Ganz, ganz sicher war sich Wolfgang Tiefensee, wirtschafts- und energiepolitischer Sprecher der SPD-Fraktion im Bundestag, am Freitag, 27. Juni, als das von Energieminister Sigmar Gabriel vorgelegte Papier zur Novelle des EEG-Gesetzes angestimmt wurde: "Die heute im Parlament beschlossene Novelle des EEG bringt den notwendigen Neustart der Energiewende voran."

Neustart? Davon war dieser Kompromiss, der an der Lastenverteilung nicht wirklich etwas ändert, wohl weit entfernt. Den Jubel gab es dann auch aus einer Ecke, aus der er zu erwarten war: von den Freunden der Braunkohle und den Feinden der Windkraft.

Der Deutsche Bundestag hat heute ein “Gesetz zur Einführung einer Länderöffnungsklausel zur Vorgabe von Mindestabständen zwischen Windenergieanlagen und zulässigen Nutzungen” beschlossen, das es den Bundesländern künftig freistellt, den Mindestabstand zwischen Windrädern und benachbarter Bebauung selbst zu regeln.

Holger Zastrow, Vorsitzender der FDP-Fraktion im Sächsischen Landtag, bejubelte postwendend das “Gesetz zur Einführung einer Länderöffnungsklausel zur Vorgabe von Mindestabständen zwischen Windenergieanlagen und zulässigen Nutzungen”. Denn die FDP hatte die letzten Monate eifrigst dafür genutzt, gegen die “Verspargelung” der Landschaft zu kämpfen.

“Wir begrüßen die Regelung, auch wenn die schwarz-rote Einsicht reichlich spät kommt. Längst schon hätten Union und SPD einer entsprechenden Bundesratsinitiative der Länder Bayern und Sachsen zustimmen können. Denn dass der ungezügelte Ausbau von Windkraftanlagen für die benachbarten Grundstücke oftmals eine reine Zumutung ist, liegt nicht erst seit gestern auf der Hand. Ich appelliere nun an die Länder, das Gesetz – das ja im Bundesrat nicht zustimmungspflichtig ist – nicht durch eine Anrufung des Vermittlungsausschusses unnötig aufzuhalten”, sagte Zastrow.

“Die Länder, die die neue Freiheit nicht nutzen und ihre Heimat aus ideologischen Gründen weiter mit Windrädern verspargeln wollen, können das ja weiterhin tun, sollen aber bitte nicht den Ländern hineinreden, die das nicht wollen! – Das schwarz-gelbe Sachsen wird die neuen Regelungen in vollem Umfang ausreizen und dabei auch die nunmehr deutlich weitergehenden Möglichkeiten des Bundesgesetzgebers hinsichtlich der zulässigen baulichen Nutzungen beachten! Die FDP kämpft seit geraumer Zeit für einen Mindestabstand zwischen Windrädern und Wohnbebauung, der das Zehnfache der Höhe der Windkraftanlage beträgt. Auch wenn die Umsetzung des neuen Bundesgesetzes in Landesrecht nicht mehr vor der parlamentarischen Sommerpause möglich ist – das wird eines der ersten Gesetzgebungsprojekte einer neuen schwarz-gelben Regierung in Sachsen sein, dafür wird die FDP sorgen.”

Und aus dem Landkreis Leipzig, wo man ja die Mibrag bei Laune halten muss, gab es entsprechendes Frohlocken von Georg-Ludwig von Breitenbuch, der durch seine Nähe zum Braunkohlekonzern auch die nötige Qualifikation zum energiepolitischen Sprecher der CDU-Fraktion im Landtag hat: “Der Ausbau Erneuerbarer Energien stellt für Deutschland eine große Herausforderung dar. Seit Jahren werden in diesem Bereich große Summen investiert. Deutschland übernimmt damit eine Vorreiterrolle in Europa und der Welt. Die Nachteile der bisherigen Energieträger Kernkraft und Kohle, offene Endlagerung und Klima, stehen dem nicht wegzudiskutierenden Vorteil gegenüber, grundlastfähig zu sein. Dieses ist bei Teilen der Erneuerbaren Energien auf lange Zeit noch nicht gegeben. Der rasante Aufbau der Erneuerbaren Energien verdrängt konventionelle Energieträger derart, dass deren Rentabilität in Gefahr ist. Deren Grundlast ist aber derzeit nicht zu ersetzen.”

Grundlast ist ein Begriff aus der alten Welt der zentralisierten Stromproduktion. Man hört schon an der Wortwahl, aus welchem Hause die Argumentationspapiere der Politiker kommen, die mit dem “Ausbau Erneuerbarer Energien” nicht wirklich viel am Hut haben.

“Der Beschluss, 2022 aus der Kernenergie komplett auszusteigen, stellt vor diesem Hintergrund einen Meilenstein dar”, stellt Breitenbuch nun in seiner Weisheit fest. “Bisher ist die Machbarkeit nicht erkennbar. Gleichzeitig wird aus Ãœberlegungen des Klimaschutzes die Kohleverstromung kritisiert. Sowohl Kernenergie wie Braunkohle wird mit hohem moralischem Anspruch infrage gestellt. Vor dieser Argumentation treten leider Bezahlbarkeit und Machbarkeit in den Hintergrund. Verantwortungsvolle Politiker sind aber verpflichtet, diese berechtigten Fragen der Bürgerinnen und Bürger in diesem Land ehrlich zu beantworten. Die CDU-Fraktion steht nach wie vor zum Energiemix. Nur die Braunkohle sichert den soliden Aufbau der Erneuerbaren Energien und das langfristige Gelingen der Energiewende. Derzeit geht es nur miteinander und nicht gegeneinander. Alle anderen Aussagen sind unverantwortlich gegenüber den Menschen und der Wirtschaft in diesem Land.”

Diesem Mann werden wir es nicht mehr vorrechnen, dass Kohle der derzeit am höchsten subventionierte Brennstoff in Sachsen ist.

Umso kläglicher wirkt das, wenn Wolfgang Tiefensee nun gar als Neubeginn der Energiewende zu feiern versucht.

“Nach intensiven Verhandlungen innerhalb des Bundestages, mit den Ländern und auch auf europäischer Ebene kommen wir auf dem Weg zu einer erfolgreichen Energiewende wieder voran. Das vor 14 Jahren beschlossene EEG hat dazu beigetragen, dass die erneuerbaren Energien mit einem Anteil von 25 Prozent mittlerweile eine tragende Säule der Stromversorgung in Deutschland sind. Die Strommenge aus den erneuerbaren Energien hat sich seitdem mehr als vervierfacht. Aber der Erfolg des EEG führte in Verbindung mit seiner bisherigen Fördersystematik in manchen Bereichen zu einer Ãœberförderung mit entsprechender Kostendynamik und steigender EEG-Umlage”, sagt der SPD-Mann aus Leipzig.

Das mit der “Ãœberförderung” hatte am Freitag der Energieminister Sigmar Gabriel persönlich so gesagt.

“Die Novelle des Erneuerbaren-Energien-Gesetzes wird die Fehlentwicklung der letzten Jahre korrigieren und die Energiewende im Sinne einer nachhaltigen, sicheren und klimafreundlichen Energieversorgung wiederbeleben und weiterentwickeln. Wir haben mit der heutigen Verabschiedung des EEG die richtigen Weichen gestellt, um dem gesamtgesellschaftlichen Ziel entsprechend von begrenzten, schadstoffhaltigen und klimaschädlichen fossilen Energieträgern wegzukommen und schrittweise eine Vollversorgung mit Energie aus Wind, Sonne und Biomasse zu erreichen”, sagt Tiefensee. “Die EEG-Reform ist der Neustart der Energiewende. Zukünftig wird die Ãœberförderung abgebaut und die Förderung auf besonders kostengünstige Energieträger wie Onshore-Wind und Photovoltaik konzentriert.”

Und mit aller Nonchalance erwähnt er sogar die regelrecht kontraproduktiven Regelungen des Gabriel-Papiers: “Darüber hinaus wollen wir die Kosten gerechter verteilen. Bislang war die Eigenstromerzeugung von der EEG-Umlage befreit. Diese wurde aber mit steigender EEG-Umlage immer attraktiver – zum Nachteil derjenigen Stromkunden, die sich keine Eigenstromversorgung, zum Beispiel durch Solaranlagen, leisten können. Zukünftig müssen daher auch Eigenstromerzeuger die EEG-Umlage bezahlen. Da aber viele kleine Häuslebauer auch zukünftig nicht in der Lage sein werden die EEG-Umlage zu zahlen, hat die SPD-Bundestagsfraktion die Bagatellgrenze von 10 kW durchgesetzt.”Aber auch Tiefensee kann nicht wirklich wegreden, dass das Papier nicht mal ein guter Kompromiss ist. “Darüber hinaus wird es durch die europarechtskonforme Behandlung der Besonderen Ausgleichsregelung für die im internationalen Wettbewerb stehende stromintensive Industrie möglich, auf einer stabilen Rechtsgrundlage für das Jahr 2015 Befreiungen von der EEG-Umlage für die Industrie festzulegen. Hiermit wollen wir die Wettbewerbsfähigkeit der stromintensiven Industrie gewährleisten, die gesamte Wertschöpfungskette in Deutschland erhalten und die Industriearbeitsplätze sichern”, sagte er.

Die Summe, um die es geht, und die natürlich nur zu einem kleinen Prozentsatz nun zurück-verteilt wird an die großen Stromverbraucher, kennt er auch: “Gleichzeitig gilt es, die Industrien angemessen an den Kosten zu beteiligen, die immerhin 7,5 Milliarden Euro pro Jahr betragen. Erneuerbare Energien sollen regulärer Bestandteil des nationalen und europäischen Strommarktes werden. Deshalb sollen Betreiber größerer Anlagen ihren Strom künftig direkt vermarkten. Spätestens ab 2017 soll die Höhe der Förderung von Erneuerbaren Energien über Ausschreibungen bestimmt werden. Voraussetzung ist, dass ein Umstieg auf das neue Fördersystem zu Kostensenkungen führt. Für Neuanlagen wird es dann keine staatlich festgesetzten Einspeisevergütungen mehr geben.”

Parallel hatten die Interessenverbände im Bereich Erneuerbarer Energien ihr Grundsatzpapier “Energiewende in Sachsen – eine lohnende Perspektive für uns alle” veröffentlicht. Denn wenn jetzt schon die Bundesregierung bremst, müssen die Impulse für die Energiewende eigentlich aus den Ländern kommen. Dass sie in dem Papier auch mal die Milliarden-Kosten, die die Braunkohleverstromung verursacht, aufrechneten, fand dann logischerweise FDP-Mann Thorsten Herbst gar nicht toll: “Das Papier verteufelt vollkommen einseitig die Nutzung von Braunkohle. Die sogenannten erneuerbaren Energien werden hingegen über den grünen Klee gelobt – ein reines Lobby-Papier, hinter dem knallharte wirtschaftliche Interessen stehen.” Sagt der Mann, der genauso knallhart die Lobbyinteressen der Braunkohlekonzerne vertritt.

Und auch er bringt wie sein Mitkämpfer Breitenbuch von der CDU das schöne Wort Grundlast ins Spiel: “Fakt ist, dass nahezu alle erneuerbaren Energien nicht grundlastfähig sind – wenn die Sonne nicht scheint und der Wind nicht weht, können sie den Energiebedarf aufgrund fehlender Speichermöglichkeiten nicht decken. Die Braunkohle hingegen kann das – preiswert und zuverlässig. Aus diesen Gründen könnte sich der Ökostrom überhaupt nicht am Markt behaupten, wenn er nicht über das Erneuerbare-Energien-Gesetz massiv subventioniert würde. Diese Ãœberförderung macht jeden Anreiz, die erneuerbaren Energien weiterzuentwickeln und preiswerter zu produzieren, vollkommen zunichte.”

Da hat Gabriel aber was gesagt mit seiner “Ãœberförderung”.

Und weil er am Wesentlichen, der Kostenumverteilung zu Lasten der Privathaushalte, nichts geändert hat, haben Leute wie Herbst nun immernoch das ganze Argumentationspotenzial in der Hand: “Die EEG-Umlage belastet die Kassen der Familien und Unternehmen in mittlerweile nicht mehr erträglichem Maße. Knapp 24 Milliarden Euro werden in diesem Jahr per Zwangsabgabe von den deutschen Stromverbrauchern zu den Besitzern von Windkraft- und Solaranlagen umverteilt – weiter mehr als der gesamte sächsische Landeshaushalt mit rund 17 Milliarden Euro. Ein volkswirtschaftlich sinnloser Ökostrom-Ausbau, der allein den Betreibern finanziell nützt, wird diese Situation nur noch immer weiter verschärfen. Da ist es geradezu eine Frechheit gegenüber den Stromkunden, wenn die Verfasser des Papiers schreiben, erneuerbare Energien seien eine ‘verlässliche Grundlage für eine zukünftige und bezahlbare Energieversorgung’ und die EEG-Umlage werde ‘auf Dauer wieder sinken’. Das wird sie eben nicht, wenn es nach der Ökostrom-Lobby ginge. Auch wenn sich die Lobbyisten erneuerbarer Energien gern des unliebsamen, weil überlegenen Konkurrenten Braunkohle entledigen würden – es funktioniert schlichtweg nicht. Denn ohne die Braunkohle im Energiemix würden in Sachsen die Lichter ausgehen.”

Merke: Lobby sind immer nur die anderen.

Dass aber die bundesdeutsche SPD im Grund das Lied der großen Stromkonzerne singt und damit die Politik von CDU und FDP in Sachsen flankiert, fand am Freitag zumindest die umwelt- und technologiepolitische Sprecherin der Fraktion Die Linke im Sächsischen Landtag, Dr. Jana Pinka, bemerkenswert.

“Die generelle Linie der Bundesregierung und der Großen Koalition bei der EEG-Novelle scheint zu lauten: Die Macht muss wieder zurück in die Hände der großen vier Energieversorgungsunternehmen. Die Zeiten der Energiewende aus Bürgerhand scheinen vorbei”, interpretiert sie die EEG-Novelle ein ganzes Stück anders als Wolfgang Tiefensee. Dem entspräche das aus CDU-Reihen geäußerte Ziel, keine Mehrbelastungen für die bereits begünstigten energieintensiven Betriebe zuzulassen.

“Wer gönnerhaft behauptet, das EEG habe als Anschub gute Dienste geleistet, aber nun müsse sich der grüne Strom am Markt bewähren, der beteiligt sich an interessengeleiteter Täuschung und bedient die Interessen von konventioneller Kraftwerksindustrie und Großinvestoren”, heißt es dazu im Antrag “Ökostromförderung gerecht und bürgernah” der Linksfraktion im Bundestag.

Die Pressekonferenz der Verbände der Erneuerbaren Energiewirtschaft brachte aus ihrer Sicht die aktuelle sächsische Landespolitik auf den Punkt: “Die Branchenverbände wären bereits froh, wenn ihnen gegenüber der übermächtigen Braunkohle wenigstens Chancengleichheit eingeräumt würde. Das zeigt die brachiale Wirkung von Sachsens derzeitiger Regierung: Entwicklungsmöglichkeiten und Zukunftsoptionen werden systematisch verbaut”, stellt Pinka fest. “Zukünftig sollen die Bundesländer zudem darüber entscheiden können, welcher Mindestabstand zwischen Windkraftanlagen und Wohnbebauung im jeweiligen Bundesland gilt – so die sogenannte Länderöffnungsklausel im Baugesetzbuch. In einer Kleinen Anfrage will ich deshalb wissen, inwiefern die Inanspruchnahme und die Wahlkampfversprechungen von FDP und Teilen der CDU überhaupt seriös sind. Denn nach wie vor gilt, dass – auch bei sämtlichen Abstandssonderregelungen – der Nutzung der Windenenergie ‘substanziell Raum geschaffen’ werden muss. Davon ist nach Expertenmeinung bei Inanspruchnahme mehrerer pauschaler Abstände im dicht besiedelten Sachsen nicht auszugehen.

Das Grundsatzpapier der Verbände der Erneuerbaren Energien in Sachsen: www.vee-sachsen.de/images/stories/GP%20Energiewende%20Sachsen-1.pdf

Die Kleine Anfrage von Jana Pinka zur Windkraft in Sachsen: http://edas.landtag.sachsen.de/viewer.aspx?dok_nr=14687&dok_art=Drs&leg_per=5&pos_dok=0

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