Als Dr. Dietmar Pellmann, Landtagsabgeordneter der Linken aus Leipzig, am 10. Juli seine zwei Kleinen Anfragen zum Mindestlohn in Sachsen stellte, konnte er noch nicht wissen, dass das Sächsische Wirtschaftsministerium beim ifo Institut in Dresden eine kleine Erhebung in Auftrag gegeben hatte. Immerhin hatte ja auch Wirtschaftsminister Sven Morlok (FDP) heftig gegen die Einführung eines Mindestlohns opponiert. Und tat's am 18. August wieder.

Da hatte er so eine Art Gutachten des ifo Instituts auf dem Tisch, das ihn in seiner Haltung bestätigt und den Verlust von ungefähr 60.000 Arbeitsplätzen für Sachsen verhieß, wenn es zum flächendeckenden Mindestlohn von 8,50 Euro käme.

Natürlich hat das SMWA die Studie des ifo-Instituts selbst bestellt, die dann – wie erwartet – sachsenweit zwischen 30.000 und 60.000 Arbeitsplätze unmittelbar durch den gesetzlichen Mindestlohn der Bundesregierung bedroht sah.

Für Sven Morlok also eine Aussage wie bestellt: “Das Gutachten bestätigt die mehrfach geäußerte Befürchtung, dass der Mindestlohn vor allem den Osten trifft – und hier besonders die grenznahen Regionen. Er gefährdet die wirtschaftliche Grundlage für viele Güter und Dienstleistungen des täglichen Bedarfs im ländlichen Raum. Eine besondere Betroffenheit wird es bei Bäckern, Fleischern, dem familiengeführten Einzelhandel, Gaststätten und im Beherbungsgewerbe geben. Für viele kleinere Unternehmen bringt das Mindestlohngesetz der Bundesregierung ganz erhebliche Herausforderungen und ein deutliches Mehr an Bürokratie.”

Laut dem ifo-Gutachten sind besonders die Landkreise Erzgebirgskreis, Sächsische Schweiz-Osterzgebirge und Bautzen betroffen, liest das Sächsische Ministerium für Wirtschaft und Arbeit aus dem Zahlenwerk heraus. Außerdem ermittelten die Forscher, dass Arbeitsplätze von Personen unter 25 Jahren, von Ungelernten und Mitarbeitern in der Gastronomie und anderen Dienstleistungsbereichen am stärksten gefährdet seien.Dass die erwähnten Branchen die klassischen Niedriglohnbranchen in Sachsen sind, ist nichts Neues. Und das ist auch das Problem dessen, was das ifo Institut als “Gutachten” serviert hat. Im Grunde reduziert sich das ganze Werk auf die Aussage: Da sind die Löhne niedrig, also gehen die Jobs da auch verloren.

Für Sven Morlok trotzdem kein Thema, groß drüber nachzudenken. Immerhin passt das Gutachten ja auch gut in den FDP-Wahlkampf: “Wir werden nicht tatenlos zusehen. Ich habe in meinem Ministerium eine abteilungsübergreifende Steuerungsgruppe eingerichtet, die Maßnahmen und Instrumente zum Gegensteuern erarbeiten wird. Ebenso werden wir kurzfristig einen neutralen Gutachter beauftragen, damit er die Entwicklungen auf dem sächsischen Arbeitsmarkt unter den Gesichtspunkten des Mindestlohnes bewertet, uns Hinweise bei Verwerfungen gibt und die Steuerungsgruppe unterstützt. Bei Unternehmen, die Investitionsförderung erhalten haben und unmittelbar durch den Mindestlohn betroffen sind, werden wir unsere Ermessensspielräume nutzen, wenn sich Arbeitsplatzzusagen nicht sofort einhalten lassen. Bei der Förderung von Weiterbildung und Mittelstand werden wir reagieren, wenn die befürchteten Entwicklungen Realität werden sollten.”

Was aber haben die sechs Autoren vom ifo Institut tatsächlich gemacht?

Sie haben erst einmal ermittelt, wie hoch der Anteil der Personen in allen Landkreisen ist, die derzeit weniger als 8,50 Euro pro Stunde an Lohn bekommen. Das sind schon einmal aussagekräftige Zahlen, die das Thema “Niedriglohnland Sachsen” gut beleuchten: Sachsenweit sind 25,3 Prozent aller Beschäftigten derzeit mit einem Niedriglohn unterwegs. Ein anderes als das neoliberale Wirtschaftsdenken würde an dieser Stelle überlegen, wie man diese Menschen – immerhin 292.961 an der Zahl – mit klugen Maßnahmen in höhere Verdienstgruppen bekommt. Denn jeder Politiker, der auch mal mit den Fachkollegen spricht, weiß, dass man mit 8,50 Euro geradeso seine Existenz sichern kann. Wer drunter bleibt, wird fast automatisch zum Sozialfall und damit zur Belastung der Sozialkassen – selbst wenn er im Arbeitsleben knausert und sich alles vom Munde abspart. Spätestens als Rentner wird er zum Sozialfall.

Aber das neoliberale Denkmodell rechnet all diese Folgen heraus und tut so, als seien Branchen, die keine existenzsichernden Gehälter erwirtschaften, ein erfolgreiches Modell. Sind sie aber nicht.

Und zumindest das muss man den ifo-Rechnern zugestehen: Sie haben nicht gesagt, dass diese 292.961 Menschen dann einfach arbeitslos werden, wenn der Mindestlohn flächendeckend eingeführt wird. Sie gehen davon aus, dass viele Unternehmen, die derzeit Niedriglöhne zahlen, durchaus in der Lage sind, auch 8,50 Euro die Stunde zu zahlen, die Gehälter also entsprechend anpassen. Andere werden es nicht können und deshalb den Betrieb beenden. Aber das ist dann tatsächlich nur die Folge von Geschäftsmodellen, die ihr wesentliches Ziel verfehlen: vollwertige Arbeitsplätze zu finanzieren.

Ist dann nur die erste Frage: Wieviele werden es möglicherweise sein?

Dazu gleich mehr im zweiten Teil der Analyse.

Die Präsentation zum ifo-Gutachten als PDF zum Download.

Die beiden Kleinen Anfragen Drs.14826 und Drs.14827 als PDF zum Download.

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