also lieber durch ZeitarbeitskrÀfte ab, um möglichst flexibel zu bleiben. Trotzdem sind das Jobs, die augenscheinlich von vielen Sachsen gern genommen werden, weil sie immer noch besser bezahlt werden als all die Mini-, Midi- und Niedriglohn-Jobs.

In der Mitteilung der Statistiker taucht das hier auf: “Der Schwerpunkt bei den ZuwÀchsen innerhalb dieses Bereiches lag im GrundstÃŒcks- und Wohnungswesen sowie bei den Finanz- und Unternehmensdienstleistern.” Unternehmensdienstleister sind zu einem großen Teil die Zeitarbeitsfirmen.

Der Blick ins Jahr 2010 zeigt nÀmlich noch mehr. Die Zahl der marginal BeschÀftigten ist weiter gesunken, nachdem sie 2007 mit Ìber 250.000 einen traurigen Rekord erreicht hatte. Allein seit 2010 verschwanden 14.000 solcher marginalen Jobs, wahrscheinlich noch deutlich mehr, weil die Zahl fÌr 2014 noch fehlt. Da gleichzeitig die Zahl der ErwerbstÀtigen um fast 50.000 stieg, liegt wohl die Annahme nahe, dass viele dieser marginal BeschÀftigten die Chance zum Wechsel genutzt haben.

Und das Gleiche gilt fÃŒr einen Bereich, der gern vergessen wird: die SelbststÀndigen. Deren Zahl sank 2013 nÀmlich nach Jahren des Anstiegs erstmals. DarÃŒber staunten ja selbst die Wirtschaftskammern. Aber die ErklÀrung liegt nahe: Viele dieser SelbststÀndigen-Existenzen waren – gerade auch in Gefolge von “Hartz IV” – eine NotgrÃŒndung. Nur wenige mit tragfÀhigem Konzept. Doch der wirtschaftliche Aufschwung seit 2010 hat auch die Nachfrage nach gut gebildeten FachkrÀften deutlich erhöht – da wechselt auch mancher SelbststÀndige lieber in ein gut bezahltes AngestelltenverhÀltnis. Aber auch hier fehlen die Zahlen fÃŒr 2014 noch.

Was aber auch heißt, dass die sÀchsische FachkrÀftenot bis jetzt noch aus dem großen Reservoir der marginal BeschÀftigten und zuvor SelbststÀndigen abgepuffert werden konnte. Ein Effekt, der so wohl auf alle ostdeutschen BundeslÀnder zutrifft. Aber was passiert, wenn dieser Puffer aufgebraucht ist? – Der jugendliche Nachwuchs ist ja ÃŒberall gleichermaßen knapp. Und so langsam merken auch die Landesregierungen, dass sie ihre Personalstrukturen kaputtgespart haben und Nachwuchs brauchen. Das wird ein gewaltiges Hauen und Stechen in nÀchster Zeit. Das ist schon mal sicher.

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