Dass da irgendetwas bei den Umstrukturierungen der Telekom vรถllig aus dem Ruder gelaufen sein muss, das bekamen die Leipziger spรคtestens im Dezember 2012 mit, als der Leiter des Leipziger Amtes fรผr Wirtschaftsfรถrderung, Dr. Michael Schimansky, in die ร–ffentlichkeit ging: "Ich bin der festen รœberzeugung, dass wir die qualifizierten und erfahrenen Mitarbeiter der Nokia Siemens Networks Services GmbH & Co. KG nicht nur in unserer Region halten, sondern auch neue Perspektiven finden kรถnnen."

โ€œMit rund 11.000 Beschรคftigten in etwa 900 Unternehmen ist die Informations- und Kommunikationstechnologie eine der stรคrksten Branchen in unserer Wirtschaftsregionโ€, sagte er. Es ist so ein Satz, womit sich Wirtschaftsfรถrderer zumeist selbst ermuntern, wenn alle Mรผhen um die Standortsicherung eines Unternehmens nichts gefruchtet haben.

โ€œDas Amt fรผr Wirtschaftsfรถrderung der Stadt Leipzig hรคtte sich eine zeitigere Information und Beteiligung bei der Lรถsungssuche fรผr den Standorterhalt gewรผnschtโ€, vermeldete Schimanskys Amt. Und machte damit recht deutlich, wie sehr einige groรŸe Konzerne auf Standortsicherung, Arbeitsplรคtze und die mรผhsame Arbeit der Kommunen pfeifen, in ihrer Region belastbare Wirtschaftsstrukturen zu erhalten.

Und so klang es auch eher wie eine Traueranzeige, was am 6. Dezember 2012 aus dem Leipziger Rathaus kam: โ€œMit groรŸer Enttรคuschung nimmt das Amt fรผr Wirtschaftsfรถrderung der Stadt Leipzig die Information der Nokia Siemens Networks (NSN) zur SchlieรŸung der deutschen Tochtergesellschaft Nokia Siemens Networks Services GmbH & Co. KG in Deutschland und damit auch die SchlieรŸung des Standortes Leipzig zur Kenntnis.โ€

Enttรคuschung auch deshalb, weil erst im Sommer 2012 eine Einigung erzielt worden war, den Beschรคftigungsort Leipzig zu erhalten. Entsprechend freudig hatte die Sommermeldung geklungen. Im Dezember lag nur noch ein Scherbenhaufen da: โ€œNach monatelangem Ringen war erst im Sommer 2012 eine Fortfรผhrungslรถsung fรผr den Leipziger Betriebsteil der Muttergesellschaft NSN erreicht worden. Dadurch konnten rund 80 Arbeitsplรคtze in Leipzig gesichert werden. Nun wurde die SchlieรŸung der Tochtergesellschaft (Nokia Siemens Networks Services GmbH & Co. KG) mit ca. 90 Mitarbeitern in der Region verkรผndet.โ€

Die Grรผnde, die das Amt dann nennen konnte, wirkten dann auch noch wie ein Schulterzucken: โ€œNokia Siemens Networks plant die SchlieรŸung ihrer Tochtergesellschaft mit der Begrรผndung einer strategischen Neuausrichtung und der fehlenden Profitabilitรคt. Das Amt fรผr Wirtschaftsfรถrderung der Stadt Leipzig hรคtte sich eine zeitigere Information und Beteiligung bei der Lรถsungssuche fรผr den Standorterhalt gewรผnscht.โ€

Was das Amt lieber nicht erzรคhlte, war die lange Vorgeschichte. Ein exemplarischer Vorgang รผber die Art und Weise, wie manche deutschen Unternehmen versuchten, nichtprofitable Unternehmenszweige abzustoรŸen. Nur hatte das im Fall der Deutschen Telekom Langzeitfolgen. Denn vor Gericht hielten die Begrรผndungen fรผr Auslagerung und Verkauf nicht stand. Jetzt hat zum zweiten Mal ein Gericht bestรคtigt, dass die mehrfach weitergereichten Belegschaften eigentlich de facto noch immer Angestellte der Telekom sind.

Das Ganze begann 2005, jener Zeit, als der groรŸe Telekom-Aktien-Rausch verging. Drei Jahre zuvor hatte der unglรผcklich agierende Ron Sommer zurรผcktreten mรผssen, bis 2006 versuchte Kai-Uwe Ricke das teilstaatliche Unternehmen zu entschulden. Dazu gehรถrte ein Entlassungspaket von 32.000 Angestellten. Doch wie der Konzern sich von den Angestellten zu trennen versuchte, das wird wohl mal ein besonderes Kapitel in den Lehrbรผchern des falschen Wirtschaftens werden.

2005 schob die Deutsche Telekom AG rund 2.000 Beschรคftigte, darunter 700 Beamte, in ihr Tochterunternehmen Vivento Technical Service GmbH (VTS) ab. Drei Jahre lang arbeiteten die Mitarbeiter zusammen mit Zeitarbeitskrรคften von Vivento im Bereich Montage- und Serviceleistungen fรผr Festnetz und Mobilfunk. Dann griff die Telekom sogar tief in die eigene Schatulle und unterfรผtterte die รœbernahme der Siemens Network Services GmbH (NSN Services) an den schwedischen Mobilfunkbetreiber Nokia mit rund 560 Millionen Euro. Aus der VTS wurde Nokia Siemens Network Services GmbH (NSN Services).

Im Juni 2013 verkรผndete die NSN allen Mitarbeitern, dass das operative Geschรคft zum Jahresende eingestellt wird. 800 der ehemaligen Telekomangestellten erhielten zum Teil nach 30-jรคhriger Betriebszugehรถrigkeit ihre Kรผndigung. Die 200 Kollegen im Beamtenstatus durften zur Telekom zurรผck.

Nachdem ein Mitarbeiter im Jahr 2014 hiergegen Klage erhob, ordnete nun auch das Arbeitsgericht Bonn an, dass er zu unverรคnderten Bedingung bei der Deutschen Telekom (der Rechtsnachfolgerin der VTS) wieder beschรคftigt werden muss.

Das Arbeitsgericht Bonn schloss sich damit ausdrรผcklich der Argumentation des Sรคchsischen Landesarbeitsgerichts, das die Telekom in einem anderen Fall ebenfalls zur Wiedereinstellung eines ehemaligen Mitarbeiters verurteilt hatte, an. Das LAG Sachsen war damals von einer falschen Information รผber Konsequenzen des Betriebsรผbergangs von der VTS (einer ehemaligen Telekomtochter) auf die NSN Services ausgegangen.

Fรผr Daniel Frick, Fachanwalt fรผr Arbeitsrecht in Leipzig, ein klarer Fall: Die Deutsche Telekom AG muss einen ehemaligen Mitarbeiter, der รผber die VTS zur NSN Services abgeschoben und dort letztlich gekรผndigt wurde, zu den ursprรผnglichen Arbeitsbedingungen wieder einstellen. Er wurde nรคmlich nicht ausreichend รผber die Konsequenzen eines Verkaufs seines Arbeitgebers (einer Telekomtochter) an die NSN Services informiert. So entschied es das Arbeitsgericht Bonn in einem am 7. Juli 2015 verkรผndeten Urteil.

โ€žWir freuen uns, dass das Arbeitsgericht Bonn unsere Argumentation, dass die Mitarbeiter nicht ordnungsgemรครŸ รผber den Betriebsรผbergang von der VTS auf die NSN Services unterrichtet wurden, gefolgt istโ€œ, betont der in Leipzig ansรคssige Fachanwalt Daniel Frick, der bundesweit zahlreiche ehemalige Mitarbeiter der NSN Services und anderer Telekom-Tรถchter vertritt. โ€žWir sind der รœberzeugung, dass dieses Urteil des Arbeitsgerichts Bonn noch einmal ein deutliches Signal senden wird und auch die anderen knapp 800 Entlassenen gute Chancen auf Wiedereinstellung haben.โ€

โ€žDie Deutsche Telekom AG ist nicht mit dem Argument durchgedrungen, dass das Widerspruchsrecht wegen des langen Zeitablaufs verwirkt istโ€œ, begrรผndet der Fachanwalt fรผr Arbeitsrecht.

Aber auch diejenigen Mitarbeiter, die in andere Tochterfirmen abgeschoben und von den Erwerbern schlussendlich gekรผndigt wurden, sollten prรผfen lassen, ob sie ebenfalls unzureichend รผber den jeweiligen Betriebsรผbergang unterrichtet wurden, findet Frick. In einem solchen Fall hรคtten auch diese Mitarbeiter gute Chancen auf Wiedereinstellung. Gleiches gelte fรผr die ehemaligen Mitarbeiter der Telekom, die ihren dreiseitigen Vertrag, mit welchem sie in Tochtergesellschaften der Telekom โ€“ wie die VTS oder die Vivento Customer Services (VCS) โ€“ abgeschoben wurden, nur unter Vorbehalt, mit Anmerkungen oder gar nicht unterschrieben haben.

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