Am Wochenende wird gefeiert. Richtig groรŸ, zwei Tage lang in der HartzstraรŸe 2 in Eutritzsch, wo die Vereinigte Leipziger Wohnungsgenossenschaft eG (VLW) ihren Geschรคftssitz hat. Die Genossenschaft feiert einen Geburtstag, auf den jedes Unternehmen stolz wรคre: den hundertsten. Eigentlich war dieser Tag schon am Dienstag. Denn am 5. Juli 1922 wurde die damalige โ€žBaugenossenschaft fรผr die Reichsfinanzbeamtenโ€œ im Stรคdtischen Kaufhaus gegrรผndet.

In einer Zeit, in der auch Reichsfinanzbeamte nicht so รผppig verdienten, wie das heute bei Bundesbeamten als selbstverstรคndlich gilt. Manchmal vergisst man ja auch, dass sich der Wohlstand eines Staates auch in den Gehรคltern seiner Beamten zeigt. Und Beamte vergessen das sowieso gern.

Und die 1920er Jahre bedeuteten fรผr die damaligen Normalverdiener eben oft auch Wohnungsmangel. Weshalb es die Blรผtezeit der Grรผndung von Baugenossenschaften war, in denen sich in der Regel Berufsstรคnde zusammentaten, um den Bau bezahlbarer und moderner Wohnungen gemeinsam zu stemmen.

Mit Reichsfinanzbeamten hat die VLW heute nichts mehr zu tun. Was natรผrlich damit zu tun hat, dass die Genossenschaft im Lauf der folgenden Jahrzehnte und verschiedener Gesellschaftssysteme mit weiteren Genossenschaften fusionierte, dabei mehrmals ihren Namen wechselte und 1990 dann ihren heutigen Namen bekam, der diese Fusionsgeschichte spiegelt: Vereinigte Leipziger Wohnungsgenossenschaft.

Hausanierung in Mรถckern: Visualisierung Rรผckansicht Rudolf-Breitscheid-StraรŸe 22โ€“28. Foto: IGC Ingenieurgemeinschaft Cossebaude GmbH
Haussanierung in Schkeuditz: Visualisierung Rรผckansicht Rudolf-Breitscheid-StraรŸe 22โ€“28. Foto: IGC Ingenieurgemeinschaft Cossebaude GmbH

Damit gehรถrt sie auch zu den grรถรŸten Wohnungsanbietern in Leipzig und Umgebung mit rund 8.100 Mitgliedern.

In den 1920er Jahren ging es neben dem Schaffen bezahlbarer Wohnungen in GrรถรŸenordnung auch um moderne Lรถsungen fรผr das Wohnen. Und die Gestaltung von Stadtquartieren, in denen eben nicht das Gefรผhl aufkommen sollte, hier in Mietskasernen untergebracht zu sein. Die Lรถsungen, die der von der โ€žBaugenossenschaft fรผr die Reichsfinanzbeamtenโ€œ beauftragte Architekt Fritz Riemann dafรผr fand, sind noch heute beispielhaft fรผr den modernen Wohnungsbau.

โ€žEr stand vor der Herausforderung, Wohnungen zu entwerfen, die dem unterschiedlichen sozialen Milieu der Mitglieder entsprachenโ€œ, formuliert die VLW diesen Anspruch.

โ€žAuf der anderen Seite sollten sie aber auch so ausgestattet sein, dass sie einen selbst gestellten Mittelstandard erreichten. Alle Wohnungen hatten ein Bad und Innenklosett. Ein Standard, der Anfang der 20er-Jahre alles andere als normal war. Zudem hatte jede Wohnung eine von der Kรผche aus begehbare Loggia. Die nach Riemanns Entwรผrfen gebauten Wohnhรคuser prรคgten lange Zeit das Gesicht der Genossenschaft.โ€œ

Und so kann man dieses Bauensemble auch heute noch besuchen. Neben den Meyerschen Hรคusern und der Krochsiedlung gehรถren sie zu den markantesten Wohnensembles dieser Zeit in Leipzig.

Der Spatenstich fรผr die ersten Wohnhรคuser der Genossenschaft erfolgte am 1. April 1923 in der Leipziger RenkwitzstraรŸe in Gohlis. In der RenkwitzstraรŸe 2 / CoppistraรŸe 30 befand sich auch die erste Geschรคftsstelle der Genossenschaft.

Fusionen und neue Namen

Schon 1932 wurde die Satzung geรคndert und es entfiel die Mitgliedschaft abhรคngig vom Berufsstand. Die Genossenschaft รถffnete sich damit fรผr einen breiteren Interessentenkreis. Und damit war sie dann auch in der Lage, in der Zeit des Nationalsozialismus zu reagieren, als es โ€žzahlreiche politisch motivierte Zwangsfusionenโ€œ gab. So wurde die damalige Baugenossenschaft der Reichsfinanzbeamten mit der Tauchauer Genossenschaft fรผr Kleinwohnungsbau e.G.m.b.H. fusioniert.

Die Mitgliederzahl wuchs. 1937 beschloss die Genossenschaft, die Generalversammlung durch eine Vertreterversammlung zu ersetzen. Gleichzeitig verdeutlichte ein neuer Name die fรผnf Jahre zuvor beschlossene ร–ffnung. Fortan hieรŸ sie Gemeinnรผtzige Wohnungs-Baugenossenschaft in Leipzig e.G.m.b.H. (GEWOBA). 1942 verlegte diese ihre Geschรคftsstelle dann in die HartzstraรŸe 2.

Und auch in der DDR-Zeit kam es zu weiteren Fusionen. So kamen die Gemeinnรผtzige Baugenossenschaft Leipziger Mieter (BLM) und der Gemeinnรผtzige Mieterbaugesellschaft mbH dazu. Und 1976 wurde aus der gemeinnรผtzigen sozialistischen Wohnungsbaugenossenschaft GEWOBA die AWG โ€žPaul KloรŸโ€œ.

โ€žNotwendig wurde die abermalige Verรคnderung dadurch, dass die Genossenschaft zahlreiche Fรถrdermรถglichkeiten nutzen wollte, um am sozialistischen Wohnungsbauprogramm teilnehmen zu kรถnnen. Das versprach vor allem Neubauten, denn Wohnungen waren absolute Mangelwareโ€œ, heiรŸt es auf der Website der VLW.

โ€žAWGs wurden als Partner der Wohnungsbaukombinate bevorzugt und es galt, viele Mitglieder mit Wohnraum zu versorgen. Daher beschloss die Vertreterversammlung zur Umfirmierung zum 1. November 1976.โ€œ

Es entstanden Reparaturstรผtzpunkte und ein eigener Bauhof.

Konsolidierung und endlich wieder Neubau

Und natรผrlich wurden auch die Jahre nach 1990, als aus der AWG โ€žPaul KloรŸโ€œ die Vereinigte Leipziger Wohnungsgenossenschaft geworden war, keine leichten Jahre. Denn dass Leipzig in den ersten zehn Jahren nach der โ€žWendeโ€œ massiv an Einwohnern verlor, machte auch den Wohnungsgenossenschaften zu schaffen. Wer sich erinnert: Bis ins Jahr 2005 wurde in Leipzig heftig รผber Abriss diskutiert und wurden auch Wohnungsbestรคnde abgerissen, die heute schmerzlich fehlen.

Dass es gleichzeitig um den finanziellen Bestand der Genossenschaft ging, schildert die VLW so:

โ€žEs folgten viele Jahre der Konsolidierung, in denen die Genossenschaft im Interesse aller Mitglieder und fรผr die erfolgreiche Bestandsentwicklung schwierige Zukunftsentscheidungen treffen musste. Zahlreiche Wohnungen wurden verรคuรŸert. So trennte sich die VLW nicht nur von Leipziger Bestรคnden. 2013 wurden auch die Tauchaer Hรคuser verkauft, sodass die Genossenschaft heute nur noch in Leipzig und Schkeuditz Wohnungsbestand hat. Die Erlรถse nutzte die VLW fรผr die Tilgung von Krediten sowie fรผr Investitionen in den eigenen Bestand. Dadurch sicherte die Genossenschaft ihre Zukunftsfรคhigkeit.โ€œ

Wirklich wieder Volldampf geben konnte die Genossenschaft ab 2015, so ungefรคhr zur selben Zeit wie auch die stadteigene LWB, die bis dahin ebenfalls hauptsรคchlich mit Konsolidierung beschรคftigt war und erstmals seit Jahrzehnten wieder Neubau plante.

Das anhaltende Bevรถlkerungswachstum und gerade der Mangel an preiswertem Wohnraum in Leipzig รคnderten die Rahmenbedingungen fรผr die LWB genauso grundsรคtzlich wie fรผr die Leipziger Wohnungsgenossenschaften, fรผr die sich Investition in Wohnraum jetzt erst wieder richtig lohnte.

โ€žAb 2015 startete die VLW mit den Planungen fรผr die Sanierung von bis dato stillgelegten Bestรคnden und setzte die Segel in Richtung Zukunftโ€œ, beschreibt die VLW diesen Moment. โ€ž2017 beginnend revitalisiert die Genossenschaft gut 400 Wohnungen in Gohlis, Eutritzsch und Lindenau und investiert dabei etwa 45 Millionen Euro.โ€œ

Und das รคndert natรผrlich auch die Stimmung zum 100. Geburtstag, der am Wochenende gefeiert wird und die Gรคste โ€žmit Geschichte und Geschichten aus einem Jahrhundert VLWโ€œ auf โ€žEine zauberhafte Zeitreiseโ€œ entfรผhrt.

Alle Informationen zum Festwochenende โ€ž100 Jahre VLWโ€œ findet man hier.

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