Es war wie ein Bäumchen-wechsel-dich 2011, gleich nach der Reaktorkatastrophe von Fukushima, als die Bundesregierung in aller Eile den Wiederausstieg aus der Atomkraft beschloss. Gar nicht so sehr, weil Fukushima einmal mehr zeigte, dass auch Atomkraftwerke westlicher Bauart gegen Naturgewalten nur bedingt geschützt werden können, sondern weil man damit ein Problem zumindest entschärfte: Wohin mit dem Atommüll? Das weiß man ja bis heute nicht. Aber eine schwarze Wiederauferstehung feierte just die Kohleverstromung.

Reihenweise traten Politiker an die Pulte und verkündeten, nun erst recht brauche man Kohlekraftwerke, um die “Versorgungssicherheit” zu gewährleisten, tuteten Manager aus interessierten Konzernen ins Horn, die Energiesicherheit Deutschlands sei gefährdet. Nicht aus jedem Bundesland. Das fiel auf. Es waren just fünf Kohle-Länder, in denen auf einmal ein neues altes schwarzes Lied gesungen wurde. Im Westen waren es die alten Kohleländer Nordrhein-Westfalen und Saarland, im Osten die drei Braunkohleländer Brandenburg, Sachsen-Anhalt und Sachsen. In Sachen Kohle entstanden auf einmal erstaunliche Koalitionen über Länder- und Parteiengrenzen hinweg. Amtliche Verlautbarungen sangen nun alle das gleiche Lied. In Sachsen zumindest wurden die erneuerbaren Energie gleichsam verteufelt, obwohl das Land beim Ausbau der alternativen Energiestruktur sowieso schon weit hinter allen anderen Ländern hinterher hinkt.

Hinter dem politisch angekohlten Lied steckt keine wissenschaftliche Fundierung, auch keine Ratio. Schön wäre es. Doch wenn jede wirtschaftliche Überlegung, jedes sachhaltige Abwägen einfach ausbleibt, dann ist zu Recht Misstrauen angesagt. Die L-IZ-Artikelserie zeigt ja nur einen kleinen Ausschnitt all der Subventionen und Vergünstigungen, mit denen sächsische Braunkohle zum preiswerten heimischen Energieträger umgerubelt wird, was sie nicht ist. Doch all die Folge- und Begleitkosten werden ausgeblendet, wenn begeisterte Politiker das Lied von der Kohle singen und die erneuerbaren Energien verdammen.

Ein sachlicher Abwägungsprozess wird nirgends sichtbar. Was auch bedeutet: Politik funktioniert nicht mehr transparent und auch nicht mehr rational.Immer wenn das so ist, liegt man mit der Vermutung, dass Politik hier nicht mehr unabhängig handelt, nicht daneben. Und so wunderte sich auch Greenpeace nicht wirklich darüber, welche Bundesländer, Parteien und Politiker auf einmal zu Vorkämpfern einer “Übergangstechnologie” wurden, die so klimaschädlich ist wie keine andere Energieerzeugung.

Am Donnerstag, 11. April, veröffentlichte Greenpeace ein “Schwarzbuch Kohlepolitik”. “Die Verknüpfungen zwischen Politik und Kohleindustrie in Deutschland sind vielfältig und zahlreich. Viele deutsche Politiker wechseln offenbar fröhlich zwischen Kohleindustrie und Politik hin und her. Zu diesem Ergebnis kommt die heute von Greenpeace veröffentlichte Studie “Schwarzbuch Kohlepolitik”, schreibt Annika Rieger zu diesem 36-Seiten-Buch, in dem insbesondere die SPD auffällt mit einer ganzen Galerie von Politikern, die sich zu Kohle-Lobbyisten gemausert haben. Was aber auch an der Größe des Bundeslandes liegt, aus dem die meisten kommen: NRW. Kein anderes Bundesland ist über Jahrzehnte so eng mit den großen Energiekonzernen verwachsen wie NRW.Aber auch aus dem mitteldeutschen Raum tauchen einige Politiker in dieser Phalanx auf – unter ihnen auch der SPD-Ministerpräsident von Brandenburg, Matthias Platzeck, und die CDU-Ministerpräsidenten von Sachsen-Anhalt und Sachsen, Reiner Haseloff und Stanislaw Tillich. Mit einer Reihe anderer Politiker sitzen die großen Braunkohleverstromer direkt in der sächsischen Politik, die auch deshalb so kohlelastig ist, weil sie von dieser Lobby getrieben wird.

Greenpeace verzeichnet auch den arbeitsmarktpolitischen Sprecher der sächsischen CDU-Fraktion, Alexander Krauß, in seinem “Schwarzbuch”, der auch Aufsichtsratsmitglied der Vattenfall Europe Mining AG ist, die in Sachsen das Kraftwerk Boxberg und (noch) einen der Blöcke des Kraftwerks Lippendorf betreibt.

Und nicht nur SPD und CDU erweisen sich als Kohleparteien – auch einige Vertreter von Linken, Grünen und FDP tauchen im “Schwarzbuch” auf. Als prominentester Lobbyist der FDP im EU-Parlament der Leipziger EU-Abgeordnete Holger Krahmer. Er kämpft an einer ganz wesentlichen Stelle, an der sich die Bezahlbarkeit von Kohlestrom entscheidet – der der handelbaren CO2-Zertifikate. Wenn zu viele auf dem Markt sind, versagt dieses Steuerungsinstrument komplett. Wirksam wird die Steuerung erst, wenn die Zahl der Zertifikate verknappt wird. Im Industrieausschuss, in dem Krahmer mitarbeitet, hat die Lobbyarbeit in Sachen Emissionshandel Erfolg. Der Umweltausschuss stimmte im Februar hingegen zumindest für eine Beschränkung der derzeit verfügbaren Zertifikate.

In diesem Fall konnte sich der Industrieausschuss nicht durchsetzen. Am 19. Februar beschloss das EU-Parlament, 900 Millionen Zertifikate kurzfristig vom Markt zu nehmen. Stichwort: “Backloading”.

Damit sind die Zertifikate nicht verschwunden – nur ihr Handel wird verschoben. Ein winziger Schritt also hin zu einer klimafreundlicheren Politik. Das kritisierte denn auch die Grüne Europaabgeordnete Rebecca Harms: “Die jetzt beschlossene Maßnahme wird langfristig wenig helfen, um an den Schleuderpreisen für Zertifikate wirklich etwas zu ändern.” Statt einer befristeten Rücknahme der Papiere müssten mindestens 1,4 Milliarden Zertifikate endgültig vom Markt entfernt werden. Andernfalls wäre die Kritik der großen Energiekonzerne auch überhaupt erst laut geworden. Mit diesem Feigenblättchen aber können sie gut leben.

Greenpeace wiederholte mit der Veröffentlichung des “Schwarzbuchs” seine Forderung nach einem Kohleausstieg bis 2040. “Wer sich um die Frage des Kohleausstiegs herumdrückt, verlängert die Nutzung der Kohle bis zum Sankt-Nimmerleinstag”, erklärte Tobias Münchmeyer, Energie-Experte von Greenpeace.

Greenpeace zum “Kohle-Filz”: www.greenpeace.de/themen/energie/nachrichten/artikel/der_kohle_filz/

Das “Schwarzbuch Kohle”: www.greenpeace.de/fileadmin/gpd/user_upload/themen/energie/20130409-Schwarzbuch-Kohle.pdf

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