Wie ein gerupftes Huhn – so beschreibt Beatrice Wolf ihr Tapas-Restaurant „Barcelona“ nach dem letzten Corona-Winter. Seit 25 Jahren existiert ihr Laden auf der Gottschedstraße. „Der letzte Winter hat uns weit unter die eigentlich wirtschaftlich sinnvolle und rentable Grenze katapultiert. Aber durch unsere Gäste und die harte Arbeit des Teams sind wir noch da“, erzählt sie hinter ihrem Tresen. Inflation und Energiekrise setzen der deutschen Gastronomie nun zusätzlich mächtig zu. Und der Winter steht erst bevor.

Fast alle Betreiber/-innen von Restaurants, Cafés und Bars in Deutschland mussten mittlerweile ihre Preise anheben. „Wir hatten schon im April eine neue Karte, auf der die Preise um zehn Prozent angehoben wurden“, berichtet Wahl-Leipzigerin Bea. „Schon damals gab es die ersten Preiserhöhungen in allen Bereichen – allerdings noch nicht bei Strom und Gas.“

An den Abschlag auf ihrer nächsten Stromrechnung möchte sie noch gar nicht denken. Denn derzeit sind es erstmal die gestiegenen Lebensmittelpreise, die ihr Kopfzerbrechen bereiten: „Einige Händler informieren uns per Brief. Deren Personal-, Strom- und Benzinkosten steigen natürlich auch.“ Bald könnte es auf der Karte der Tapas-Bar schon keine Oliven mehr geben. Der Import aus anderen Ländern wird immer teurer.

Trotzdem ist Bea zuversichtlich: „Wir sind keine Schnäppchenjäger, wir sind immer auf der Jagd nach einer stabilen, loyalen Verbindung – und so werden wir von den Händlern auch behandelt.“

Nicht nach dem günstigsten Bier, sondern einer solidarischen Partnerschaft zu schauen, scheint jetzt wohl die krisenresistentere Taktik zu sein. Denn wie der Hotel- und Gaststättenverband Dehoga erklärt, könnten sich die meisten gastronomischen Betriebe auf gar keine Preise mehr einstellen: tägliche Preiserhöhungen statt halbjährliche Preisbindungen.

Die Menschen überlegen genau, was sie essen und trinken“

Auf Kundenseite sei die Inflation noch nicht zu spüren, so Bea. „Wir sind derzeit noch jeden Tag ausgelastet“, so die gebürtige Berlinerin. „Ich muss ständig Leuten sagen, dass sie keinen Platz mehr kriegen.“ Doch das könnte sich bald ändern.

Das LZ Titelblatt vom Monat September 2022. VÖ. 30.09.2022. Foto: LZ

Laut der Gesellschaft für Konsumforschung (GfK) ist die Kauflaune der Verbraucher/-innen auf ein Rekordtief gefallen. Unter dem Eindruck von Inflation und Ukraine-Krieg sowie steigenden Kosten bei Energie, Mobilität und Alltagsversorgung achten Konsument/-innen zurzeit generell verstärkt auf den Preis.

Die Umsätze pro Gast sind in den letzten Monaten deutlich eingebrochen“, erklärt Axel Klein, Geschäftsführer von Dehoga Sachsen, auf LZ-Anfrage. „Es wird sehr genau überlegt, was man isst und trinkt.“ Hinzu kommen die ausbleibenden Tourist/-innen und internationalen Gäste, die im Urlaub bereit seien, mehr Geld auszugeben.

Wenn alles teurer wird, sparen die Menschen nun mal auch an Urlauben und Restaurantbesuchen. Bea hingegen setzt auf die Loyalität ihrer Gäste: „Ich denke, dass die Leute der Gastronomie nicht ganz fernbleiben werden. Aber man geht dann halt lieber mal zum Lieblingsort und lässt da sein Geld und nicht zu einer Kette oder einem großen, unpersönlichen Laden.“

Es gibt einfach kein Personal mehr“

Während Bea dank ihrer solidarischen Kundschaft zuversichtlich Richtung Winter schaut, sieht sie bei einem Thema kein Licht am Ende des Tunnels: „Der Personalmangel in der Gastronomie ist derzeit übel.“ Als die Corona-Pandemie Fahrt aufnahm, hätten sich in Leipzig drei Chatgruppen mit gastronomischen Betrieben gebildet.

Ähnliche Läden haben sich darin bei der Beantragung staatlicher Corona-Hilfen geholfen, erzählt Bea. „In diesen Chatgruppen gab es auch öfters mal Anfragen wie ,Hey, habt ihr einen Koch für mich?’ oder ähnliches. Aber diese Anfragen haben vor einigen Monaten geendet“, sagt die „Barcelona“-Inhaberin.

„Es gibt keinen Mitarbeiterpool mehr. Das Personal existiert nicht mehr. Jeder versucht nur noch die Mitarbeiter zu halten, die er hat.“

Freisitz des Tapas-Restaurants. Foto:
Antonia Weber

Laut Dehoga-Chef Axel Klein sind die Personalzahlen in der Gastronomie durch Corona dramatisch gesunken – bis zu 25 Prozent. Derzeit beobachte man aber, wie das Personal langsam zurückkehrt. Ob das jedoch bei den aktuellen Trinkgeldrückgängen so bleibt, sei fraglich. „Viele Läden verkürzen ihre Öffnungszeiten oder führen weitere Ruhetage ein“, so Klein.

Im „Barcelona“ läuft derweil noch alles „wie gewohnt“. Um die Öffnungszeiten beizubehalten, „arbeitet der harte Kern der Belegschaft echt an der Leistungsgrenze“, erzählt Bea. „Bei denjenigen, die quasi seit Tag eins dabei sind, gibt es zwischen ,Ich bin müde’ und ,Ich falle tot um’ eine lange Strecke, auf der wir gerade einfach weiterlaufen.“

Natürlich ist diese Arbeit 20 Euro die Stunde wert“

Nachts und am Wochenende arbeiten, nicht selten 60-Stunden-Wochen und mehr, ständige Schichtwechsel – die Arbeit in der Gastronomie ist hart und wird durch den Personalmangel härter. Trotzdem gehört die Branche zu den am schlechtesten bezahlten in Deutschland. Während der Stundenlohn bei Dienstleistungen im Schnitt bei 22 Euro liegt, sind es bei Restaurants und Hotels 14 Euro brutto.

Doch die derzeitige Tarifanpassung in der Gastronomie lässt Unternehmer/-innen wie Bea in einer noch schwierigeren Situation zurück. Bis Juni 2023 soll der Lohn für die unterste Lohngruppe auf rund 13 Euro steigen; der Lohn für Fachkräfte auf 13,67 Euro. Bis zu 25 Prozent höhere Personalkosten, erklärt Axel Klein.

Natürlich sind die Arbeit unserer Leute, der Service und die Aufopferung 20 Euro und mehr die Stunde wert – und nicht zwölf“, sagt Bea. „Aber wenn neben den Preisen nun auch die Personalkosten ins Unermessliche steigen, dann gibt es halt nur zwei Möglichkeiten.“

Entweder müsse man die Preise um 50 Prozent anheben, sodass ein Bier dann acht Euro kostet. „Oder wir müssen halt irgendwann versuchen, aus wenig viel zu machen. Wir müssen kreativ und flexibel sein – aus ein paar Kartoffeln ein klasse Gericht zaubern beispielsweise.“ Damit mehr Geld dem Personal zugutekommt.

Die ganze Branche steht gerade auf einer wackligen Scholle“

Corona, Inflation, Energiekrise, Personalmangel: Es wird diesen Winter wohl eng werden für viele Unternehmen. In den letzten Jahren ist die Anzahl an gastronomischen Betrieben in Sachsen jährlich um drei Prozent gesunken – eine erschreckende Zahl, so Axel Klein von Dehoga.

Und auch Ur-Berlinerin Bea sieht die Gefahren: „Alle in der Branche stehen gerade auf einer wackligen Scholle und wir wissen nicht, wo es hingeht.“ Viele wollten sich vor diesen Krisenzeiten erweitern oder ihren Laden, ihr Lebenswerk als Altersvorsorge nutzen: All das ist gerade undenkbar.

Einige hätten nach vielen Jahrzehnten die schwierige Entscheidung getroffen, ihren Laden aufzugeben, so Bea: „Auf der Gottschedstraße haben wir Gastronomen uns schon zusammengesetzt und geschaut, welche Läden schließen mussten. Aber keiner wollte sich diesen annehmen und sie kaufen, weil es irgendwie aussichtslos scheint.“

Um unter anderem die Gastronomie zu unterstützen, fordern die Linksfraktion im Bundestag sowie verschiedene Lebensmittel- und Gaststättenverbände die dauerhafte Senkung der Mehrwertsteuer auf Speisen. Auf einige Produkte – zum Beispiel in Bio-Qualität – solle die Mehrwertsteuer ganz gestrichen werden.

Ohne staatliche Unterstützung könnte es auch für das „Barcelona“ knapp werden. Dann müsste der Laden, der seit 1998 auf der Gottschedstraße Gäste bedient, dicht machen. Bevor ihre Schicht losgeht, sagt Bea abschließend: „Wir schauen gerade von Tag zu Tag – und wir machen jeden so gut es geht.“

„Wir schauen gerade von Tag zu Tag“: Eine Leipziger Gastronomin berichtet von den Folgen der Inflation, erschien erstmals am 30. September 2022 in der aktuellen Printausgabe der Leipziger Zeitung (LZ). Unsere Nummer 106 der LZ finden Sie neben Großmärkten und Presseshops unter anderem bei diesen Szenehändlern.

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