Noch sind andere Sorgen drängender - die Energiepreise zum Beispiel und die Rohstoffpreise. Doch immer stärker schiebt sich das Nachwuchsproblem in der sächsischen Wirtschaft in den Vordergrund. Benannte vor zwei Jahren noch jedes fünfte Unternehmen Schwierigkeiten bei der Fachkräftesuche, ist es mittlerweile jedes vierte.

Die sächsischen Kammern haben das Problem seit Jahren im Fokus. Seit 2001 führen sie regelmäßig eine Befragung in den Unternehmen aller Branchen und Betriebsgrößen im Freistaat durch. Die Ergebnisse des nunmehr sechsten “Fachkräftemonitorings 2012” stellten die Präsidenten der IHK zu Leipzig, Wolfgang Topf, sowie der HWK zu Leipzig, Ralf Scheler, am Donnerstag, 25. Oktober, im Namen der sechs Kammern in Dresden vor. An der aktuellen Befragung beteiligten sich 1.604 Unternehmen – davon 400 aus dem sächsischen Handwerk. Sie äußerten sich zu den Themen Fachkräftesicherung, betriebliche Ausbildung, Personalentwicklung und Weiterbildung.

“Es deutet sich an, dass aus dem steigenden Fachkräftebedarf ein Fachkräftemangel werden kann. Die Zahl der Unternehmen mit offenen Stellen hat sich in den vergangenen zwei Jahren fast verdreifacht. Es werden stärker denn je echte Fachleute – vor allem in Industrie und Bau – gesucht. Auch die Zeiträume, bis eine Stelle neu besetzt ist, verlängern sich. Der regionale Wettbewerb innerhalb Deutschlands um die besten Köpfe spitzt sich merklich zu und wird in erster Linie über die Konditionen ausgetragen”, fasst Wolfgang Topf, Präsident der IHK zu Leipzig, die Ergebnisse der Befragung zusammen. “Neu ist das zunehmende Interesse an ausländischen Arbeitskräften. Dies muss durch weitere Erleichterungen in der Gesetzgebung zur Zuwanderung und eine verbesserte Willkommenskultur in der Gesellschaft unterstützt werden.”

Langsam aber sicher macht sich der “Geburtenknick” von Anfang der 1990er Jahre bemerkbar. Die Jahrgänge, die in die Berufsausbildung eintreten, haben sich halbiert. Was übrigens der Hauptgrund dafür ist, dass Sachsen mittlerweile einen Wanderungsüberschuss hat. Es hat nichts mit den prima Lebensbedingungen zu tun, die der zuständige Wirtschaftsminister erst am 21. Oktober wieder erzählte.

Originaltext Sven Morlok: “Ich freue mich, dass sich dieser positive Trend zuverlässig bestätigt”, so Sachsens Wirtschaftsminister Sven Morlok. “Wenn mehr Menschen nach Sachsen kommen, als den Freistaat verlassen, spricht das für die zunehmende Anziehungskraft des Standorts Sachsen. Hier zu leben ist attraktiv, und die Staatsregierung arbeitet daran, diese Attraktivität weiter zu steigern.”

Das klingt, als hätte die sächsische Staatsregierung irgendein Verdienst am Wanderungsplus. Hat sie aber nicht. Es resultiert zuallererst aus dem Ansturm auf die Hochschulen. HTWK und Uni Leipzig vermeldeten zum Semesterbeginn wieder mehr Immatrikulationen, als es Betreuungskapazität und Budget eigentlich hergeben. Und das sächsische Wissenschaftsministerium hält – beratungsresistent – an den Kürzungen beim Hochschulpersonal fest.

Dass der Saldo 2012 im Positiven ist, hat auch damit zu tun, dass junge Sachsen auch für weniger Geld lieber im Land bleiben als der Ausbildung und der Jobfindung in ferne Lande nachzureisen. Und mittlerweile gibt es für die nachrückenden Jahrgänge genug Lehrstellenangebote.

Einziges Manko: Sie sind nicht für alle da. Wer die Schule ohne Abschluss verlässt, steht trotzdem im Regen. Ungelernte Arbeitskräfte und niedrige Qualifikationen sucht kaum noch ein Unternehmen.

Mittlerweile 28 Prozent (451) der Unternehmen meldeten insgesamt 1.187 unbesetzte Stellen. Das sind 13 offene Stellen auf 1.000 Beschäftigte. Im Jahr 2010 waren das noch 10. Und das nachgefragte Qualifizierungsniveau: 55 Prozent der offenen Stellen entfielen auf Facharbeiter und Gesellen. 2010 waren das noch 43 Prozent gewesen. Mitarbeiter mit Fach- bzw. Hochschulabschluss werden in 26 Prozent der Fälle gesucht, 2010 waren es 17 Prozent. Un- und Angelernte sind wenig nachgefragt. Nur 10 Prozent der offenen Stellen betreffen diesen Bereich.

Die am häufigsten gesuchten Qualifikationen sind bei den Facharbeitern und Gesellen: Berufskraftfahrer, CNC-Fräser, Elektroniker, Maurer und Mechatroniker; bei Fachkräften mit Fach- bzw. und Hochschulabschluss: Informatiker, Konstrukteure, Bauingenieure, Elektrotechniker und Maschinenbauingenieure.

65 Prozent der Unternehmen können ihre offenen Stellen innerhalb von zwei Monaten nicht besetzen. In jedem vierten Unternehmen dauert die Besetzung sogar länger als sechs Monate. Die Zeit bis zur Besetzung der offenen Stellen hat sich – außer bei Hochschulabsolventen – gegenüber früheren Befragungen verlängert.

Die Besetzung offener Stellen scheitert laut Aussage der Unternehmen in erster Linie an fehlender Motivation und Arbeitsbereitschaft (41 Prozent), dicht gefolgt von auseinandergehenden Gehaltsvorstellungen (38 Prozent). Fehlende Qualifikation ist deutlich weniger ein Einstellungshemmnis als 2010.

Zwar hat die IHK zu Leipzig nach ihrer jüngsten Konjunkturumfrage in dieser Woche gewarnt, dass die Zahl von Neuanstellungen in Sachsen im Gefolge der gedämpften Konjunkturerwartungen sinken werde. Doch der Bedarf an Fachkräften erwächst immer stärker aus der starken Überalterung der Belegschaften – was übrigens nicht nur die Wirtschaft betrifft, sondern auch fast alle Bereiche der Landesverwaltung.

32 Prozent (511) der befragten Unternehmen planen bis Ende 2013 die Einstellung von 2.329 neuen Mitarbeitern, wobei fast die Hälfte dauerhaft oder temporär ausscheidende Mitarbeiter ersetzt, so das jetzt vorliegende Fachkräftemonitoring.

“Die sich zunehmend verschärfende Ausbildungs- und Fachkräftesituation erhöht die Ansprüche an das Personalmanagement in den sächsischen Unternehmen. Zudem beeinflussen eine Vielzahl von Verwaltungs- und Politikentscheidungen, zum Beispiel bei der Festlegung von Berufschulstandorten oder landesrechtlicher Ausbildungsberufe, die zukünftigen Möglichkeiten der Unternehmen, ihren Fachkräftebedarf zu decken. Daher ist es zwingend erforderlich, diese Entscheidungen auf eine verlässliche Prognose über die Fachkräfteentwicklung zu stützen. Das vorliegende Fachkräftemonitoring ist dabei ein wichtiges Hilfsmittel”, sagt Ralf Scheler, Präsident der HWK zu Leipzig.

Bleibt noch die Frage nach den gewünschten Fachkräften aus dem Ausland, die vielleicht die entstehende Lücke füllen könnten: Derzeit beschäftigen 17 Prozent der befragten Betriebe ausländische Mitarbeiter oder planen dies. Haupthindernisse für die Nichteinstellung ausländischer Arbeitnehmer sind mit deutlichem Vorsprung Sprachbarrieren, gefolgt von der Unsicherheit über Qualifikationsniveaus.

Die Forderungen an die Politik betreffen – neben der Verbesserung der Rahmenbedingungen für die Beschäftigung ausländischer Fachkräfte (z. B. Unterstützung der Weiterbildung oder Sprachförderung) – die zügige Einleitung geeigneter Maßnahmen zur Senkung der Schulabgängerquote ohne Abschluss auf unter fünf Prozent bis 2020 und die verbindliche und durchgängige Verankerung einer systematischen praxisbezogenen Berufsorientierung in den Lehrplänen aller allgemeinbildenden Schulformen in Sachsen. Außerdem die weitere Stärkung der betrieblichen Ausbildung im dualen System.

Aber dass die Unternehmen selbst handeln müssen, ist den Verbänden durchaus bewusst. So empfehlen die Kammern: eine (stärkere) Beachtung der Lohnentwicklungen in anderen deutschen Regionen. Immerhin ein erstaunliches Zeichen, geben doch zum Beispiel 38,4 Prozent der Leipziger Unternehmen an, die steigenden Arbeitskosten seien ein Risiko für die Entwicklung ihres Unternehmens. Deutlich sprach sich die IHK auch gegen Mindestlöhne in staatlichen Ausschreibungen aus. Aber das Gegenstück der Medaille ist: Sachsen könnte beim Wettbewerb um Fachkräfte den Kürzeren ziehen, wenn andere Bundesländer mit attraktiveren Lohnniveaus locken.

Wichtig zur Fachkräftesicherung sind aber auch innerbetriebliche Strategien zur Personalentwicklung (z. B. Weiterbildung, Angebote zur Vereinbarkeit von Beruf und Familie oder Gesundheitsförderung), neue Wege bei der Personalbeschaffung (z. B. Online-Aktivitäten) und – was am Leipziger Lehrstellenmarkt längst spürbar ist – frühzeitige Lehrlingsakquisition (z. B. durch Kooperationen mit Schulen oder Schülerpraktika).

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