In welches Dilemma deutsche Landwirte dadurch kommen können, dass gentechnisch verändertes Saatgut durch die Welt geistert, das zeigt eine Verhandlung, die am Mittwoch, 29. Februar, ab 11 Uhr vor dem Bundesverwaltungsgericht in Leipzig stattfindet. "Vernichtung von gentechnisch verändertem Saatgut", heißt der Arbeitstitel.

Dabei klagt ein Landwirt gegen staatliche Behörden, die ihn dazu verdonnert hatten, sein Rapssaatgut zu vernichten, nachdem in einer zweiten Probe (die er noch nicht aufs Feld gebracht hatte) Spuren von Verunreinigungen mit gentechnischem Saatgut nachgewiesen wurden. Er musste daraufhin auch das schon ausgebrachte Saatgut vernichten. Für den Landwirt, der das ausgebrachte Saatgut vor der Saat extra auf gentechnisch verursachte Verunreinigungen hatte untersuchen lasen, auf jeden Fall ein Dilemma.

Für Annemarie Volling, Gentechnikexpertin der Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft (AbL), freilich auch eine Gelegenheit, sich deutlich gegen Gentechnik auszusprechen. “Es gilt eine klare Furche für die gentechnikfreie Landwirtschaft und Lebensmittelerzeugung zu ziehen: Gentechnische Verunreinigungen im Saatgut gehören nicht auf den Acker”, sagt sie mit Blick auf den Leipziger Verhandlungstermin.

Das Gericht hat zu klären, ob Saatgut, das unwissentlich mit einem nicht zugelassenen Gentechnik-Konstrukt verunreinigt ist und ausgesät wurde, aufwachsen darf oder ob staatliche Behörden weiterhin das Recht und die Verpflichtung haben, den Umbruch der betroffenen Felder anzuordnen.Für Volling gilt gerade bei Saatgut Nulltoleranz. Sobald gentechnische Verunreinigungen festgestellt werden, muss es – sofern das Konstrukt zum Anbau in Deutschland zugelassen ist – als gentechnisch verändert gekennzeichnet werden. Hat das Konstrukt der Verunreinigung keine Zulassung, darf das Saatgut nicht in Verkehr gebracht werden. Die AbL spreche sich deshalb klar für den Umbruch der gentechnisch verunreinigten Felder aus – aber auch für eine umgehende Entschädigung der betroffenen Bauern durch die Verursacher der gentechnischen Verunreinigungen.

Annemarie Volling: “Gentechnikfreies Saatgut ist die Basis für eine langfristig gentechnikfreie Lebensmittelerzeugung und damit für die Wahlfreiheit von Bauern und Verbrauchern. Verunreinigtes Saatgut darf nicht auf den Feldern verbleiben, denn sonst würden Gentechnik-Pflanzen zur Blüte kommen, sich auskreuzen und vermehren. Das würde zu einer schleichenden Verunreinigung der betroffen und umliegenden Äcker und Ernten, dem Honig aus der Region, aber auch angrenzenden Saatgutvermehrungsflächen führen. Diese GV-Konstrukte sind nicht verkehrsfähig und müssen spätestens dann, wenn sie im Lebensmittelendprodukt entdeckt werden, aus dem Verkehr gezogen werden – mit erheblichen Kosten für die gesamte Lebensmittelkette. Deshalb muss am Umbruchsgebot festgehalten werden. Ein Umbruch der betroffenen Äcker ist zwar teuer und aufwendig. Diese Kosten stehen aber in keinem Verhältnis dazu, was Rückrufaktionen ganzer Lebensmittelchargen kosten.”

Für sie ist aber genauso unabdingbar: “Die Kosten hat der Verursacher der Verunreinigungen zu zahlen. Es handelt sich in der Regel um Partien, die von staatlichen Behörden getestet werden, die Chargen sind bekannt. Unter den Saatgutanbietern ist es üblich, erst die Testergebnisse abzuwarten, bevor die Chargen ausgeliefert werden. Dann entstehen auch keine Kosten.”

“2010 haben das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe und 2011 der Europäische Gerichtshof in Luxemburg klar gestellt, dass das Vorsorgeprinzip und der Schutz der gentechnikfreien Landwirtschaft und Lebensmittelerzeugung sowie der Umwelt – auch im Sinne der nachfolgenden Generationen – einen hohen Wert haben und gesichert werden müssen”, betont Volling. “Gerade für Saatgut, die erste Stufe der gentechnikfreien Lebensmittelerzeugung, müssen diese Prinzipien gelten!”

Bäuerinnen und Bauern, SaatguterzeugerInnen, ImkerInnen und Gentechnik-Kritiker wollen den Verhandlungstag in Leipzig nutzen, um ab 10:00 Uhr vor dem Gerichtsgebäude eine Saatgutaktion zu machen.

Die Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft: www.abl-ev.de

Der Verhandlungstermin vorm Bundesverwaltungsgericht in Leipzig: www.bverwg.de

So können Sie die Berichterstattung der Leipziger Zeitung unterstützen:

Ralf Julke über einen freien Förderbetrag senden.
oder

Keine Kommentare bisher

Schreiben Sie einen Kommentar