In Halle sitzen ja ein paar Wirtschaftsforscher, die drehen die üblichen Zahlen, die so gehandelt werden, immer mal wieder durch den Fleischwolf. Jüngst erst wurden sie durch eine Revision der Zahlen auf Bundesebene dazu ermuntert. Die amtliche Statistik hat die bisherigen Angaben zum Bruttoinlandsprodukt, der Wertschöpfung und der Beschäftigung in der Bundesrepublik revidiert. Und 22 Jahre nach der "Deutschen Einheit" ist der Osten wirtschaftlich noch weiter vom Westen entfernt, als bisher gedacht.

Die Revision betraf die Wirtschaftsbereiche, Bundesländer und Großräume in höchst unterschiedlichem Maße. Und für die Betrachtung des Ostens wurden gleich zwei wesentliche Parameter revidiert: Das Bruttoinlandsprodukt der ostdeutschen Bundesländer war in den vergangenen Jahren – wie es aussieht – immer überschätzt worden.

Das eingesetzte Arbeitsvolumen dagegen wurde unterschätzt. Woran das lag, erklärte der Arbeitskreis “Volkswirtschaftliche Gesamtrechnungen der Länder” im Zusammenhang mit der Revision, die in der Regel aller zehn Jahre erfolgt. Diesmal wurde im Jahr 2011 vor allem die Klassifikation der Wirtschaftsbereich neu geordnet und präzisiert. Im Ergebnis wurde das bundesweite BIP 2008 bis 2010 um 0,9 Prozent nach unten korrigiert. Aber auf Länderebene sind die Veränderungen gravierend.

“Zurückzuführen sind die Ergebnisabweichungen zum einen auf die im Rahmen der Revision 2011 erfolgte Neuabgrenzung der Wirtschaftsbereiche, insbesondere mit einer stärkeren Untergliederung des Dienstleistungsbereichs”, schreibt der Arbeitskreis dazu. “Dies gestattet jetzt eine differenziertere BWS-Berechnung, nicht zuletzt auf der Basis neuer Datenquellen (u. a. Nutzung von länderbereinigten Umsatzangaben aus der Strukturerhebung im Dienstleistungsbereich [SiD] oder von bereinigten Umsatzangaben aus dem statistischen Unternehmensregister), als dies bisher der Fall war.”

Wirklich verändert hat sich ja durch die Revision nichts. Aber der Blick wird klarer. Der Osten ist auch heute noch die verlängerte Werkbank des Westens und er ist – besonders forciert durch die so genannten Hartz-Reformen – zum Dienstleister der Nation geworden. Und – die Zahlen machen es deutlich – zum Billigdienstleister. Der Aufschwung der gesamtdeutschen Wirtschaft ist mit der Lohndrückerei im Osten bezahlt.
Der Arbeitskreis dazu: “In besonderem Maße wirkte sich dies bei den neuen Ländern sowie in Berlin, Bayern und Hamburg aus: Im Vergleich zu den Ergebnissen vor Revision 2011 ist hier für das Berichtsjahr 2008 ein bis zu knapp 7 Prozent abweichendes BIP-Niveau (in jeweiligen Preisen) festzustellen.” Und während Bundesländer wie Hamburg deutlich zulegen, weil hier vor allem hochbezahlte Dienstleistungen angesiedelt sind, sackt der komplette Osten ab. Dienstleistung ist eben nicht gleich Dienstleistung, Fensterputzen und Zeitarbeit werden deutlich schlechter honoriert als zum Beispiel Finanzdienstleistungen.

Heißt für die ausgeplünderten Bundesländer: “Bisher wurde die Wirtschaftsleistung zu hoch ausgewiesen, wobei die Änderungen im BIP-Niveau für die einzelnen neuen Länder – beispielsweise für das Berichtsjahr 2008 – von – 2,5 Prozent bis – 6,5 Prozent variieren. Zurückführen lassen sich diese Niveauänderungen vor allem auf den revisionsbedingt geringeren Wertschöpfungsanteil aller neuen Länder im Dienstleistungsbereich, der insbesondere den oben angeführten Ursachen geschuldet ist. Insgesamt ist festzuhalten, dass die Wirtschaftsleistung bzw. die BWS im Dienstleistungsbereich vor der Revision in den neuen Ländern überhöht ausgewiesen wurde.”

“So geriet die Produktivitätsmessung in den Zangengriff von Produktionskürzung und gestiegenem Arbeitseinsatz. Im Vergleich zum Westen fällt die Korrektur bei der Produktivität je Stunde höher aus als bei der Produktion je Einwohner”, schreibt Prof. Dr. Udo Ludwig vom Institut für Wirtschaftsforschung (IWH) Halle dazu.

Der Osten erreichte nach den neuen Berechnungen im Vorkrisenjahr 2008 beim Bruttoinlandsprodukt je Einwohner nur 66 Prozent des Westniveaus statt der bisher gehandelten 69 Prozent und bei der Produktivität je Arbeitsstunde 70 Prozent statt 75 Prozent.

“Bezogen auf das Bruttoinlandsprodukt ist zusammen mit dem Produktionsausfall durch die Wirtschaftskrise ein Rückschlag im Aufholprozess von mindestens fünf Jahren eingetreten. Dies hat Implikationen für Politik und Forschung”, meint Ludwig.

Abwärtskorrekturen der Pro-Kopf-Produktion sind mit Ausnahme des Landes Brandenburg für alle ostdeutschen Länder evident. Die stärksten Abstriche mussten Thüringen und Mecklenburg-Vorpommern hinnehmen. Brandenburg konnte bei der Produktion je Einwohner sogar leicht zulegen; auf Stundenbasis traten hier wie auch in Sachsen die geringsten Abzüge ein. Klingt positiv, ist es aber nicht wirklich. Jetzt schlagen nur noch etwas über 69 Euro zu (statt vorher fast 74), Sachsen-Anhalt und Brandenburg liegen mit 73 bzw. 74 Euro aber deutlich vor Sachsen. Was auch heißt: Mit einer permanenten Ausweitung des Dienstleistungssektors verbessert man die Wirtschaftsleistung eines Landes nicht wirklich – man verwässert sie nur und sorgt dafür, dass das Gesamtlohnniveau unter Druck bleibt.

Die Position von Sachsen-Anhalt in der Pro-Kopf-Betrachtung hat sich vor allem wegen der unterdurchschnittlichen Abwärtskorrektur im Verarbeitenden Gewerbe nur wenig verändert. Die Verschlechterung der Produktivität aufgrund der Stundenausweitung zieht sich durch alle Länder und stammt vor allem aus dem Dienstleistungsbereich.

Und da Ludwig schon das Wort Politik verwendete: Das alles ist beabsichtigt. Hinter dem großen Gedöns um “Arbeitsplätze schaffen um jeden Preis” steckt tatsächlich die schleichende Entwertung von Arbeit. Denn das Bundesamt für Statistik beschäftigt sich zwar recht auffällig mit der Frage “Wie misst man Wohlstand?” Aber in allen Berechnungen zum BIP steckt bislang als grundsätzlicher Preis derjenige für die Stunde Arbeitszeit.

Das BIP sagt also eine Menge aus über das örtlich akzeptierte Lohnniveau. Und es erzählt eine Menge darüber, wie weit der Osten von dem entfernt ist, was Politiker 1990 reihenweise behaupteten. Auf eigenen Beinen steht er noch lange nicht.

www.iwh-halle.de/d/publik/presse/25-12.pdf

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