Die Konsumgenossenschaft Leipzig möchte noch dieses Jahr in einer ihrer Filialen das sogenannte Self-Scanning testen. Konsum-Vorstandssprecher Dirk Thärichen spricht im Interview mit der LZ außerdem über anstehende Filialschließungen, Neueröffnungen, die langfristige Strategie der Genossenschaft und seine Skepsis gegenüber Bio-Lebensmitteln.
Ein Einkaufserlebnis konnten die Menschen in den vergangenen Monaten fast ausschließlich im Supermarkt haben. Ist Corona gut für Ihr Geschäft?
Natürlich sind wir in einer besonderen Situation. Wenn Cafés und andere Geschäfte geschlossen haben, wird bei uns mehr eingekauft. Es gibt da interessante Tendenzen. Der Kunde kommt weniger häufig zu uns, kauft aber mehr ein. Vor der Pandemie hatten wir den umgekehrten Trend.Wie stark sind Ihre Umsätze gestiegen?
Im vergangenen Jahr hatten wir einen Gesamtumsatz von 158 Millionen. Das sind rund 20 Millionen mehr als im Vorjahr. Von diesem Wachstum ist schätzungsweise die Hälfte coronabedingt. Die andere Hälfte würde ich darauf zurückführen, dass unser langfristiges Konzept greift.
Worin besteht das Konzept kurz gesagt?
Wir haben den Fokus in den letzten Jahren auf frische Lebensmittel gesetzt. Zum Beispiel haben wir den Anteil von Obst und Gemüse am Umsatz von etwa sieben Prozent auf 14 Prozent verdoppelt. Weiter geht es bei Molkerei- und Kühlregalprodukten. Wir haben viel Geld in Kühlanlagen investiert. Kurz gesagt: Wir sind weg von einem Konserven-Sortiment hin zu einem Frische-Sortiment.
Zweitens setzen wir auf Regionalität. Dabei geht es uns vor allem um lokale Lebensmittel aus einem Umkreis von 50 Kilometern um Leipzig. Hier sind wir flexibler geworden und arbeiten inzwischen auch mit Lieferanten zusammen, die nicht alle unsere über 60 Filialen beliefern können, zum Beispiel die Plagwitzer Wanderimkerei oder die Synde-Brauerei in Connewitz.
Schließlich setzen wir auf Kundennähe. Wir haben in zentrumsnahen Wohnvierteln gute Erfahrungen mit kleineren Ladenflächen gemacht, was uns deutlich von unseren großen Mitbewerbern unterscheidet.
Sie betonen das Thema Regionalität. Im Konsum-Regal wird aber auch die Spreewald-Gurke als regionales Lebensmittel bezeichnet. Was bedeutet regional bei Ihnen?
Wir kommen aus dem Kontext der neuen Bundesländer. Alles südlich von Berlin und westlich bis nach Thüringen zählt bei uns als regional. Hier liegt der Anteil am Sortiment bei etwa 25 Prozent. Allerdings können wir nur Angebote machen. Die Kundschaft entscheidet am Ende, was sie kauft. Beim Umsatz liegt der Anteil der regionalen Lebensmittel bei 11 Prozent.
Die Menschen kauften in der Krise mehr regional und biologisch erzeugte Lebensmittel. Glauben Sie, dass sich das Konsumverhalten nachhaltig ändert?
Ich persönlich glaube an das Thema Regionalität, an die Verkürzung von Lieferketten. Ob sich Bio noch weiter durchsetzen wird, daran habe ich Zweifel. Ich bin nicht sicher, ob mit dem einen oder anderen Bio-Siegel nicht auch Missbrauch betrieben wird. Ich kenne Geschichten von Herstellern, wo der angeblich biologisch erzeugte Zucker aus der Ukraine kommt. Doch keiner weiß, wie es dort tatsächlich mit den Standards aussieht.
Wenn dann mit dem Bio-Label der Preis und der Absatz nach oben getrieben werden sollen, wird das der Konsument nicht mitmachen. Mein Einkaufsverhalten ist anders: Ich möchte wissen, wo das Produkt herkommt. Und ich freue mich sehr, wenn das der unmittelbare Umkreis ist.
Ein weiterer Trend im Handel zeigt sich beim Bezahlen. Bei Ihren Mitbewerbern sieht man inzwischen häufiger Selbstbedienungskassen, den sogenannten Self-Checkout. Ist das auch beim Konsum die Zukunft?
In diese Richtung wird es gehen. Wir als Konsum Leipzig überspringen aber eine Entwicklungsstufe. Noch in diesem Jahr wollen wir mit einem Self-Scanning-System in einer Test-Filiale starten. Das bedeutet, dass ich als Kunde während des Einkaufens mit dem eigenen Smartphone meine Waren mit einer App scanne.
Am Ende gehe ich durch eine Schranke und dann wird mir der entsprechende Betrag automatisch abgezogen. Bei diesem System braucht es also keine Kasse mehr.
Das bedeutet, es wird auch keine Kassiererinnen und Kassierer mehr geben?
Doch. Wir werden die stationäre Kasse weiter im Einsatz haben. Außerdem ist unser Motto nah, frisch und freundlich. Und Freundlichkeit hat natürlich etwas damit zu tun, dass es auch noch Menschen im Laden gibt, die ich etwas fragen kann.
Wie wollen Sie kontrollieren, dass in der App auch alles ist, was im Einkaufswagen liegt?
Durch Stichproben, wie es sie auch bei den Self-Checkout-Systemen gibt. Technisch gäbe es auch die Möglichkeit, das mit einer Waage am Ausgang über das Gewicht des Einkaufswagens zu machen. Aber was sich da am Ende durchsetzen wird, kann ich noch nicht sagen.
Ihre Beschäftigten mussten allerhand aushalten im vergangenen Jahr. Inwieweit profitieren Ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von den gestiegenen Umsätzen?
Wir haben zwei Corona-Prämien ausgezahlt. Da sind insgesamt über 600.000 Euro an die Mitarbeiter gezahlt worden. Ich denke, das war vernünftig. Als Genossenschaft sind wir nicht auf Gewinnmaximierung aus. Wir haben gute Erlöse erzielt und daran müssen die Beschäftigten partizipieren.
Diesen Grundwerten dürften viele Menschen zustimmen. Dennoch wächst die Zahl Ihrer Mitglieder kaum. Aktuell sind es gut 25.000. Wieso gelingt es Ihnen nicht, mehr Menschen von der Genossenschaftsidee zu überzeugen?
Es kommt bei der Betrachtung auf den Ausgangspunkt an. Wir hatten nach der Wende 80.000 Mitglieder. Danach haben wir viele Mitglieder verloren. Jetzt ist die Kehrtwende gelungen. Seit zwei Jahren haben wir mehr Eintritte als Austritte. Natürlich könnte es immer mehr sein.
Wir arbeiten auch stark mit unserer Kommunikation daran und haben außerdem zuletzt die Rückvergütung erhöht, damit Mitglieder ihre Vorteile deutlicher spüren.
Sie kündigen immer wieder eine Expansion an. Die Zahl der Filialen stagnierte aber zuletzt. Wann ist mit den Neueröffnungen zu rechnen?
Wir mussten unrentable Filialen schließen. Deshalb ist die Zahl der Läden unterm Strich nicht gewachsen. Vor wenigen Tagen mussten wir eine Filiale in Zwenkau schließen und leider trennen wir uns in Kürze auch von einem Standort in Delitzsch. Danach sind wir durch diesen Prozess erst mal durch.
Unser Ziel ist künftig, im Saldo jedes Jahr zwei Filialen zu eröffnen. Hauptwachstumsfeld wird Leipzig bleiben. Wir glauben an das Wachstum der Stadt. Halle und Chemnitz sind unsere anderen Expansionsgebiete.
In den zentrumsnahen Leipziger Stadtteilen, wo Sie sich strategisch zu Hause fühlen, ist Ihre Filialdichte bereits hoch. Nehmen wir als Beispiel die Südvorstadt, wo es bereits sechs Geschäfte gibt. Wo genau wollen Sie die Läden noch eröffnen?
Tatsächlich befinden wir uns in der Südvorstadt wieder in Anmietungsgesprächen. Das geht in Richtung Fockeberg, so viel können wir bereits verraten. Dort ist es im Umfeld so, dass die neue Filiale in der Kochstraße an manchen Tagen schon über der Belastungsgrenze ist.
Dort müssen die Menschen zu lange anstehen. Deshalb wollen wir für Entlastung sorgen. Wir eröffnen außerdem eine neue Filiale in der Arthur-Hoffmann-Straße, wo früher der Möbelhändler Massivum war.
Wie sieht es im übrigen Stadtgebiet aus?
Wir schließen keinen Stadtteil aus. Wir gehen jetzt nach Schönefeld. Da ist der Mietvertrag unterschrieben. Eröffnung wird wohl aber erst 2022 sein. Dieses Jahr eröffnet noch das Geschäft an der Märchenwiese in Marienbrunn.
Dort waren wir aber schon vorher präsent. Wir reaktivieren auch eine alte Filiale in der Lützner Straße. Es gibt in Leipzig für uns nach wie vor genug interessante Standorte.
Die Konsumgenossenschaft Leipzig im Netz
„Self-Scanning im Supermakt – Konsum-Chef Thärichen: „Wir überspringen eine Entwicklungsstufe““ erschien erstmals am 26. März 2021 in der aktuellen Printausgabe der LEIPZIGER ZEITUNG. Unsere Nummer 89 der LZ finden Sie neben Großmärkten und Presseshops unter anderem bei diesen Szenehändlern.
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